Irans Atomprogramm um Monate zurückgeworfen
Widersprüchliche Berichte über mutmaßlichen israelischen Angriff auf die iranische Urananreicherungsanlage Natans
Der am Sonntagnachmittag gemeldete „Zwischenfall“in der iranischen Urananreicherungsanlage Natans war vermutlich sehr viel schwerwiegender als zunächst von den iranischen Behörden gemeldet. Sie hatten versucht, den Cyberangriff auf die großteils unterirdische Atomanlage im Zentraliran als einen „harmlosen Stromausfall in einigen externen Werkstätten“herunterzuspielen. 24 Stunden später bestätigte der iranische Außenminister Mohammed Dschawad Sarif einen Sabotageakt, bei dem eine „Produktionslinie mit älteren Zentrifugen beschädigt“worden sei.
Diese würden schon bald durch „weiterentwickelte Zentrifugen“ersetzt, behauptete Sarif weiter. Irans Präsident Hassan Ruhani hatte am Samstag in einer virtuellen Zeremonie die Kaskaden von 164 IR-6- und 30 IR-5-Zentrifugen in der Urananreicherungsanlage von Natans offiziell eingeweiht. Die relativ modernen Anlagen sind laut dem 2015 geschlossenen Atomabkommen verboten, weil sie eine deutlich schnellere Urananreicherung ermöglichen.
Rückschlag für Teheran
Internationale Experten, die anonym bleiben wollen, gehen davon aus, dass die leistungsstarken IR-6-Zentrifugen das Ziel des Sabotageaktes waren. Nach Informationen der „New York Times“, die sich auf zwei Geheimdienstmitarbeiter beruft, soll „bei einer angeblich israelischen Operation Sprengstoff verwendet worden sein, um das interne Stromsystem der Urananreicherungsanlage in
Natans vollständig zu zerstören“. Die Explosion, bei der es weder Tote noch Verletzte gab, habe schwerste Schäden in der Anlage verursacht. Es könnte mindestens neun Monate dauern, um die Produktion wiederherzustellen. Sollten diese Angaben tatsächlich zutreffen, wäre dies ein weitaus schwererer Rückschlag für das iranische Atomprogramm als bislang von Teheran eingeräumt.
Bereits im Juli vergangenen Jahres hatte ein durch einen Sabotageakt ausgelöster Großbrand in einem Industrieschuppen bei Natans erhebliche Schäden verursacht. Die Entwicklung und Produktion von Zentrifugen könne wegen des Vorfalls auf mittlere Sicht beeinträchtigt werden, hatte die iranische Atomenergiebehörde damals eingeräumt. Wie im vergangenen Jahr haben die iranischen Behörden auch dieses Mal „Zionisten“(die iranische „Sprachregelung“für Israelis) als Schuldige ausgemacht. Diese wollten mit ihren Terroroperationen nicht nur die nuklearen Errungenschaften des Iran, sondern auch die in Wien stattfindenden Atomverhandlungen sabotieren, erklärte der iranische Außenminister Sarif. Beides werde aber nicht passieren. Man werde sich rächen, indem man in beiden Bereichen „erfolgreich“weitermache.
Sarif muss Rechenschaft ablegen Doch sicher ist dies nicht. So forderten iranische Hardliner Staatspräsident Ruhani gestern auf, die Atomgespräche umgehend abzubrechen. „Terror und Verhandlungen passen nicht zusammen“, hieß es in einem Leitartikel der iranischen Nachrichtenagentur Tansim.
Überdies wurde Außenminister Sarif aufgefordert, in seiner Funktion als Atomchefunterhändler dem von Hardlinern dominierten Parlament Rede und Antwort zu stehen.
Die den Revolutionsgardisten nahestehenden Hardliner hatten das vom amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump vor drei Jahren einseitig gekündigte Atomabkommen von Anfang an abgelehnt. Gespräche mit den USA sind in ihren Augen Landesverrat. Die Atommacht Israel wiederum fühlt sich von Iran in seiner Existenz bedroht. Um den Bau einer iranischen Atombombe zu verhindern, hat die Regierung in Jerusalem auch Militäroperationen nicht ausgeschlossen. Zu den jüngsten Sabotageakten in Natans wurde – offiziell – jedoch keine Stellung bezogen.