„Brutale Ehrlichkeit ist wichtig“
Die Handballschiedsrichter Alain Rauchs und Philippe Linster ziehen nach ihrem europäischen Halbfinale Bilanz
Das Halbfinal-Rückspiel im EuropeanCup der Handballfrauen am vergangenen Samstag war nicht irgendein Spiel. Es war eine internationale Spitzenpartie, bei der sich die Mannschaft aus Malaga in einem rein spanischen Duell gegen A Guarda durchsetzte. Das Team gewann mit 21:19, nachdem es schon das Hinspiel mit 23:18 gewonnen hatte. Geleitet wurde die Begegnung von zwei Luxemburgern: Für Alain Rauchs (33 Jahre) und Philippe Linster (31) war es die größte Nominierung ihrer bisherigen Schiedsrichterkarriere.
Alain Rauchs, Philippe Linster, wie war's in Malaga?
Alain Rauchs: Im Spiel selbst gab es keinen großen Unterschied zu anderen Spielen. Wir sind mit der gleichen Konzentration reingegangen. Und zur Halbzeit war es auch noch spannend. Malaga hatte einen Vorsprung aus dem Hinspiel, lag aber zur Pause zurück.
Philippe Linster: Die Nominierung war das Beste. Es war immerhin ein europäisches Halbfinale, das macht die Sache schon sehr speziell. Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir aus Luxemburg kommen. Aus einem Land, das keine reine Profiliga hat. Deshalb hat man uns sehr viel Verantwortung übertragen, was ein großes Kompliment ist.
A.R.: Und es waren wieder Zuschauer dabei, etwa 400. Mit etwas Stimmung in der Halle macht es einfach mehr Spaß.
Haben die Zuschauer noch ein bisschen mehr Druck aufgeladen?
P.L.: Es war eine Umstellung, das stimmt schon. Vor allem, weil wir es in letzter Zeit gewohnt waren, in normaler Lautstärke über das Headset miteinander zu sprechen. Diesmal war es in der Halle sehr laut. Aber das belebt das Spiel.
A.R.: Wenn man in Spanien pfeift, versteht man ja nicht, was die Zuschauer rufen. Das kann ein Vorteil sein. Aber grundsätzlich ist der Handball mit Fans natürlich viel schöner.
Waren Sie mit Ihrer Leistung zufrieden?
A.R.: Es war ganz okay. Nach den Spielen müssen wir uns immer selbst bewerten. Und auch vom vierten Delegierten, der dabei war, haben wir eine gute Bewertung bekommen. Aber Philippe und ich werden uns das Spiel noch einmal anschauen und auseinandernehmen.
Der offensichtliche Unterschied zum allgemein besser bekannten Fußballschiedsrichter ist, dass zwei Unparteiische das Sagen haben. Worauf kommt es an?
A.R.: Wir sind gleichwertig, das ist sehr wichtig. Wir sind noch jung und wollen weiter vorankommen, und das geht nicht mit irgendjemandem. Wir verbringen sehr viel Zeit miteinander und sind gut befreundet. Das Zwischenmenschliche ist entscheidend, denn wir müssen auch unsere Entscheidungen zusammen treffen. Wenn ich etwas pfeife, hängt Philippe immer mit drin.
P.L.: Bei uns ist die Konstellation aber etwas speziell, weil wir von Natur aus unterschiedlich sind. Alain ist eher ruhig und ich mehr extrovertiert. Aber ich finde es gut, dass wir manchmal andere Ansichten haben. Es ist ein gute Mischung, jeder lernt vom anderen.
A.R.: Das stimmt. Es ist sehr wichtig, dass wir die Ratschläge des Anderen auch annehmen. Daran haben wir viel gearbeitet. Körpersprache und unser Auftreten rund um das Spiel sind Dinge, die wir immer wieder ansprechen.
P.L.: Dabei geht es zwischen uns auch nicht immer friedlich zu. Es kann auch mal lauter werden. Diese brutale Ehrlichkeit ist wichtig.
Was ist daran brutal?
Bei der Spielanalyse darf man nichts schönreden und muss Fehler ganz klar ansprechen. Das Feedback von außen hat uns bei Turnieren immer am meisten geholfen. Da geht es vor allem um Fingerspitzengefühl, eben um Sachen, die in keinem Lehrbuch stehen. Und dabei bekommt man
P.L.:
nicht immer Komplimente. Das ist aber der einzige Weg, wirklich dazuzulernen.
Was spricht bei solchen Spielen für das Duo Linster/Rauchs?
A.R.: Wenn wir eingeladen wurden, haben wir unsere Sache immer gut gemacht. Wir sind auch immer gut vorbereitet, was die Regeln, das Turnier oder unsere Fitness betrifft. Außerdem sucht man auf internationalem Niveau Schiedsrichtergespanne aus verschiedenen Ländern.
P.L.: Hinzu kommt, dass wir aus Luxemburg kommen. Die Verantwortlichen wissen oft noch nicht, was wir können, weil es hier im Land keine Ausbildung wie in anderen Ländern gibt.
Was fehlt in Luxemburg?
A.R.: Beim europäischen Handballverband EHF gibt es das Young Referee Programme. Aber der Luxemburger Verband FLH tut sich schwer, es zu nutzen. Nach uns wurde nur ein weiteres Paar dorthin geschickt.
P.L.: Das Schiedsrichterwesen wird in Luxemburg stiefmütterlich behandelt. Dafür muss man Geld und Zeit aufbringen. Wenn man sieht, was in anderen Ländern läuft, wünscht man sich schon professionellere Strukturen. Manchmal braucht es aber auch mehr Proaktivität von Spielern selbst oder Clubs, die sagen könnten: Schau mal, es gibt die Möglichkeit, als Schiedsrichter Karriere zu machen.
Im Vergleich zum Fußballer gilt der Handballer als von Natur aus fair und pflegeleicht. Stimmt das und macht das die Arbeit für Sie einfacher?
A.R.: Da ist teilweise etwas dran. Vor allem auf Spitzenniveau gibt es niemanden, der sich drei Mal über den Boden rollt, um einen Pfiff zu bekommen. Ein Spieler, der durch
Schauspielerei auffällt, würde nicht mehr akzeptiert werden.
Auf niedrigerem Niveau gibt es aber auch den ein oder anderen Handballer, der versucht, Strafen zu provozieren.
P.L.: Wir haben den Vorteil, dass unser Regelwerk mehr Möglichkeiten hat als im Fußball. Dort gibt es nur Gelb oder Rot, wir haben noch die Zwei-Minuten-Strafe. Außerdem gibt es eine neue Regel, die besagt, dass ein Spieler, der auf dem Spielfeld medizinisch behandelt wurde, dieses erst wieder betreten darf, wenn seine Mannschaft drei Angriffe abgeschlossen hat. Das schreckt ab. Seitdem sieht man immer wieder Spieler, die lieber schnell selbst vom Feld humpeln.
A.R.: Ich glaube, dass es im Handball schon eine gewisse Akzeptanz der Fairness gibt. Nicht nur uns gegenüber, auch zwischen den Spielern. Sie sehen sich als Vorbilder, was im Fußball vielleicht nicht immer der Fall ist.
Wie kommt man auf die Idee, Handballschiedsrichter zu werden?
P.L.: Ich finde, dass es sehr wichtig ist, dass man als Schiedsrichter auch selbst gespielt hat, um zu wissen, wie das Spiel läuft. Wir haben beide in Esch gespielt und uns auch dort kennengelernt. Während eines Spiels hat uns das Schiedsrichtergespann nicht gefallen und wir haben uns gesagt: Das können wir besser. Wir hatten keine Vorstellung, wo uns das hinführen wird, weil wir noch sehr jung waren. Der damalige FLH-Präsident Arsène Welter hat uns ins EHF-Programm gesteckt. Das war gut für uns und hat enorm zu unserer Entwicklung beigetragen.
War dieses europäische Halbfinale der bisherige Karrierehöhepunkt oder gab es noch schönere Momente?
P.L.: Das größte Lob sind schon die Nominierungen, weil man sieht, dass es voran geht. Über die E-Mail vor dem Halbfinale haben wir uns sehr gefreut, das sind Riesenkomplimente. Es zeigt, dass sich die Arbeit auszahlt, die man reinsteckt.
A.R.: Das luxemburgische Pokalfinale 2018 zwischen Petingen und dem späteren Sieger Berchem war besonders. Es war ein super Spiel mit Verlängerung, jeder hat gekämpft und beide Fanblocks haben sich am Ende über die Partie gefreut. Und wir haben dazu beigetragen, dass es so positiv abgelaufen ist.
P.L.: Auf dem Feld sind die Höhepunkte immer die spannenden Spiele mit vielen Zuschauern.
Eine enge Partie, die sportlich entschieden wurde und bei der am Ende niemand auf uns einschlägt, ist optimal.
Auf Spitzenniveau gibt es niemanden, der sich drei Mal über den Boden rollt, um einen Pfiff zu bekommen. Alain Rauchs
Also stimmt es, dass ein Schiedsrichter immer dann zufrieden sein kann, wenn nach dem Spiel nicht über ihn geredet wird?
P.L.: Ja, wenn wir nicht zum Thema werden, ist das unser Kompliment. Ich brauche niemanden, der mir nach dem Spiel sagt: Danke, du hast super gepfiffen.