Krise hoch drei
Die AfD hofft auf einen Pandemie-Profit – damit es sie nicht zerreißt
Der letzte große Erfolg der AfD hat sich gerade in Bayern zugetragen. Man muss das so ausdrücken – denn gefeiert hat sie ihn nicht. Dabei ist die Nummer viral gegangen, so, wie es die Rechtsaußenpartei schätzt. Und beherrscht wie keine zweite deutsche Politformation. Ende März hatte die Fraktionschefin im Münchner Landtag, Katrin Ebner-Steiner, bei Kliniken im Freistaat angefragt, ob denn „ein großer oder nicht unerheblicher Teil“der stationär behandelten Covid-19-Patienten einen Migrationshintergrund habe. Sie habe das „erfahren“. Und wie viele es denn seien?
Man kann das für eine seltsame Frage halten. Oder mit Alexander Häusler reden, Sozialwissenschaftler an der FH in Düsseldorf und AfD-Experte. Pandemie und Migration, sagt Häusler: Das sei der Versuch, das alte AfD-GewinnerThema zusammenzubringen mit dem, das aktuell das Leben der Menschen beherrscht. Habe die Partei auch schon bei den Landtagswahlen im März probiert. Habe nicht funktioniert.
Tatsächlich müht sich die AfD seit dem Sommer, aus der Pandemie Profit zu schlagen. Kooperiert mit der „Querdenker“-Bewegung, schmäht sie die Corona-Politik als „Diktatur“. Nur geht die Rechnung nicht auf. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verlor sie ein Drittel der Stimmen – und bundesweit liegt sie ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl klar hinter den 12,6 Prozent von 2017. Die Pandemie indes ist daran bestenfalls mittelbar schuld. Die AfD bastelt sich ihre Krisen schon selbst.
Acht Jahre nach ihrer Gründung ist die Partei nicht einmal mehr der „gärige Haufen“, den einst Alexander Gauland erfand, um der ewig streitenden AfD ein nettes Etikett anzupappen. Experte Häusler trennt die 32 000 Mitglieder – Tendenz aktuell sinkend – in drei Gruppen: Die National-Liberalen,
die sich am längst ausgetretenen Gründer Bernd Lucke orientieren. Die National-Konservativen à la Gauland, die offen für Rechtsextremismus sind. Und die Völkisch-Nationalistischen auf der extremen Rechten, die sich um ihr Idol Björn Höcke scharen. „Chaotisch“nennt Häusler den Zustand der AfD von Gründung an.
Bis vor kurzem war das egal. Die AfD wurde gewählt als DagegenPartei; Inhalte und Zustände zählten nicht. Aber allerspätestens mit der in Rede stehenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist der Aufstieg gestoppt; der Mythos vom kurz bevorstehenden Sturz des „Systems“leuchtet nicht mehr. Zumindest nicht im Westen, in der alten Bundesrepublik.
Ost-Verbände machen Druck
Im Osten liegen die rechten Dinge anders, immer schon. In allen fünf Ländern ist die AfD größte Oppositionspartei, ihre Ergebnisse liegen um die 25 Prozent – eben hat sie in Sachsen umfragemäßig die regierende CDU passiert: 29,6 zu 27,3. Und nun schickt der überwiegend völkisch-nationalistische Osten sich an, die ganze AfD zu übernehmen.
Man wird das ab Samstag live beobachten können. In Dresden wird Parteitag gehalten – physisch, trotz Pandemie. Ehe es aber ums Wahlprogramm geht, wird sich die AfD eine ihrer berüchtigten Schlachten liefern. Der komplette Osten – und zwei Westverbände – möchten in Dresden einen oder auch mehrere Spitzenkandidaten küren. Obwohl die Parteibasis eine Urwahl will. Und außerdem beantragen „50 Mitglieder“, Jörg Meuthen abzuwählen – wie Tino Chrupalla „Bundessprecher“, also Vorsitzender.
Wer den Abwahlantrag liest, kriegt eine Idee von den Sitten in der angeblich so werteorientierten Partei. Meuthen wird darin als bockiges Sandkastenkind beschrieben. Und bekommt „Unvermögen“attestiert.
Abgewählt aber wird er in Dresden wohl nicht. Die Zerrissenheit soll nicht noch zelebriert werden, so knapp vor der Bundestagswahl. Und es wird ja schon genug darüber gestritten werden, wer die AfD hineinführen soll. Gauland – vielleicht nicht mehr Herz, ganz sicher aber noch Hirn der Partei – mag nicht. Er ist 80 inzwischen, wirkt oft müde – und hat sich erst spät entschieden, überhaupt in den Bundestag zurückkehren zu wollen. Seine Co-Fraktionschefin Alice Weidel ist in eine Spendenaffäre verwickelt. Wie Meuthen. Dem fehlt selbst für eine Bundestagskandidatur die Unterstützung. Bleibt – Chrupalla.
Er ist Gaulands Ziehkind. Stammt aus Ostsachsen. Und tut alles, um die ganze AfD auf OstKurs zu bugsieren. Der zielt auf mehr Rente oder ein Grundeinkommen – aber nur für Menschen mit deutschem Pass. Parole: National und sozial. Experte Häusler sagt, das sei der Versuch, die Menschen mit „Sozialpatriotismus zu füttern“. Die AfD hoffe darauf, dass die Pandemie „die soziale Schere noch weiter öffnet“. Falls die Verbindung mit ihrem Lieblingsthema Migration nicht klappt.
Bislang sieht es nicht danach aus. Auf die Anfrage aus München antwortete der Geschäftsführer der Ochsenfurter Main-Klinik, Alexander Schraml, er habe „erfahren“, dass „ein großer oder nicht unerheblicher Teil Ihrer Fraktion an einer moralischen und intellektuellen Dysfunktion“leide. Ob ihm daher mitgeteilt werden könne, wie viele AfD-Abgeordnete dies betreffe?
Das weltweite Netz jubelt. Nur die AfD-Blase mault über die „polemische und inakzeptable Ausdrucksweise“. Da jauchzt das Netz erst recht.
Im Osten liegen die rechten Dinge anders, immer schon.