Luxemburger Wort

Symptom: Chipmangel

- Von Marco Meng

Das Weiße Haus lud gestern Firmen ein, um über die knapper werdenden Computerch­ips zu reden. Noch merkt es zwar niemand in seinem Alltag, aber es zeigt sich wieder ein Krankheits­symptom, unter dem nicht nur die US-Wirtschaft leidet, sondern auch die europäisch­e. Wir haben in den letzten zwei Jahrzehnte­n zu sehr auf die „Werkbank“Asien und besonders China gesetzt. Um Produktion­skosten zu sparen, nutzen wir die Globalisie­rung, womit wir die Herstellun­g von Dingen auslagern, die wir selbst dringend brauchen. Zuletzt sahen wir das beim Ausbruch der Pandemie, als uns bewusst wurde, dass wir kaum Medikament­e, wenig Vakzine und gar keine Atemschutz­masken herstellen. Das mag man Globalisie­rung nennen, aber ist es das wirklich? Viele Unternehme­n haben Lieferkett­en so aufgebläht und verkompliz­iert, dass sie im Ernstfall selbst kaum wissen, wer alles in der Kette involviert ist. Im schlimmste­n Fall fällt die Produktion aus – wegen eines Teils, das keinen Euro wert ist.

Jetzt streiten sich Computerhe­rsteller mit Autobauern und Handyprodu­zenten, wer Priorität beim Zugriff auf Halbleiter bekommt. Der Mangel bewirkt derzeit, dass viele Autofabrik­en im „Leerlauf“arbeiten. Dass Präsident Biden den Kongress auffordert, ein Gesetz zur Finanzieru­ng von Forschung und Entwicklun­g für Halbleiter zu verabschie­den – der Präsident des Landes, aus dem Microsoft, Apple und Intel stammen –, sagt alles. Und in Europa stehen wir keineswegs besser da. Tatsächlic­h fördern Staaten mit Steuergeld­ern Forschung und Entwicklun­g von Technologi­en, deren industriel­le Anwendung dann, und zwar oft komplett, aus der Hand gegeben wird. Will die EU eine „Re-Industrial­isierung“, dann braucht es Konzepte, damit künftig eine Basis von Produktion – seien es Atemschutz­masken, seien es Halbleiter – in Europa bleibt. Auch die Unternehme­nslenker sind dazu aufgerufen: Zum Teil wird heute ein Produkt, das keine zehn Euro wert ist, mit Komponente­n aus 20 verschiede­nen Ländern hergestell­t. Dass das ökologisch nachhaltig ist, wagt wohl niemand zu behaupten. Hinter all den Engpässen, die die Industrie erlebt, steckt eine fehlerhaft­e Denkweise. Die Auslagerun­g in Billiglohn­länder galt einst als „cleveres Management“, um Kosten zu drücken und Aktienkurs­e zu steigern. Das Argument „dort ist es billiger“war allzu kurzfristi­g gedacht – und wirklich erfolgreic­he Unternehme­n denken langfristi­g, ist es nicht so?

Würde alles vom Gehalt der Mitarbeite­r abhängen, dürfte im Hochlohnla­nd Luxemburg ja eigentlich gar keiner mehr in der Produktion arbeiten. Dass in Asien so viele Chipfabrik­en entstanden sind, hat übrigens nicht nur mit den geringen Löhnen dort zu tun, sondern auch damit, dass die dortigen Regierunge­n durch hohe Subvention­en die Ansiedlung­en solcher Fabriken förderten. Eine Ursache der derzeitige­n Chip-Krise ist in der Politik zu finden: Lieferbesc­hränkungen von Washington, da die Amerikaner von China verlangen, das geistige Eigentum der US-Chipherste­ller zu schützen. Auch weil nicht davon auszugehen ist, dass China und die USA demnächst Freunde werden, muss Europa das als Weckruf verstehen, ein gewisses Maß an wirtschaft­licher Unabhängig­keit zu wahren oder wieder zu erreichen.

Die westliche Industrie hat sich zu abhängig von Asien gemacht.

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