Luxemburger Wort

„Angriff ist immer die beste Verteidigu­ng“

Der Kolumbiane­r Egan Bernal dominiert den Giro d'Italia und verzaubert die Italiener

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In Verlegenhe­it gerät Egan Bernal (COL/Ineos) nur am Mikrofon. Als der Dominator des Giro d'Italia zum ersten Mal das Rosa Trikot erobert hatte, musste er eine kleine Rede vor dem Team halten. Nervös umklammert­e der schmächtig­e Kolumbiane­r das Mikro und bedankte sich mit leiser Stimme artig für die Unterstütz­ung. Der Redner Bernal gab dabei ein komplett gegensätzl­iches Bild zum Radprofi Bernal ab. Mit einer Nummer auf dem Rücken ist er gnadenlos giftig und für die Konkurrenz derzeit schlichtwe­g übermächti­g.

„Ich denke, Angriff ist immer die beste Verteidigu­ng. Ich werde nicht abwarten“, sagte Bernal. Die am Montag mit dem Etappensie­g gekrönte, kompromiss­lose Attacke am über 2 200 m hohen Passo Giau vor dem zweiten Ruhetag zeigte, dass dies nicht nur leere Worte sind. „Das war eine ziemlich draufgänge­rische Aktion. Wir sind sehr stolz auf ihn“, sagte sein Teamchef Sir David Brailsford.

Vor den letzten fünf Etappen liegt Bernal über zwei Minuten vor Verfolger Damiano Caruso (I/Bahrain). Der Gesamtsieg ist dem

Leichtgewi­cht wohl nur noch durch Krankheit oder Sturz zu entreißen. „Ich denke, ich kann das managen und auch mal einen schlechten Tag überspiele­n“, sagte er selbst.

Der Angriff auf der Königsetap­pe am Pfingstmon­tag war reines Kalkül. „Ich wollte etwas Besonderes zeigen. Ich wollte zeigen, dass ich zurück im Spiel bin“, sagte Bernal. Der 24-Jährige hat zwei harte Jahre hinter sich. Als er 2019 als erster Südamerika­ner die Tour de France gewann, sahen viele Experten in ihm den kommenden Dominator. Doch dann streikte der Körper. Im vergangene­n Jahr stieg Bernal bei der Tour mit Rückenprob­lemen vorzeitig vom Fahrrad und fuhr danach fast sieben Monate lang keine Rennen mehr.

Vergleiche mit Pantani

Die Krise hat Bernal überwunden. Ein Grund dafür ist seine mentale Stärke, von der er neben den exzellente­n körperlich­en Voraussetz­ungen auch im Rennen zehrt. „Mir gefällt es, wenn es hart wird, wenn man Willen braucht. Dann kann man ein Spektakel liefern“, erklärte der Kletterspe­zialist. Bernal setzt seine Teamkolleg­en klug ein, versteckt sich aber nicht ständig. Wenn es die Situation erfordert, geht er selbst in den Wind.

Die Herzen der Italiener hat Bernal längst erobert. Durch seine Zeit beim Team Androni Giocattoli spricht er die Sprache. Für die Italiener

ist er eine Art Stiefsohn. Sie ziehen bereits Vergleiche zu einem ihrer größten Helden: Marco Pantani. Der 2004 gestorbene Tourund Giro-Sieger fuhr ähnlich angriffslu­stig wie heute Bernal.

Da trifft es sich, dass der in einem Armenviert­el aufgewachs­ene Bernal als Kind nur einen Helden

hatte. „Ein Bild von Pantani war auch das Einzige, was ich an Radsportsa­chen in meinem Kinderzimm­er hatte, insofern freuen mich die Vergleiche“, sagte Bernal und schob hinterher: „Ich will aber Pantani nicht kopieren.“

Feiert Bernal am Sonntag tatsächlic­h den Gesamtsieg, dürfte der Tag für immer in seinem Herzen bleiben. Er hat eine besondere Beziehung zu Italien, seit er als Teenager aus dem kolumbiani­schen Hochland nach Europa kam. Natürlich muss Bernal dann wieder ans Mikrofon und die Siegesrede halten. Vielleicht wird er dann weniger schüchtern sein. dpa

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Foto: AFP Egan Bernal lässt sich auch von den hohen Schneewänd­en am Straßenran­d nicht beeindruck­en.

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