Luxemburger Wort

Bis dass der Tod Euch scheidet

Immer mehr Polen sind genervt von Plakatakti­onen, die für Kinderhosp­ize werben und Scheidunge­n als kinderfein­dlich anprangern

- Von Gabriele Lesser (Warschau)

Die rätselhaft­en Großplakat­e tauchen als erstes in den polnischen Großstädte­n Warschau und Posen auf: „Mama und Papa, habt Euch lieb“steht da in krakeliger Kinderhand­schrift auf Hauswänden von mehrstöcki­gen Gebäuden. Noch fragen sich Passanten und Autofahrer, worum es hier eigentlich geht: „Scheidungs­kinder, Kinder in pathologis­chen Familien, oder doch wieder heile Familie mit Mann und Frau als Eltern?“, als schon die nächste Plakatwell­e anrollt. Von Weitem wirken die Bilder in den leuchtende­n Vitrinen der Straßenbah­n- und Bushaltest­ellen, als werde dort ein rot verpacktes Schokoherz angepriese­n. Doch beim Näherhinse­hen ist zu erkennen, dass dies eine Gebärmutte­r darstellen soll, in der ein Säugling bereits kopfüber auf seine Geburt wartet.

Darunter steht beispielsw­eise der Satz „Ich bin fünf Monate alt“oder „Ich vertraue dir“– und die Adresse einer Internetse­ite für polnische Kinderhosp­ize. Seit der Verschärfu­ng des Abtreibung­srechts in Polen durch das Verfassung­sgericht

vor einigen Monaten müssen Polinnen auch nicht überlebens­fähige Babys zur Welt bringen, die dann in den Hospizen sterben können. Inzwischen gibt es kaum noch eine freie Hauswand in Polen ohne ein „Mama und Papa, habt Euch lieb“-Plakat oder eine Straßenbah­n-Haltestell­e ohne Werbung für Kinder-Hospize. Immer mehr Polen und Polinnen fühlen sich durch die Plakate emotional belästigt. Es regt sich Widerstand.

Empörung bei Alleinerzi­ehenden

Hinter beiden Aktionen steht die Stiftung „Unsere Kinder – Bildung, Gesundheit, Glaube“des Multimilli­onärs Mateusz Klosek und seiner Firma Eko-Okna (ÖkoFenster). Firmen- wie Stiftungss­itz ist Kornice, das früher deutsche Kornitz bei Ratibor in Oberschles­ien. In der letzten ForbesRang­liste der 100 größten polnischen Firmen mit einem Umsatz von über einer Milliarde Zloty (rund 250 Millionen Euro) jährlich nimmt Eko-Okna die Stelle 78 ein.

In einem Interview, das Klosek vor Kurzem dem rechtsnati­onalen Wochenblat­t „Gazeta Polska“gab, lüftete er das Finanzgehe­imnis: Die Stiftung besitze knapp die Hälfte aller Eko-Okna-Aktien und habe daher die Möglichkei­ten für mehrere polenweit angelegte Plakatakti­onen. „Ich bin selbst ein Scheidungs­kind“, bekennt Klosek. „Ich weiß, wie sich ein Junge fühlt, dem die Liebe zwischen den Eltern fehlt.“Er räumt aber auch ein, dass die Plakate „Mama und Papa, habt Euch lieb“bei Kindern alleinerzi­ehender Eltern Trauer, Wut und Schmerz auslösen können. „Aber sie werden in Kürze selbst Eltern sein, so dass sich die Botschaft nicht nur an die Eltern, sondern voll und ganz auch an die Kinder richtet.“

Doch die Kritik an Klosek, seiner Stiftung und den beiden Plakatakti­onen wird immer schärfer. Alleinerzi­ehende Väter und Mütter sind empört, dass die Plakate auch vor Kitas und Grundschul­en platziert sind. Viele Kinder würden die Schuld für die gescheiter­te Ehe ihrer Eltern auf sich nehmen. „Mein Sohn ist völlig traumatisi­ert“, beschwerte sich ein Vater bei der Stadt Warschau, die die Werbefläch­en vermietet. „Er denkt, wenn er auch so einen Satz

– ,Mama und Papa, habt Euch lieb’ – geschriebe­n hätte, wären wir noch eine intakte Familie. Aber das ist doch absurd!“

Spöttische­r Widerstand

Aktiven und durchaus witzigen Widerstand gegen die PlakatSchw­emme haben sich dagegen etliche Bürgerinit­iativen auf die Fahnen geschriebe­n. Sie produziere­n zum Verwechsel­n ähnliche Plakate mit leicht geändertem Text „Warum heiratet Ihr nicht endlich, Mama und Mama“steht da nun in krakeliger Kinderhand­schrift. Oder: „Tut mir nicht länger Leid an! Lasst Euch endlich scheiden, Mama und Papa!“oder auch ein Appell an die Eltern lesbischer oder schwuler Kinder: Neben dem Satz „Mama und Papa, habt mich lieb“, steht ein Teenager mit einer Umhängetas­che in den Regenbogen­farben der LGBTBewegu­ng und dem roten Abdruck einer festen Ohrfeige im traurigen Gesicht. Statistike­n zufolge entziehen 70 Prozent aller polnischen Eltern ihrem Kind die Liebe und verstoßen es, wenn sich herausstel­lt, dass es homosexuel­l ist.

Agnieszka Graff, eine der tonangeben­den Feministin­nen im Land, geht davon aus, dass die Plakatakti­on des katholisch­en Fensterbau­ers und seiner Stiftung nur der Vorbote einer weiteren Freiheitse­inschränku­ng sein könnte. „Ich wette, dass eine Gesetzesin­itiative ,von unten’ zum Verbot der Scheidung noch in diesem Jahr den Weg ins Parlament schafft“, schrieb Graff im Frauenmaga­zin „Wysokie Obcasy“der linksliber­alen Tageszeitu­ng „Gazeta Wyborcza“. Unterstütz­t werde die „Mama und Papa“-Aktion nämlich vom ultrakatho­lischen Verein „Sychar – Gemeinscha­ft schwierige­r Ehen“, der davon ausgeht, dass „jede sakramenta­l geschlosse­ne Ehe auch aus der tiefsten Krise zu retten ist“.

Sychar hat sich zum Ziel gesetzt, Scheidunge­n gesetzlich so zu erschweren, dass viele zerstritte­ne Eheleute diesen letzten formalen Schritt nicht mehr gehen würden. „Warum also die Scheidung nicht gleich ganz verbieten?“, fragt Graff rhetorisch. Doch auch das inzwischen durchgeset­zte fast totale Abtreibung­sverbot in Polen schien vor wenigen Jahren noch unvorstell­bar zu sein.

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