Die andere Seite der Geschichte
Wie die „New York Times“-Doku „Framing Britney Spears“hinter die Kulissen schaut
Auf den ersten Blick ist die Geschichte von Britney Spears schnell erzählt: Ein talentiertes Mädchen mit ehrgeizigen Eltern kommt früh zu Ruhm, stürzt öffentlichkeitswirksam ab und endet als psychisches Wrack. Der Niedergang des einstigen Kinderstars gipfelte 2007 in jener denkwürdigen Nacht, als sie sich den Schädel kahlrasierte und mit einem Regenschirm auf den Wagen eines Paparazzo einschlug. Diese Bilder haben sich so stark in die kollektive Erinnerung eingebrannt, dass sie zu einem popkulturellen Allgemeingut geworden sind. Heute kann man Kaffeetassen kaufen mit der Aufschrift „Britney survived 2007, you can handle today“(„Britney hat 2007 überlebt, du schaffst den heutigen Tag“) den Teenager als laszive Lolita, ließ sie leicht bekleidet im Kinderzimmer ablichten und bediente mit dem freizügigen Schulmädchenlook den feuchten Traum einer ganzen Nation. Ihr Körper wurde nicht nur implizit zum Eigentum des männlichen Blicks erklärt, auch ganz öffentlich wurde sie in Interviews zu ihren Brüsten und ihrer Jungfräulichkeit befragt. Man ist erschüttert über die Archivaufnahmen, die nicht einmal 20 Jahre als sind und doch wie aus einer anderen Welt stammen.
Frauen als „Heilige oder Hure“?
Für eine kurze Zeit schillerte sie als Zwitterwesen einer misogynen Öffentlichkeit, die Frauen entweder den Platz der Heiligen oder der Hure zuweist. Der Wendepunkt ist die Trennung von Justin Timberlake, der das Narrativ zu lenken verstand und seine Ex-Partnerin wenig zimperlich der Öffentlichkeit zum Fraß vorwarf.
Diese musste sich fortan vor der Weltöffentlichkeit über intimste Details ihrer Beziehung erklären und wurde von Paparazzi bis auf die Toilette verfolgt. Dass eine solche Behandlung das täglich Brot von Berühmtheiten ist – geschenkt. Man fragt sich trotzdem mit zunehmendem Entsetzen, wo die Familie, wo Freunde, und wo solidarische Prominente waren, um einer offensichtlich labilen Mittzwanzigerin beizustehen.
Der einstige Kinderstar ist heute 39 Jahre alt und lebt seit 13 Jahren unter der Vormundschaft ihres Vaters – gegen ihren erklärten Willen.
Die Solidaritätsbewegung #freebritney, die sich im Fahrwasser der Bewegung #metoo bildete, ist der Ausgangspunkt der aktuell kontrovers diskutierten Dokumentation. Der Film lässt Weggefährten und Beobachter zu Wort kommen, die eigentliche Protagonistin ist darin nur in Archivaufnahmen zu sehen. Die „New York Times“erklärt im Abspann, dass man sich nicht sicher sein könne, ob die Interview-Anfrage sie überhaupt erreicht habe.
Eine Reaktion der Sängerin gab es zumindest im Nachhinein. Auf ihrem Instagram-Profil schrieb sie, dass sie nur einen Teil der Dokumentation gesehen haben und danach zwei Wochen aus Scham geweint habe. Schämen allerdings sollten sich andere.