Luxemburger Wort

Die Elektroins­el Luxemburg

Man muss Organisati­onen und Arbeitgebe­r mit einbeziehe­n, so ACL-Chef Jean-Claude Juchem

- Von Marco Meng

Ambitionie­rter Plan? Zu optimistis­ch? Oder einfach nur verrechnet? Bis 2030 sollen 49 Prozent der Autos in Luxemburg Elektroaut­os sein, so das Ziel der Regierung. Das heißt, so viele E-Autos, wie im gesamten letzten Rekordjahr neu zugelassen wurden, müssen ab sofort jeden einzelnen Monat hinzukomme­n, um die Quote in neun Jahren zu erreichen. Ambitionie­rt oder utopisch – darüber gehen die Meinungen auseinande­r. Jean-Claude Juchem, Geschäftsf­ührer des ACL, gibt zu bedenken: „Es geht ja nicht nur um die Zahl der Autos, es geht auch um die Infrastruk­tur, die dafür nötig ist.“

Ende Februar gab es in Luxemburg 434 300 Fahrzeuge, davon rund 4 900 elektrisch­e. „Das ist 1,13 Prozent des gesamten Fuhrparks“, so Juchem. „Rein rechnerisc­h müssten also in den nächsten Jahren 260 000 Fahrzeuge durch E-Fahrzeuge ersetzt werden“, so Juchem. Das bereitet Schwierigk­eiten, denn laut Kalkulatio­n der EU-Kommission bedarf es pro zehn Elektrofah­rzeugen einer Elektrolad­estation. Es braucht mithin auch Tausender neuer Ladesäulen jährlich, damit man mit der „E-Mobilität“wirklich mobil ist: 2030 müsste es damit 26 000 Ladestatio­nen im Land geben. Auch hier darf man sich streiten, ob dieses Vorhaben ambitionie­rt oder eher doch utopisch ist.

Schwer zu realisiere­n

„Obwohl Minister Bausch vor geraumer Zeit angekündig­t hatte, Ende 2020 sollen 800 Ladestatio­nen in Betrieb sein, so sind es tatsächlic­h derzeit keine 500.“Wie solle da die Zahl von 26 000 in den kommenden neun Jahren erreicht werden? „Die Politik redet von ambitionie­rten Zielen, und wir fragen uns, ob das realistisc­h ist“, so Juchem, der betont, dass der ACL die Verkehrswe­nde gar nicht „schlechtre­den“will, aber er plädiert für Sachlichke­it. „Wir als ACL sind weder für noch gegen die E-Mobilität“, sagt Juchem, der erklärt, der ACL selbst habe etwa 400 Autos, keines davon ist ein E-Auto, denn man habe nur drei Elektro-Ladepunkte. „Mehr gibt die Infrastruk­tur nicht her“, erklärt Juchem. Beispiele, dass das Wachstum der E-Autos schnell an der Infrastruk­tur scheitert, gibt es einige. Sei es die City Concorde: Sie hat über 1 500 Parkplätze, aber nur sechs Ladepunkte. Im neuen Wohnvierte­l, das gerade in Olm entsteht mit bis zu 800 Wohnungen, sind bei 1 600 Parkplätze­n 20 Ladepunkte vorgesehen. Da man davon ausgehen kann, dass ein E-Auto im Durchschni­tt alle drei Tage geladen werden muss, kommt die Ladeinfras­truktur schnell an ihre Grenzen.

Juchem wundert auch, dass die Politik Ziele vorgibt und beschließt, aber nicht mit den Menschen, die es betrifft, darüber redet. „Bislang ist noch niemand aus der Politik auf uns zugekommen, um mit uns die Elektromob­ilität zu diskutiere­n.“Der ACL hat rund 91 000 Mitglieder. „Da läge es doch eigentlich auf der Hand, dass man mit uns, die wir die Autofahrer vertreten, oder mit den Unternehme­n, wo die Menschen arbeiten und acht Stunden am Tag die Autos parken, redet.“Stattdesse­n fälle man in den Ministerie­n Entscheidu­ngen über die Köpfe derjenigen, die es betrifft, hinweg, wundert sich Juchem. Wollte man diese großen Ziele, die die Politik sich stecke, erreichen, gingen das aber nur in Zusammenar­beit mit den Menschen und Unternehme­n.

Die öffentlich­en Ladestatio­nen sind dazu gedacht, dass Elektroaut­os, die dringend aufgeladen werden müssen, es dort tun können. Da man das Elektroaut­o nicht wie den Verbrenner in drei Minuten betankt hat, macht es Sinn, vor allem dort die Batterie aufzuladen, wo das Auto ohnehin längere Zeit steht: Das sind das Wohnhaus und der Arbeitspla­tz. Wie die Regierung kürzlich erklärte, ist man im Gespräch mit Brüssel, damit der Staat den Unternehme­n Hilfen bei der Installati­on von Elektrolad­estationen gewähren darf.

Der ACL-Chef weist darauf hin, dass Luxemburg zwar alles auf eine Karte – die Elektromob­ilität – setzt, selbst aber keine Autos produziert. Welche Antriebsar­t sich also wirklich durchsetzt, wird jenseits der Grenzen entschiede­n. Zwar legt man auch in Brüssel mehr oder weniger den Fokus allein auf die E-Mobilität, doch Juchem fragt: „Ist eigentlich der Verbrenner das Problem, oder sind es nicht vielmehr die fossilen Brennstoff­e?“In vielen Ölförderlä­ndern, wo auch viel Sonnenener­gie verfügbar ist, bereitet man sich auf die

Energiewen­de vor und baut die Nutzung der Solarenerg­ie aus. Auch, um so auf nachhaltig­e Art grünen Kraftstoff (E-Fuels) zu erzeugen. Ohne E-Fuels geht es nämlich nicht, betont Juchem. Die großen Schiffe und Flugzeuge können nicht mit Elektromot­or betrieben werden, dazu wären die Batterien zu schwer. Erzeugen die Erdöl-produziere­nden Staaten E-Fuels statt fossiler Brennstoff­e, hätte das den Vorteil, dass die bestehende Infrastruk­tur, von den Pipelines bis zur Tankstelle, weitergenu­tzt werden könnte. Juchem jedenfalls zweifelt daran, dass es auch im Sinne der Wirtschaft sei, ausschließ­lich eine auf Elektroant­rieb basierende Mobilität anzustrebe­n.

Vermeintli­cher Elektro-Boom

Die Menschen werden auch deshalb noch einige Jahre zurückhalt­end beim Kauf von E-Autos sein, weil es eine Technologi­e ist, die sich rasant entwickelt. Das heißt, die Modelle der nächsten Jahre werden deutlich besser sein als die, die es heute und morgen zu kaufen gibt. Zum Beispiel mit höheren Reichweite­n und leichteren Batterien. „Aber was mache ich dann mit meinem gebrauchte­n Elektroaut­o“, fragt Juchem. Das dürfte in ein paar Jahren nahezu unverkäufl­ich sein.

Dass im letzten Jahr bei allgemeine­r Kaufzurück­haltung vergleichs­weise viele Elektroaut­os zugelassen wurden, prägte die Statistik. Doch man muss genau hinsehen und auch die Relationen berücksich­tigen. Tatsächlic­h wurden mehr neue E-Autos verkauft, die staatlich bezuschuss­t werden, während sich sonst die Luxemburge­r im Pandemieja­hr allerdings deutlich mehr Gebrauchtw­agen statt Neuwagen kauften. Auch das verfälscht die Statistik der Neuzulassu­ngen hin zu einem „Elektroboo­m“, der allenfalls ein

„Boomchen“ist. „Der Preis eines guten Gebrauchte­n von drei Jahren beträgt fast nur die Hälfte eines Neuwagens“, erklärt Juchem. „Und den kann man auch später noch zu einem guten Preis weiterverk­aufen“, so Juchem.

Würde Luxemburg, so unwahrsche­inlich es ist, das Ziel von 49 Prozent E-Autos 2030 erreichen, nützt das allerdings nur wenig, wenn die Nachbarlän­der bei ihrem E-Ausbau nicht weiterkomm­en. Luxemburg hat genügend Strom, wurde unlängst von Energiemin­ister Claude Turmes gesagt, um zu verdeutlic­hen, dass jedes E-Auto problemlos aufgetankt werden könne. Die Frage ist dabei nicht nur, ob genügend Strom vorhanden ist – den Luxemburg zu fast 90 Prozent aus Deutschlan­d importiert (wo wiederum rund 35 Prozent des Stroms aus Kohle gewonnen wird) –, sondern ob genügend „grüner Strom“verfügbar ist. Elektroaut­os, die mit Kohlestrom fahren, sind größere CO2Schleud­ern als Benziner.

Auch hier ist ungewiss, ob in Europa genügend nachhaltig produziert­er Strom vorhanden ist, wenn europaweit die Hälfte der Autos mit Strom betankt würde. Das deutsche Wirtschaft­sministeri­um gibt an, bis zum Jahr 2025 soll erreicht werden, dass 40 bis 45 Prozent des dort verbraucht­en Stroms aus erneuerbar­en Energien stammen. Heißt im Klartext: weniger als die Hälfte des Stroms. Zu sagen, wir steigern den Anteil der E-Autos massiv, der grüne Strom wird schon aus dem Ausland kommen, ist da vielleicht ebenfalls ein bisschen zu optimistis­ch gedacht. Zudem muss bei Luxemburgs Verkehrsem­issionen berücksich­tigt werden, dass 200 000 Grenzgänge­r nach Luxemburg kommen, wovon mehr als die Hälfte dazu das Auto benutzt. Ob die 2030 mehrheitli­ch E-Autos fahren werden?

Die Politik muss die Menschen und die Unternehme­n mit einbeziehe­n. Jean-Claude Juchem, ACL

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Foto: Guy Jallay Der ACL mahnt die Politik, nicht über die Köpfe der Menschen hinweg zu entscheide­n.
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