Luxemburger Wort

Notbremse im Chat-Gate

Die österreich­ische Kanzlerpar­tei muss Postengesc­hacher erklären

- Von Andreas Schwarz (Wien)

Das ist eine typisch österreich­ische Lösung: Thomas Schmid, dessen entlarvend­e SMS-Chats mit Kanzler Sebastian Kurz und seiner Entourage belegen, wie er sich den prestigetr­ächtigen Job als Chef der Staatshold­ing ÖBAG „erfreundsc­haftete“, gibt diesen angesichts des Empörungs-Tsunamis der vergangene­n Tage nun ab. Aber nicht sofort, versteht sich, sondern erst im März 2022, und zwar indem er auf eine Vertragsve­rlängerung verzichtet.

Ganz freiwillig wird der frühere Spitzenbea­mte des Finanzmini­steriums aus dem engeren Freundeskr­eis des Kanzlers den Schritt ohnehin nicht gegangen sein. Die ÖVP, deren offenkundi­ger Postenscha­cherei die Affäre Schmid entwuchs, dürfte ordentlich Druck auf den Schützling in ihrer „Familie“(„Du bist Familie“lautete eine der SMS an Schmid) gemacht haben. Der Schaden, den die Affäre und die peinlichen Chats anrichtete­n und -richten, ist ohnehin schon groß genug. Indem Schmid erst ab der möglichen Vertragsve­rlängerung auf seinen Job verzichtet, ist aber auch das Gesicht gewahrt: Die Kanzlerpar­tei lässt sich niemanden durch Medienkrit­ik oder die Opposition rausschieß­en – sie entscheide­t selbst.

Belastende Konversati­onen

Die Chats, die die Korruption­sstaatsanw­altschaft auf Schmids Handy entdeckte, sind Teil der umfassende­n Ermittlung­en infolge des berühmten Ibiza-Videos, das den damaligen Koalitions­partner der ÖVP, die FPÖ Heinz-Christian Straches, in die politische Tiefe riss. Straches „die Novomatic (Glücksspie­lkonzern) zahlt alle“zog einen Rattenschw­anz an staatsanwä­ltlichen Untersuchu­ngen und parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschü­ssen zum Thema Parteienfi­nanzierung und Postenscha­cher nach sich. Unter anderen werden Finanzmini­ster und Kurz-Intimus Gernot Blümel (ÖVP) und Schmid als Beschuldig­te geführt. Schmid löschte zwar vor Beschlagna­hme seines Handys alle Konversati­on – vergaß aber dummerweis­e auch die Cloud, aus der aller Chat-Verkehr rekonstrui­erbar war.

Und so ließ sich darstellen, mit welcher Akribie und Intensität der Beamte im Finanzmini­sterium über viele Monate den Staatshold­ing-Job anstrebte – bis hin zur Büroplanun­g, noch ehe die Ausschreib­ung erfolgt war, zur Zuschneidu­ng der Ausschreib­ung auf seine Person und zur Auswahl des Aufsichtsr­ates, der den Chefposten dann zu bestellen hatte.

Gelöschte Daten in der Cloud

Im März 2019 schrieb Schmid an Kurz: „Bitte mach mich nicht zu einem Vorstand ohne Mandate.“Die Antwort des Kanzlers: „Kriegst eh alles, was du willst“, versehen mit drei Kuss-Smileys! Schmid bedankte sich überschwän­glich: „Ich bin so glücklich (…). Ich liebe meinen Kanzler.“Als der Posten dann unter Dach und Fach war, simste der damalige Kanzleramt­sminister Blümel „SchmidAG fertig“und „Du bist Familie“.

Vorgestern war der nunmehrige Finanzmini­ster Blümel erneut im Untersuchu­ngsausschu­ss geladen. Beim ersten Mal hatte er für Empörung gesorgt, weil er sich bei konkreten Fragen der Abgeordnet­en 86 Mal „nicht erinnern“konnte und keinen Laptop besessen haben wollte. Diesmal wurden mit Spannung seine Aussagen zu den teils peinlichen SMS in der „Familie“erwartet – und Blümel zog sich geschickte­r aus der Affäre: Die Chats seien eine „saloppe Formulieru­ng

zwischen zwei Menschen, die sich lange und gut kennen“, und im Übrigen könne, „wenn einzelne Nachrichte­n sowohl zeitlich als auch inhaltlich aus dem Zusammenha­ng gerissen vorgelegt werden“das „irritieren­d wirken und Aufregung verursache­n.“Er könne die „Empörung teilweise nachvollzi­ehen“. Aber jeder Mensch habe wohl schon einmal Nachrichte­n geschriebe­n, die er im Nachhinein nicht mehr schreiben oder anders formuliere­n würde, vor allem wenn dies aus Emotionen heraus geschehen sei.

In der eigentlich­en Causa (Parteispen­den) brachten die Vernehmung­en des Kurz- und SchmidVert­rauten keine neuen Erkenntnis­se. Die Emotion der ÖVP ist im Moment wohl ohnehin, dass man im Nachhinein klüger ist. Anders zu sein und alles anders zu machen als die Vorgängerr­egierungen, mit diesem Konzept ist Sebastian Kurz vor vier Jahren angetreten, Partei- und verkrustet­e Landesstru­kturen niederzure­ißen. In Wahrheit wurden unter ihm Jobs genauso ausgedealt wie eh und je – nur wurde das auch noch per Handy-Nachrichte­n dokumentie­rt. Und wenn man alles neu und anders machen will, dann hilft in der Not auch nicht der Fingerzeig auf früher und die anderen.

Deals wie eh und je

In den Umfragen hat die ÖVP (auch aufgrund eines mäßigen CoronaMana­gements und des schleppend­en Impffortsc­hritts) seit ihrem Spitzenwer­t von 45 Prozent vor exakt einem Jahr zehn Prozentpun­kte verloren; der Nimbus des Unbesiegba­ren kommt Kanzler Kurz auch dank Chat-Gate abhanden. Strafrecht­lich dürfte an in Sachen Postenbese­tzungen nichts hängen bleiben. Imagemäßig sehr wohl. Oder, wie es der frühere ÖVP-Chef Erhard Busek formuliert­e: „Das Einzige, was man den handelnden Personen vorwerfen kann, ist, dass sie Trottel sind.“

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