Von Dürer bis Schiele
Eine Ansicht von Luxemburg ist ein Highlight der Ausstellung „Stadt und Land. Zwischen Traum & Realität“in der Wiener Albertina
Eine Pandemie verursacht viele Probleme. Unter anderem verhindert oder erschwert sie Reisen in andere Länder. Wenn man nicht in die Ferne schweifen kann, entdeckt man aber unter Umständen, wie viel Gutes und Schönes ganz nahe liegt. Dass großartige Ausstellungen nicht immer besonderer Leihgaben aus anderen Museen bedürfen, zeigt gerade die Schau „Stadt und Land. Zwischen Traum & Realität“in der Wiener Albertina. Die weltbekannte Grafiksammlung schöpft dabei ausschließlich aus ihren eigenen Beständen, aus einer wahren Schatzkammer der Kunst.
Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder verspricht den Besuchern „eine spektakuläre Reise durch die Kunstgeschichte der Neuzeit“. 280 Landschaftsbilder aus fünf Jahrhunderten, darunter einzigartige Werke, die seit Jahrzehnten nicht zu sehen waren, geben nicht nur einen Überblick über die Entwicklung von Stilen und Techniken, sondern auch über die unterschiedlichen Zugänge zahlreicher Künstler zu Motiven und Themen. Der Bogen reicht von möglichst naturgetreuen, realistischen Bildern, von bis ins Detail festgehaltenen Stadtansichten, über die Darstellung von Fantasie- und Ideallandschaften zur Betonung von Farben und Formen, mit denen die Wirklichkeit nur noch angedeutet wird.
Landschaften finden sich schon in der Antike und in der Frührenaissance auf Bildern, aber in der Regel nur als Hintergrundkulisse. Zum Bahnbrecher des autonomen Landschaftsbildes wird Albrecht Dürer, dessen „Großes Rasenstück“ein frühes Glanzstück der Naturdarstellung ist, der aber auch exakte Stadt- und Architekturbilder, produzierte, zum Beispiel vom Innenhof der Innsbrucker Burg. Der erste Beleg des Begriffs „Landschaftsmaler“, gemünzt auf den Niederländer Joachim Patinir, ist genau 500 Jahre alt und stammt aus Dürers Tagebuch vom 5. Mai 1521.
Einen ersten Höhepunkt erreichten diese Darstellungen in Italien, Deutschland und den Niederlanden. In der Renaissance kamen repräsentative Stadtpanoramen in Mode. Beeindruckend detailgenau wirkt Jacopo de’ Barbaris Riesenholzschnitt „Vogelschau-Ansicht von Venedig“. Auf den Bildern des Venezianers Tizian verschmelzen Figuren und Landschaft zu einer stimmungsvollen Einheit. Albrecht Altdorfer stellte Bäume ins Zentrum seiner Bilder, etwa „Die große Fichte“auf einer aquarellierten Radierung. Über Pieter Bruegel, einen in der Albertina besonders stark vertretenen Meister, sagte sein Biograf Karel von Mander: „Auf seinen Reisen hat Bruegel viele Veduten nach der Natur gezeichnet. Er hat in den Alpen all die Berge und Felsen verschlungen und in seinen Werken wieder ausgespien.“Man kann sich auch an Bruegels hintergründiger „Hasenjagd“erfreuen. Eine sehenswerte „Landschaft mit Hasenjagd“hat auch der Niederländer David Vinckboons um das Jahr 1601 mit einer damals sehr verbreiteten Technik – Feder in Braun, blau, grau und braun laviert – zu Papier gebracht.
Als Goldenes Zeitalter der Landschaftsdarstellung gilt das 17. Jahrhundert in den Niederlanden. Hier entstanden Landschaftsbilder und kartographische Werke von hoher Qualität und großer Zahl. Dass viele Zeichnungen und Druckgrafiken aus den Niederlanden in der Albertina landeten, hängt eng mit dem Leben ihres Gründers, Herzog Albert von Sachsen-Teschen, zusammen. Er residierte mit seiner Gemahlin Erzherzogin Marie Christine von 1781 bis 1792 als Statthalter der Österreichischen Niederlande in Brüssel und erwarb zahlreiche Werke für seine Sammlung. Herausragend sind dabei in Braun gehaltene Werke von Rembrandt, etwa „Bauernhäuser vor gewittrigem
Himmel“oder „Die ehemalige Kupfermühle auf der Weesperzijde“, der dabei mehr mit der Feder als mit dem Pinsel arbeitete.
Lavierungen unterschiedlicher Dichte dienen der Erzeugung von Lichteffekten, vor allem in Frankreich spielen Atmosphäre und Stimmung in der dortigen Blütezeit der Landschaftszeichnung die entscheidende Rolle. Es dominieren die Farben Schwarz und Braun. Ihre Motive suchten die Künstler, die sowohl die Feder als auch den Pinsel verwendeten, im 17. Jahrhundert kaum in Frankreich, sondern vor allem in Rom. Typisch dafür ist Claude Lorrains „Baumgruppe mit ruhendem Hirten“aus den späten 1630er Jahren.
Auf seinen Reisen hat Bruegel viele Veduten nach der Natur gezeichnet. Er hat in den Alpen all die Berge und Felsen verschlungen und in seinen Werken wieder ausgespien.
Im 18. Jahrhundert ist die französische Kunst auch in der Darstellung von Landschaften einer übersteigerten Künstlichkeit näher als der wirklichen Natur. Das zeigt sich im Rokoko sowohl in den idealisierten Ansichten von Francois Boucher als auch in Jean-Baptiste Pillements stimmungsvollen Flusslandschaften. Ein herausragendes Werk dieser Epoche ist die „Große Zypressenallee im Park der Villa d’Este in Tivoli“des Rembrandt-Bewunderers Jean-Honoré Fragonard, eine Pinselarbeit in Braun, laviert über einer schwarzen Kreidevorzeichnung.
Kaum ein Besucher geht achtlos an der JeanFrançois Colson zugeschriebenen Zeichnung „Notre-Dame in Paris“, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts den Vorplatz der 2019 von einem Brand beschädigten Kathedrale nicht realistisch, sondern als Entwurf einer nie verwirklichten klassizistischen Architektur darstellt.
Von einer Italienreise brachte Herzog Albert eine Reihe der damals beliebten Stadtveduten mit, vor allem vom venezianischen Meister dieses Genres Giovanni Antonio Canal, genannt Canaletto. In Rom arbeitete Giovanni Paolo Pannini an topographischen Ansichten von Plätzen, Monumenten, Galerien und malerischen Ruinenbildern, die im 18. Jahrhundert zum Beispiel den Franzosen Hubert Robert inspirierten. Ganz besonders war Herzog Albert an bildhaft ausgeführten, großformatigen Landschaftszeichnungen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts interessiert. Sehr gerne erwarb er deshalb Werke von Adrian Zingg und dessen Schülern – aufgrund ihrer Qualität und in Erinnerung an seine alte Heimat Sachsen. Zinggs „Blick durch ein Felsentor auf Schloss Hohnstein in der sächsischen Schweiz“ist sehr repräsentativ für diese Epoche.
Federzeichnung der Luxemburger Festung
Eine ganze Wand füllt ein außergewöhnliches Panoramabild in den Abmessungen (213 x 35 cm) aus. Die imposante, detailreiche Feder
zeichnung des österreichischen Offiziers Wenzel Callot aus dem Jahr 1753 zeigt die Stadt Luxemburg und ihre Festungswerke vom Fort Obergrünewald im Nordosten aus. Von dort überblickte Callot die Stadt von Eich bis Neudorf, links erkennt man das Schloss Mansfeld inmitten seiner Parkanlagen. Das erst 2018 in den Beständen der Albertina wiederentdeckte Werk war 2020 als Leihgabe im Lëtzebuerg City Museum zu sehen. Die Ausstellung präsentiert eine ganze Reihe präziser Stadtansichten, oft aus der Vogelschau.
Die vorgeschichtlichen Zeugnisse auf der Höhe von Kap Arkana auf der Ostseeinsel Rügen führen in eine mythische Vergangenheit, die Caspar David Friedrichs „Blick auf Arkana mit aufgehendem Mond“einfängt, ein Frühwerk des Meisters der Romantik. In Wien entwickelt sich um das Jahr 1800 ein neuer Realismus, kombiniert mit einer Neubelebung der Aquarellmalerei. Jakob Alts brillant gestalteter „Blick auf Wien von der Spinnerin am Kreuz“aus dem Jahr 1817 ziert zu Recht das Ausstellungsplakat, das an Lockdown-freien Tagen, die bis Ende April in Wien leider selten waren, relativ viele Besucher in die Albertina lockt. Rudolf
von Alt, der Sohn dieses Künstlers, erweist sich mit seinen Aquarellen als Meister realistischer Wien-Ansichten, auf denen allerdings die Schattenseiten dieser Zeit, in der es auch viel Armut und Elend gab, nicht vorkommen.
In den letzten Ausstellungsräumen trifft man auf Künstler, deren Namen mit dem Aufbruch in die Moderne verbunden sind. Das Aquarell „Flusslandschaft“von Pierre-Auguste Renoir fängt mit wenigen Farben, vorwiegend Blau und Grün, ein stimmungsvolles Zusammenspiel von Licht, Wasser und Pflanzenwelt ein. Schwermütig wirkt Vincent van Goghs mit Bleistift und Feder in Schwarz ausgeführter „Friedhof im Regen“. Egon Schiele ist mit dem Werk „Alte Häuser in Krumau“vertreten, das nur zum Teil in Farbe dargestellte, eng aneinander geschachtelte Gebäude im Geburtsort seiner Mutter zeigt.
Eine der neuen stilbildenden Gruppen war „Der blaue Reiter“, dem unter anderen August Macke und Paul Klee angehörten. Mit seiner „Frau mit Krug unter Bäumen“ist Macke ein Aquarell gelungen, das mit seinen Farben und Wellenlinien fern jeder Naturnachahmung eine freundliche Landschaft darstellt. Verspielt wirken die faszinierenden Farbkompositionen von Paul Klee, zum Beispiel sein „Landgut bei Fryburg“.
Surreal mutet eine „Eisenbahnbrücke“von Lyonel Feininger an. „Die Werke seines Kollegen Alfred Kubin hat Feininger als „Federgemälde“bezeichnet. Kubin ist als Edgar-AllanPoe-Illustrator bekannt und bestätigt hier nicht nur mit seiner „Schlachthausruine“seinen Sinn für das Unheimliche, Abgründige.
Möglicherweise empfinden aber viele beim Anblick von Emil Noldes Aquarell „Die Wintersonne“, die rotglühend einen dunklen Vordergrund überstrahlt, besondere Nähe zu unserer Zeit, in der man das Dunkel einer Pandemie überwinden und ein größer werdendes Licht am Ende eines Tunnels sehen will.
Die Albertina verbindet mit dieser Schau auch die Einladung zu einer Foto-Challenge auf Instagram: Dort sollen Fotos zum Thema der Ausstellung unter „#StadtLandAlbertina“geteilt werden – und zwar aus aller Welt.
„Stadt und Land. Zwischen Traum & Realität“in der Wiener Albertina. Bis 4. Juli 2021.
Emil Nolde, „Die Wintersonne“, 1908.