Streitthema Gewaltprävention
Angebote werden in der Strafvollzugsanstalt in Schrassig nicht genutzt
Schrassig. Derzeit findet in Luxemburgs Gefängnissen kein AntiGewalt-Training statt. Justizministerin Sam Tanson (Déi Gréng) sprach von einem Fachkräftemangel – dem widerspricht die Leiterin der Vereinigung Anti-GewaltTraining Luxembourg. Fast zehn Jahre lang bot sie mit ihrer Vereinigung Gewaltpräventionskurse im Schrassiger Gefängnis an. 2018 kamen die Anfragen allerdings ins Stocken, erklärt die Vorsitzende Julia Retzlaff. Seitdem werden Insassen lediglich individualisierte Psychotherapien angeboten. Entsprechend überrascht war Julia Retzlaff von einer Antwort auf eine parlamentarische Frage zu der Gewaltsituation in Luxemburgs Gefängnissen.
In dieser hatte Justizministerin Sam Tanson vergangene Woche auf Nachfrage des ADR-Abgeordneten Fred Keup erklärt, dass derzeit keine Gewaltpräventionskurse angeboten werden – angeblich aufgrund eines Fachkräftemangels: „Die Gefängnisverwaltung findet keine Professionellen, die noch ein Training anbieten, das den ordentlichen, wissenschaftlichen Kriterien entspricht“, so die Ministerin.
Gegen diese Darstellung wehrt sich Julia Retzlaff. Elf Trainingsgänge à 60 Stunden hatten zertifizierte Anti-Gewalt- und Deeskalationstrainer aus der Organisation zwischen 2010 und 2018 in Schrassig durchgeführt. Bis zu 130 Insassen hätten über die Jahre an den Trainingsrunden teilgenommen. Sam Tansons Aussage, es gebe in Luxemburg nicht genügend Programmleiter deren Arbeit „ordentlichen, wissenschaftlichen Kriterien“entspräche, kann sich die Vorsitzende nicht erklären.
Hochqualifizierte Kursleiter
Im europäischen Vergleich gebe es in Luxemburg viele hoch qualifizierte Trainer, die sich neben der systemischen Anti-Gewalt- und Deeskalationsausbildung zusätzlich ins Thema Pädagogik – speziell auch Traumapädagogik – eingearbeitet hätten und ständig weiterbilden. Sie bieten ihre Kurse beispielsweise auch in Schulen und Unternehmen an. „Eine modernere Ausbildung gibt es eigentlich nicht“, so Julia Retzlaff. Die Aussagen der Ministerin würden die Fachkompetenz der ausgebildeten Trainer zu Unrecht untergraben, sagt sie.
Als die Aufträge aus dem Gefängnis 2018 ausblieben, hieß es als Erklärung, man habe nicht genügend geeignete Kandidaten für eine Teilnahme an den Kursen. Die Mindestteilnehmerzahl liegt bei acht Personen. Das liegt daran, dass die Gruppendynamik in dieser Therapie eine wichtige Rolle spielt. Zuletzt seien für einen Kurs aber nur noch sechs Insassen gemeldet worden – zu wenig, um den Kurs den Standards entsprechend durchführen zu können, erklärt Julia Retzlaff.
Nicht nur trugen die Anti-Gewalt-Kurse zu einem friedlicheren Miteinander zwischen den Insassen bei, sie bereiteten die Häftlinge auch auf ein Leben nach der Vollzugsanstalt vor. „Viele der Insassen haben nie alternative Umgangsformen
zur Gewalt kennengelernt“, so Julia Retzlaff. Diese Werkzeuge habe man ihnen im Rahmen des Programms mit auf den Weg geben können. Dabei habe das Training nicht nur auf körperliche Gewalt abgezielt – auch psychologische Aggressionen und Empathieentwicklung für die Opfer seien wichtige Aspekte des Trainings gewesen. Alles das seien Fähigkeiten, die letztendlich auch der Gesellschaft zugutekämen, unterstreicht Julia Retzlaff.
Verantwortung übernehmen
Die Bedeutung der Gewaltprävention streicht auch ein ehemaliger Häftling hervor. „Ich habe seit dem ersten Training im Gefängnis mitgemacht und weiß aus erster Hand, dass uns von den Trainern und Trainerinnen viel mitgegeben wurde.“Als Insassen hätten sie gelernt, mit ihren Gewaltproblemen umzugehen – und wo Gewalt überhaupt beginnt. „Mir hat das Training dabei geholfen, mich selbst kennenzulernen und zu erkennen, wann ich aggressiv werde und wie ich mit einer Situation umgehe, um der Eskalation aus dem Weg zu gehen“, so der ehemalige Insasse. Auch in seinem Leben nach dem Gefängnisaufenthalt habe er noch häufig auf das Gelernte zurückgreifen können. „Wir haben gelernt, Verantwortung für unsere Taten zu übernehmen und uns zu ändern.“
Die Justizministerin hatte in ihrer Antwort angekündigt, dass ein angepasstes Anti-Aggressionsprogramm derzeit vom Département de la criminologie et de la recherche der Gefängnisverwaltung ausgearbeitet werde und bereits auf der Zielgeraden sei. Davon erfuhr Julia Retzlaff erst durch die Veröffentlichung der Antwort. Mit ihrer langjährigen Praxiserfahrung im Gefängnis sei die Organisation bereit, die Konzeption des neuen Projektes zu unterstützen: „Ich würde mir einen konstruktiven Dialog wünschen. Und dass wir zumindest passiv mitwirken können, so dass die Häftlinge wieder die Unterstützung bekommen, die sie brauchen.“