Unwohlsein durch Gelkugeln
Tibou, ein zweijähriges Zwergwidder-Böckchen, hockte wie aufgeplustert und völlig reglos im Miniholzchalet seines viel zu kleinen Käfigs. Seit dem Vortag wollte er nichts mehr fressen. Noch nicht einmal die von seiner Besitzerin selbst gemachten Leckerlis, auf die er sonst ganz wild war, vermochten ihn aus seinem Versteck zu locken. In der Ecke des winzigen Geheges, in der das stubenreine Tier für gewöhnlich seine Köttelchen deponierte, war die Einstreu unberührt. Von der Lektüre über die Biologie der kleinen Mümmler wusste man nun aber, dass Kaninchen wegen ihres sehr schwach bemuskelten Verdauungstrakts so gut wie ständig futtern müssen. Tatsächlich kann nur durch das tägliche Verspeisen von um die 50 kleinen Mahlzeiten die Nahrung durch den an sich recht trägen Darm weitergeschoben werden.
Die besorgte Besitzerin brachte Tibou zur Abklärung in die Praxis. Der Bauch des Widderchens war prall aufgetrieben und bei der Palpation recht schmerzhaft. Ein
Röntgenbild mit Kontrastmittel sowie die Ultraschalluntersuchung des Abdomens erbrachten den Befund: Tibou hatte eine Magenüberladung. Diese Pathologie stellt bei Kaninchen einen hochakuten Notfall dar, der eines sofortigen Eingriffs bedarf. Zunächst wurde das bedenklich untertemperierte Kaninchen mit einer warmen Infusion unter seiner Rückenhaut sowie mit einem Heizkissen wieder aufgewärmt. Mit Medikamenten zur Regulierung der Magenbewegung und gegen die Schmerzen sowie ins Mäulchen verabreichtem Paraffinöl wurde versucht, den Inhalt des überladenen Magens auf normalem Weg weiterzubefördern.
Als sich jedoch nach einer Stunde immer noch nichts getan hatte, musste schnellstens operiert werden. Bei der chirurgischen Entleerung des Mageninhaltes fanden wir zu unserem Erstaunen einen mandarinengroßen Batzen blauer Gelkugeln, der die Magenwände derart aufgeweitet hatte, dass die zarte Muskulatur sich gar nicht mehr zusammenziehen konnte. Wie die Besitzerin später herausfand, hatte Tibou auf einem seiner Ausflüge durch die Wohnung an einer Tüte Wasserperlen für Blumenvasen genascht, was wegen der geringen Größe dieser Teilchen im trockenen Zustand nicht alarmierend schien. Dass die Kugeln jedoch bei Wasseraufnahme um das Hundertfache aufquellen, hatte man nicht bedacht.