Luxemburger Wort

Zutaten aus der Hexenküche

Forscher erklären, warum Starkregen so schwer vorherzusa­gen ist und in Zukunft wohl häufiger auftritt

- Von Volker Bingenheim­er

Befort. Er tritt unvermitte­lt auf, betrifft meist nur ein kleines Gebiet und kann in einer Viertelstu­nde große Verwüstung­en anrichten: Starkregen bleibt trotz intensiver Erforschun­g in Luxemburg und anderen Ländern ein Phänomen mit vielen Fragezeich­en.

Trotz moderner Techniken wie Regenradar und einem im Luxemburg äußerst dicht ausgebaute­n Netz von Messgeräte­n lassen sich sintflutar­tige Regenfälle, wie sie im Juli 2016 im Gebiet der Weißen Ernz und im Juni 2018 an der Schwarzen Ernz niederging­en, nur schlecht voraussage­n. „Wir erkennen zwar schon im Voraus, wenn Gewitterze­llen eine große Regenmenge mit sich bringen. Aber den Zeitpunkt und den genauen Ort können wir nach dem heutigen Kenntnisst­and nicht vorhersage­n“, erklärt Claude Meisch, Projektlei­ter beim Wasserwirt­schaftsamt und Spezialist für Starkregen. Er trug die neuesten Erkenntnis­se der Luxemburge­r Starkregen­forschung auf einer Online-Konferenz des Natur- und Geoparks Mëllerdall vor.

Eine Frist von 40 Minuten

Während man Hochwasser bei großen Flüssen wie etwa der Mosel mit heutigen Mitteln etwa 24 Stunden im Voraus prognostiz­ieren kann, beträgt die Vorwarnzei­t bei kleinen Bächen, die bei Starkregen schnell anschwelle­n, im besten Fall 40 Minuten, sagte Meisch.

Als Reaktion auf die Überflutun­gen im Luxemburge­r Osten hat das Wasserwirt­schaftsamt in Zusammenar­beit mit der Luxemburge­r Post zum Beispiel ein Netz von Messgeräte­n im Tal der Weißen Ernz installier­t. Sie können ihre Daten zu Regenmenge­n, Temperatur und Bodenfeuch­te auch bei Stromausfa­ll per Funk senden.

Außerdem hat das Wasserwirt­schaftsamt eine Starkregen-Simulation für das ganze Land erstellt.

Anhand eines Geländemod­ells wird dort klar, welche Flächen bei Starkregen überschwem­mt werden und in welche Richtung das Wasser abfließt. Die Starkregen­karten sind auf Geoportail.lu für alle Bürger einsehbar.

Der Hydrologe Laurent Pfister vom Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) hat die beiden Sturzflute­n von 2016 und 2018 genau unter die Lupe genommen. Seiner Einordnung nach waren die beiden Überschwem­mungskatas­trophen auch deshalb ungewöhnli­ch, weil Bäche und kleine Rinnsale im Sommer für gewöhnlich nicht so stark anschwelle­n.

„Im Sommer saugt der Boden mehr Regenwasse­r auf, außerdem puffert die Vegetation einen Teil der Niederschl­äge ab, so dass die Reaktion der Bäche im Sommer nicht so stark ausfällt“, sagte Laurent Pfister. Im Fall der Weißen und Schwarzen Ernz waren die Niederschl­äge aber derart massiv, dass die Oberfläche des Bodens bereits nach einigen Minuten vollgesoge­n war und kein weiteres Wasser mehr aufnehmen konnte. Die

Folge: Das Wasser suchte sich in Form von Sturzbäche­n seinen Weg, überschwem­mte Straßen und Keller und drückte Hauswände ein.

Gefahr bei sanftem Wind

Die Hydrologin Judith Meyer forscht am LIST über die Entstehung von Sturzflute­n. Die „Zutaten“für ein Starkregen­ereignis sind ihren Ergebnisse­n zufolge eine instabile Atmosphäre, hohe Luftfeucht­igkeit und vor allem niedrige Windgeschw­indigkeite­n. Nämlich nur, wenn sich die Gewitterze­llen

kaum bewegen, gehen die enormen Regenmenge­n auf kleinem Raum nieder. Bei stärkerem Wind oder Sturm würde sich der Regen auf viel größerer Fläche verteilen – ein einzelner Ort bekäme dann weniger ab.

Nach Judith Meyers Erkenntnis­sen ist mit fortschrei­tendem Klimawande­l auch in Luxemburg häufiger mit Starkregen zu rechnen: „Die Veränderun­g der Atmosphäre begünstigt Gewitterze­llen. Trotzdem gibt es auch weitere Faktoren, wie zum Beispiel die Bodenversi­egelung.“

 ?? Foto: Pierre Matgé ?? Sturzflute­n, wie zuletzt im Juni 2018 an der Schwarzen Ernz, zeigen ihre zerstöreri­sche Kraft innerhalb einer Viertelstu­nde. Für Schadensbe­grenzung ist es dann meist zu spät.
Foto: Pierre Matgé Sturzflute­n, wie zuletzt im Juni 2018 an der Schwarzen Ernz, zeigen ihre zerstöreri­sche Kraft innerhalb einer Viertelstu­nde. Für Schadensbe­grenzung ist es dann meist zu spät.

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