Friedhof der Feuerstühle
Die Liebe der Bewohner von Vietnam zu ihren Motorrädern bleibt ungebrochen
Hanoi. Die Straßen von Te Lo sind von rostigen Überbleibseln ausgemusterter Motorräder gesäumt. Dazu gesellen sich Fragmente von Autos, Kränen oder Bulldozern. Das ehemalige Bauerndorf etwa 60 Kilometer vor den Toren der pulsierenden Hauptstadt Hanoi wirkt wie ein einziger großer Schrottplatz. Reifen, Motoren, Auspuffrohre und Scheinwerfer ehemals geliebter Zweiräder türmen sich auf dem Friedhof der Feuerstühle in rund 400 Recyclinghöfen. Etwa 1 000 Familien suchen hauptberuflich nach wertvollem Altmetall zur Wiederverwendung und zum Verkauf.
Mehr als ein Fortbewegungsmittel Ihr Motorrad ist vielen Vietnamesen so heilig, dass es fast wie ein Familienmitglied beäugt wird. Krafträder werden für so ziemlich alles benutzt. Das beginnt bei der Fahrt zur Arbeit oder zur Schule mit manchmal vier oder fünf Personen, die sich zwischen Gepäckträger und Lenker aneinanderklammern. Andere nutzen ihr Motorrad für Taxidienste, wieder andere als Transportmittel beim Umzug. „Für mich ist das Motorrad eines der wichtigsten Dinge in Vietnam überhaupt“, sagt der 28-jährige Linh Pham aus Hanoi. „Es ist mehr als ein Fortbewegungsmittel, vielen sichert es den Lebensunterhalt.“
Viele Städte in dem Land am Mekong sind zudem aus früheren Dörfern erwachsen, wobei die Wege zwischen den Reisfeldern schlicht in Straßen umgewandelt wurden. Deshalb sind die Fahrbahnen oft sehr eng, was sie ideal für Motorräder und Fahrräder macht.
Die Liebe der Vietnamesen zu ihren Motorrädern dauert über deren Tod hinaus an – und macht die ehemals heißen Gefährte für so manchen als Einzelteillager zu einer lukrativen Einnahmequelle. Arbeiter im Recycling-Dorf Te Lo teilen frisch gelieferte Motorräder und andere Fahrzeuge zunächst in die Kategorien „lebend“oder „tot“ein. Erstere werden als Gesamtstücke weiterverkauft, zweitere werden zerlegt, um mit ihren Einzelteilen anderen Verkehrsmitteln neues Leben einzuhauchen.
Blühendes Geschäft
„Wir recyceln hier schon seit den 1990er-Jahren Motorräder und Autos“, sagt Nguyen Thanh Tuan, der einen der Höfe betreibt. „Bis dahin haben die Menschen hier von Landwirtschaft gelebt, aber jetzt leben wir von der Wiederaufbereitung von Altmetall.“Überall in Te Lo durchforsten die Leute rostige Relikte nach noch brauchbaren Materialien. „Wir trennen etwa Aluminium und Eisen und erhitzen sie in einem Ofen, bevor wir sie recyceln“, erklärt Tuan. Der 35-Jährige sagt, auch die Corona-Pandemie habe das blühende Geschäft nicht negativ beeinflusst. Händler hätten weiter Zehntausende ausgediente Motorräder und andere Transportmittel vorbeigebracht und den Menschen so zu großen Gewinnen verholfen.
Verschmutzte Umwelt
Was für die Menschen finanziell gut ist, ist aber wie so oft schlecht für die Umwelt. Beim RecyclingProzess werden etwa Farbreste, Gummidichtungen und Schmiermittel
für Maschinen abgeworfen, die häufig nicht nur auf Ackerland, sondern auch in Flüsse und Bäche gelangen. Oder sie werden verbrannt.
Lokalen Medienberichten zufolge hatte mindestens die Hälfte der Menschen in der Region schon Atemwegserkrankungen oder Verdauungsprobleme. Die Krebsraten sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Tests haben gezeigt, dass das Wasser so verschmutzt ist, dass die für die Gesundheit unbedenklichen Werte deutlich überschritten sind. Den Glücksuchern in Te Lo ist es aber zumindest bislang offenbar das Risiko wert. dpa