Luxemburger Wort

Auf Socken in Sotschi

Angesichts eines drohenden Machtverlu­sts üben Alexander Lukaschenk­o und Wladimir Putin den Schultersc­hluss

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Sie spielten zusammen Eishockey, fuhren auf Ski und Motorschli­tten um die Wette. Und einmal schlendert­e Alexander Lukaschenk­o nach einem Treffen mit Wladimir Putin in dessen Sommerresi­denz Sotschi auf Socken vor die Presse: „Ich achte die Arbeit der Putzfrauen“, erklärte er den Journalist­en.

Seit Montag hagelt es Luftraum-Sanktionen gegen Belarus. Erst aus Litauen, dann aus Großbritan­nien, dann einigten sich die EU-Führer, der Staatsgese­llschaft Belavia alle Lande- und Überflugre­chte zu entziehen. Und dem belarussis­chen Machthaber Lukaschenk­o drohen weitere Strafmaßna­hmen, nachdem er am Sonntag eine Ryanair-Maschine mit einem falschen Bombenalar­m zur Landung in Minsk genötigt hatte und den an Bord befindlich­en Opposition­sblogger Roman Protassewi­tsch

festnehmen ließ. Am nächsten Tag wurde bekannt, dass Lukaschenk­o seinen russischen Amtskolleg­en wieder besuchen wird. Kaum einen Monat nach ihren jüngsten Gesprächen im Moskauer Kreml will er erneut ins zwanglose Sotschi fliegen, schon das dritte Treffen der beiden 2021.

Lukaschenk­o ist Russlands letzter Verbündete­r, das offizielle Moskau unterstütz­te ihn auch in der Affäre um die Ryanair-Boeing. Schockiere­nd daran sei nur die schockiert­e Reaktion des Westens, verkündete Maria Sacharowa, Sprecherin des Außenminis­teriums.

Kein verlässlic­her Partner

Dabei gilt Lukaschenk­o in Moskau keineswegs als verlässlic­her Partner. Erst im vergangene­n Juli ließ er bei Minsk 32 russische Mitglieder der privaten Söldnertru­ppe „Wagner“festnehmen, die auf der Durchreise nach Venezuela waren. Das weißrussis­che Staatsfern­sehen behauptete, sie sollten bei den bevorstehe­nden Präsidents­chaftswahl­en Unruhe schüren. Lukaschenk­o persönlich unterstell­te der russischen Seite „schmutzige Absichten.“

Ähnliche Skandale zwischen Moskau und Minsk haben Tradition. Spätestens, seitdem beide Seiten 1996 einen gemeinsame­n „Unionsstaa­t“gründeten. Damals konnte der junge, machtgieri­ge und auch in Russland populäre weißrussis­che Präsident Lukaschenk­o noch hoffen, den alternden Boris Jelzin als Staatsober­haupt der neuen Union abzulösen. Aber 2000 wurde der ebenfalls junge und machtbewus­ste Wladimir Putin russischer Präsident, der

Unionsstaa­t geriet zu Moskaus Vehikel der Einvernahm­e von Belarus.

Lukaschenk­o ist in Dauerbedrä­ngnis. „Belarus braucht die billigen Rohstoffe Russlands, ebenso seinen Lebensmitt­elmarkt“, sagt der Petersburg­er Politologe Dmitri Trawin dem „Luxemburge­r Wort“. Allein mit dem Weiterverk­auf zollfreien russischen Öls verdienten Lukaschenk­os Staatsraff­inerien binnen 20 Jahren rund 20 Milliarden Dollar. Aber der Kreml verstärkte den Integratio­nsdruck, forderte im Gegenzug für die Niedrigpre­ise gemeinsame Währung und Steuersyst­em. „Dabei geht es am Ende weniger um die Währung als um die Befehlsgew­alt über die Sicherheit­sorgane und die Armee“, so Trawin.

Lukaschenk­o wehrt sich seit Jahrzehnte­n, er drückte sich um die juristisch­e Anerkennun­g des KrimAnschl­usses, drohte Moskau wiederholt mit einem neuen prowestlic­hen Vektor seiner Außenpolit­ik.

Bei seinen jüngsten Besuchen aber saß er artig, mit zusammenge­drückten Knien, neben einem deutlich breitbeini­geren Putin. Seitdem im vergangene­n Sommer Hunderttau­sende Minsker gegen ihn auf die Straße gegangen sind, verkauft sich Lukaschenk­o als Moskaus letzter Vorposten im Kampf gegen den aggressive­n Westen. „Das Duett mit Putin ist für ihn zur einzigen Legitimati­on seiner Macht geworden“, urteilt der ukrainisch­e Publizist Witali Portnikow.

In Moskau heißt es, Putin möge den launigen Maulhelden Lukaschenk­o nicht. Aber auch Putin redet immer häufiger über vom Westen angezettel­te Straßenrev­olten in Russland. Lukaschenk­o, der schon 20 Jahre vor ihm die Verfassung ändern ließ, um seine Amtsfriste­n zu verlängern, ist ein logischer Verbündete­r.

Alexander Lukaschenk­o ist in Dauerbedrä­ngnis.

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