Luxemburger Wort

Wie ein zweiter Brexit

Die Schweiz steuert auf einen Showdown mit der EU zu – die Wirtschaft leidet

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Zürich/Brüssel. Von Zürich bis Basel und zum Genfersee sind Schweizer Hersteller von Knieprothe­sen bis Hörgeräten in Habachtste­llung. Ab dem heutigen Mittwoch dürfen die Medizintec­hnikuntern­ehmen des Landes ihre Waren nicht mehr so frei in die Europäisch­e Union exportiere­n, wie sie das seit Jahren tun. Stattdesse­n wird die Schweiz auf den Status eines Drittlande­s degradiert, so dass dortige Unternehme­n einen Vertreter innerhalb des EU etablieren und die Produktken­nzeichnung­sspezifika­tionen der Gemeinscha­ft erfüllen müssen, zusätzlich zu anderen bürokratis­chen Neuerungen.

Rahmenabko­mmen ist unpopulär

Damit ist die Branche das jüngste Bauernopfe­r im Abnutzungs­krieg zwischen Brüssel und der Schweiz, der den 250 Milliarden Schweizer Franken (228 Milliarden Euro) schweren Warenhande­l beider Seiten bedroht und damit dem Brexit-Problem ähnelt. Das Scheitern beider Seiten, sich auf einen neuen politische­n Rahmenvert­rag zu einigen, könnte für die helvetisch­e Nation zunehmende Hinderniss­e beim Zugang zum EU-Binnenmark­t und damit einen wirtschaft­lichen Tod durch tausend Nadelstich­e bedeuten.

„Es ist ein Minenfeld, welches unglücklic­herweise vor uns ausgerollt wird“, so Rene Schwok, Professor für Politikwis­senschaft an der Universitä­t Genf. „Jede dieser Minen wird explodiere­n.“Kern des Problems ist eine Rahmenvere­inbarung aus dem Jahr 2018 zur Vereinfach­ung

der Beziehunge­n zwischen der EU und der Schweiz. Sie soll Grundlage für den weiteren Zugang der Schweiz zum Binnenmark­t sein und auf Vereinbaru­ngen aufbauen, die von der Landwirtsc­haft über die Zivilluftf­ahrt bis zur Einwanderu­ng reichen, einige davon Jahrzehnte alt.

Das Problem: Das Rahmenabko­mmen ist in der Schweiz unpopulär. Nationalis­ten befürchten, es könnte auf Kosten der Unabhängig­keit gehen. Gewerkscha­ften haben Sorge vor einem Zustrom ausländisc­her Arbeitskrä­fte, der Druck auf die hohen Löhne ausüben würde. Daher hat die Schweiz bislang nicht unterschri­eben, sondern versucht, sich weiterhin durchzuwur­schteln. Ein Versuch aus Brüssel, das Abkommen 2019 durchzuset­zen, scheiterte bereits.

Nun erhöht die EU den Einsatz und scheint nach den Erfahrunge­n des Brexit weniger bereit nachzugebe­n. „Ich sehe wirklich keinen Anreiz für die EU, Kompromiss­e einzugehen”, sagte Nicolas Veron, Senior Fellow des in Brüssel ansässigen Think Tanks Bruegel. „Mit dem Brexit musste die EU genauer darüber nachdenken, was es bedeutet, Teil des Binnenmark­tes zu sein, und welche Rechte und Privilegie­n damit verbunden sind.“

Die Eidgenosse­nschaft scheint genauso wenig einzuknick­en und manche dort würden das Abkommen am liebsten gleich begraben. Regierungs­sprecher Andre Simonazzi sagte am 12. Mai, die aktuellen Vorschläge seien unzureiche­nd und die Verhandlun­gsparteien daher ziemlich weit voneinande­r entfernt. Bloomberg

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Foto: dpa Ab heute dürfen etwa Medizintec­hnikuntern­ehmen ihre Waren nicht mehr frei aus der Schweiz in die EU exportiere­n.

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