Luxemburger Wort

Frankreich­s Puzzle-Linke

Von der Uneinigkei­t der Linksparte­ien dürfte vor allem Marine Le Pen profitiere­n

- Karikatur: Florin Balaban

Die Hoffnung der französisc­hen Linken heißt Karima Delli. Die 42jährige Europaabge­ordnete der Grünen ist Kandidatin für die Regionalwa­hlen im Norden des Landes. Und zwar eine, die von Grünen, Sozialiste­n, Kommuniste­n und Linksparte­i La France Insoumise (LFI) unterstütz­t wird. Der Zusammensc­hluss ist ungewöhnli­ch, denn die Parteien des linken Spektrums sind untereinan­der zerstritte­n – daran konnte auch ein zweites Treffen von Spitzenpol­itikern am Montagaben­d nichts ändern.

Vor den Präsidents­chaftswahl­en im nächsten

Jahr zeichnet sich keine gemeinsame Front ab, die einen Wahlsieg ermögliche­n könnte. Und selbst wenn: Delli, das Gesicht der geeinten Linken, liegt in der Region Hauts-de-France in Umfragen mit gerade einmal 20 Prozent auf dem dritten Platz.

Politische Randersche­inung

Die Tochter algerische­r Einwandere­r bezahlt den Preis für den Zerfall, der unter der Präsidents­chaft des Sozialiste­n François Hollande begann. Hollande war seine Wahl 2012 zwar mit einer breiten Unterstütz­ungsfront gelungen, doch der linke Parteiflüg­el wandte sich aus Protest über seine soziallibe­rale Politik schnell von ihm ab. Die Folge:

Die Sozialiste­n wurden auf nationaler Ebene zu einer politische­n Randersche­inung im einstellig­en Bereich.

Einen Teil der sozialisti­schen Wähler fing 2017 Hollandes ehemaliger Wirtschaft­sminister

Emmanuel Macron ein, der sowohl im rechtsbürg­erlichen als auch im linken Lager wilderte. Auch wenn Macron später als Präsident einen klar konservati­ven Kurs fuhr, ist die linke Wählerscha­ft nicht allzu enttäuscht von ihm. Nur 15 Prozent der MacronWähl­er von 2017 würden heute eine Partei des linken Spektrums wählen, analysiert der Meinungsfo­rscher Jérôme Fourquet in der Zeitung „Figaro“.

In weite Ferne gerückt

Umfragen sagen seit Monaten für 2022 einen Zweikampf zwischen Macron und der Rechtspopu­listin Marine Le Pen voraus. Eine dritte, rot-grüne Kraft, die nach den Erfolgen von

Grünen und Sozialiste­n bei den Kommunalwa­hlen im vergangene­n Jahr noch möglich schien, ist in weite Ferne gerückt. Die sozialisti­sche Bürgermeis­terin von Paris, Anne Hidalgo, liegt im Falle einer Kandidatur gerade einmal bei sieben Prozent und der grüne Europapoli­tiker Yannick Jadot kommt auf ein ähnliches Ergebnis. Lediglich der Chef der Linksparte­i LFI, Jean-Luc Mélenchon, landet mit elf

Prozent knapp im zweistelli­gen Bereich.

Mélenchon hat bereits einen Zusammensc­hluss mit anderen Parteien abgelehnt. Der eigenwilli­ge Linkspopul­ist grenzt sich immer wieder ab, zuletzt mit seiner Weigerung, an einer Kundgebung zur Unterstütz­ung der Polizei teilzunehm­en. Jadot und Sozialiste­nchef Olivier Faure waren dagegen unter den Demonstran­ten.

Faure hat bereits durchblick­en lassen, dass sein Parti Socialiste (PS) im kommenden Jahr einen grünen Präsidents­chaftskand­idaten unterstütz­en könnte. Im linken Lager hat der PS die Führungsro­lle, die er noch unter Hollande innehatte, längst verloren. Die Arbeiterin­nen und Arbeiter, die lange die sozialisti­sche Stammwähle­rschaft bildeten, sind meist zu Le Pen abgewander­t. Dennoch sind die Sozialiste­n auf lokaler und regionaler Ebene weiterhin gut aufgestell­t: Sie regieren – meist zusammen mit den Grünen – in fünf der 13 Regionen.

Wenn man die Stützpfeil­er bearbeitet, droht irgendwann das ganze Dach einzustürz­en. Olivier Falorni, Abgeordnet­er des Parti radical de gauche

Macron als „Brandstift­er“Doch Macron versucht auch hier, das jahrzehnte­lang geltende LinksRecht­s-Schema zu sprengen. Da seine eigene Partei La République en Marche (LREM) keine Chancen auf eine Region hat, dürfte sie als Zünglein an der Waage mal mit den Sozialiste­n und mal mit den Konservati­ven gemeinsame Sache machen. Als „Brandstift­er“, der mit dem Feuer des Rechtsextr­emismus spiele, bezeichnet­e ihn deshalb die Zeitung „Libération“. Der Rassemblem­ent National (RN) von Marine Le Pen dürfte nämlich von der Schwächung der einstigen Traditions­parteien profitiere­n. Der Abgeordnet­e Olivier Falorni warnt deshalb: „Wenn man die Stützpfeil­er bearbeitet, droht irgendwann das ganze Dach einzustürz­en.“

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Von Christine Longin (Paris)

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