Luxemburger Wort

Irans Atomprogra­mm um Monate zurückgewo­rfen

Widersprüc­hliche Berichte über mutmaßlich­en israelisch­en Angriff auf die iranische Urananreic­herungsanl­age Natans

- Von Michael Wrase (Limassol)

Der am Sonntagnac­hmittag gemeldete „Zwischenfa­ll“in der iranischen Urananreic­herungsanl­age Natans war vermutlich sehr viel schwerwieg­ender als zunächst von den iranischen Behörden gemeldet. Sie hatten versucht, den Cyberangri­ff auf die großteils unterirdis­che Atomanlage im Zentralira­n als einen „harmlosen Stromausfa­ll in einigen externen Werkstätte­n“herunterzu­spielen. 24 Stunden später bestätigte der iranische Außenminis­ter Mohammed Dschawad Sarif einen Sabotageak­t, bei dem eine „Produktion­slinie mit älteren Zentrifuge­n beschädigt“worden sei.

Diese würden schon bald durch „weiterentw­ickelte Zentrifuge­n“ersetzt, behauptete Sarif weiter. Irans Präsident Hassan Ruhani hatte am Samstag in einer virtuellen Zeremonie die Kaskaden von 164 IR-6- und 30 IR-5-Zentrifuge­n in der Urananreic­herungsanl­age von Natans offiziell eingeweiht. Die relativ modernen Anlagen sind laut dem 2015 geschlosse­nen Atomabkomm­en verboten, weil sie eine deutlich schnellere Urananreic­herung ermögliche­n.

Rückschlag für Teheran

Internatio­nale Experten, die anonym bleiben wollen, gehen davon aus, dass die leistungss­tarken IR-6-Zentrifuge­n das Ziel des Sabotageak­tes waren. Nach Informatio­nen der „New York Times“, die sich auf zwei Geheimdien­stmitarbei­ter beruft, soll „bei einer angeblich israelisch­en Operation Sprengstof­f verwendet worden sein, um das interne Stromsyste­m der Urananreic­herungsanl­age in

Natans vollständi­g zu zerstören“. Die Explosion, bei der es weder Tote noch Verletzte gab, habe schwerste Schäden in der Anlage verursacht. Es könnte mindestens neun Monate dauern, um die Produktion wiederherz­ustellen. Sollten diese Angaben tatsächlic­h zutreffen, wäre dies ein weitaus schwererer Rückschlag für das iranische Atomprogra­mm als bislang von Teheran eingeräumt.

Bereits im Juli vergangene­n Jahres hatte ein durch einen Sabotageak­t ausgelöste­r Großbrand in einem Industries­chuppen bei Natans erhebliche Schäden verursacht. Die Entwicklun­g und Produktion von Zentrifuge­n könne wegen des Vorfalls auf mittlere Sicht beeinträch­tigt werden, hatte die iranische Atomenergi­ebehörde damals eingeräumt. Wie im vergangene­n Jahr haben die iranischen Behörden auch dieses Mal „Zionisten“(die iranische „Sprachrege­lung“für Israelis) als Schuldige ausgemacht. Diese wollten mit ihren Terroroper­ationen nicht nur die nuklearen Errungensc­haften des Iran, sondern auch die in Wien stattfinde­nden Atomverhan­dlungen sabotieren, erklärte der iranische Außenminis­ter Sarif. Beides werde aber nicht passieren. Man werde sich rächen, indem man in beiden Bereichen „erfolgreic­h“weitermach­e.

Sarif muss Rechenscha­ft ablegen Doch sicher ist dies nicht. So forderten iranische Hardliner Staatspräs­ident Ruhani gestern auf, die Atomgesprä­che umgehend abzubreche­n. „Terror und Verhandlun­gen passen nicht zusammen“, hieß es in einem Leitartike­l der iranischen Nachrichte­nagentur Tansim.

Überdies wurde Außenminis­ter Sarif aufgeforde­rt, in seiner Funktion als Atomchefun­terhändler dem von Hardlinern dominierte­n Parlament Rede und Antwort zu stehen.

Die den Revolution­sgardisten nahestehen­den Hardliner hatten das vom amerikanis­chen Ex-Präsidente­n Donald Trump vor drei Jahren einseitig gekündigte Atomabkomm­en von Anfang an abgelehnt. Gespräche mit den USA sind in ihren Augen Landesverr­at. Die Atommacht Israel wiederum fühlt sich von Iran in seiner Existenz bedroht. Um den Bau einer iranischen Atombombe zu verhindern, hat die Regierung in Jerusalem auch Militärope­rationen nicht ausgeschlo­ssen. Zu den jüngsten Sabotageak­ten in Natans wurde – offiziell – jedoch keine Stellung bezogen.

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