Notbremse im Chat-Gate
Die österreichische Kanzlerpartei muss Postengeschacher erklären
Das ist eine typisch österreichische Lösung: Thomas Schmid, dessen entlarvende SMS-Chats mit Kanzler Sebastian Kurz und seiner Entourage belegen, wie er sich den prestigeträchtigen Job als Chef der Staatsholding ÖBAG „erfreundschaftete“, gibt diesen angesichts des Empörungs-Tsunamis der vergangenen Tage nun ab. Aber nicht sofort, versteht sich, sondern erst im März 2022, und zwar indem er auf eine Vertragsverlängerung verzichtet.
Ganz freiwillig wird der frühere Spitzenbeamte des Finanzministeriums aus dem engeren Freundeskreis des Kanzlers den Schritt ohnehin nicht gegangen sein. Die ÖVP, deren offenkundiger Postenschacherei die Affäre Schmid entwuchs, dürfte ordentlich Druck auf den Schützling in ihrer „Familie“(„Du bist Familie“lautete eine der SMS an Schmid) gemacht haben. Der Schaden, den die Affäre und die peinlichen Chats anrichteten und -richten, ist ohnehin schon groß genug. Indem Schmid erst ab der möglichen Vertragsverlängerung auf seinen Job verzichtet, ist aber auch das Gesicht gewahrt: Die Kanzlerpartei lässt sich niemanden durch Medienkritik oder die Opposition rausschießen – sie entscheidet selbst.
Belastende Konversationen
Die Chats, die die Korruptionsstaatsanwaltschaft auf Schmids Handy entdeckte, sind Teil der umfassenden Ermittlungen infolge des berühmten Ibiza-Videos, das den damaligen Koalitionspartner der ÖVP, die FPÖ Heinz-Christian Straches, in die politische Tiefe riss. Straches „die Novomatic (Glücksspielkonzern) zahlt alle“zog einen Rattenschwanz an staatsanwältlichen Untersuchungen und parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zum Thema Parteienfinanzierung und Postenschacher nach sich. Unter anderen werden Finanzminister und Kurz-Intimus Gernot Blümel (ÖVP) und Schmid als Beschuldigte geführt. Schmid löschte zwar vor Beschlagnahme seines Handys alle Konversation – vergaß aber dummerweise auch die Cloud, aus der aller Chat-Verkehr rekonstruierbar war.
Und so ließ sich darstellen, mit welcher Akribie und Intensität der Beamte im Finanzministerium über viele Monate den Staatsholding-Job anstrebte – bis hin zur Büroplanung, noch ehe die Ausschreibung erfolgt war, zur Zuschneidung der Ausschreibung auf seine Person und zur Auswahl des Aufsichtsrates, der den Chefposten dann zu bestellen hatte.
Gelöschte Daten in der Cloud
Im März 2019 schrieb Schmid an Kurz: „Bitte mach mich nicht zu einem Vorstand ohne Mandate.“Die Antwort des Kanzlers: „Kriegst eh alles, was du willst“, versehen mit drei Kuss-Smileys! Schmid bedankte sich überschwänglich: „Ich bin so glücklich (…). Ich liebe meinen Kanzler.“Als der Posten dann unter Dach und Fach war, simste der damalige Kanzleramtsminister Blümel „SchmidAG fertig“und „Du bist Familie“.
Vorgestern war der nunmehrige Finanzminister Blümel erneut im Untersuchungsausschuss geladen. Beim ersten Mal hatte er für Empörung gesorgt, weil er sich bei konkreten Fragen der Abgeordneten 86 Mal „nicht erinnern“konnte und keinen Laptop besessen haben wollte. Diesmal wurden mit Spannung seine Aussagen zu den teils peinlichen SMS in der „Familie“erwartet – und Blümel zog sich geschickter aus der Affäre: Die Chats seien eine „saloppe Formulierung
zwischen zwei Menschen, die sich lange und gut kennen“, und im Übrigen könne, „wenn einzelne Nachrichten sowohl zeitlich als auch inhaltlich aus dem Zusammenhang gerissen vorgelegt werden“das „irritierend wirken und Aufregung verursachen.“Er könne die „Empörung teilweise nachvollziehen“. Aber jeder Mensch habe wohl schon einmal Nachrichten geschrieben, die er im Nachhinein nicht mehr schreiben oder anders formulieren würde, vor allem wenn dies aus Emotionen heraus geschehen sei.
In der eigentlichen Causa (Parteispenden) brachten die Vernehmungen des Kurz- und SchmidVertrauten keine neuen Erkenntnisse. Die Emotion der ÖVP ist im Moment wohl ohnehin, dass man im Nachhinein klüger ist. Anders zu sein und alles anders zu machen als die Vorgängerregierungen, mit diesem Konzept ist Sebastian Kurz vor vier Jahren angetreten, Partei- und verkrustete Landesstrukturen niederzureißen. In Wahrheit wurden unter ihm Jobs genauso ausgedealt wie eh und je – nur wurde das auch noch per Handy-Nachrichten dokumentiert. Und wenn man alles neu und anders machen will, dann hilft in der Not auch nicht der Fingerzeig auf früher und die anderen.
Deals wie eh und je
In den Umfragen hat die ÖVP (auch aufgrund eines mäßigen CoronaManagements und des schleppenden Impffortschritts) seit ihrem Spitzenwert von 45 Prozent vor exakt einem Jahr zehn Prozentpunkte verloren; der Nimbus des Unbesiegbaren kommt Kanzler Kurz auch dank Chat-Gate abhanden. Strafrechtlich dürfte an in Sachen Postenbesetzungen nichts hängen bleiben. Imagemäßig sehr wohl. Oder, wie es der frühere ÖVP-Chef Erhard Busek formulierte: „Das Einzige, was man den handelnden Personen vorwerfen kann, ist, dass sie Trottel sind.“