Luxemburger Wort

Der Putsch im Putsch

In Mali lassen die Streitkräf­te die inhaftiert­en Politiker frei, bleiben aber am Schalthebe­l der Macht

- Von Johannes Dieterich (Johannesbu­rg)

Es sollte ein Befreiungs­schlag werden – aber der Ball prallte ins eigene Tor. Neun Monate nach dem malischen Militärput­sch und seiner Ernennung zum Übergangsp­räsidenten geriet Bah N’Daw unter zunehmende­n Druck der Bevölkerun­g: Viele der rund 20 Millionen Malier vermissen die Reformen, die den für Anfang nächsten Jahres geplanten Urnengang vorbereite­n sollen. Die größte Gewerkscha­ft des westafrika­nischen Krisenstaa­ts rief Anfang dieses Monats zum Streik auf und Politiker beklagten den zunehmende­n Einfluss der Militärs, die außer zahlreiche­n Kabinettss­itzen auch 13 der 20 Gouverneur­sstellen in den Provinzen besetzten.

Um nicht wie sein Vorgänger Ibrahim Boubacar Keïta vom Volkszorn aus dem Amt gefegt zu werden, holte N’Daw vergangene Woche zum Befreiungs­schlag aus, setzte sämtliche Minister einschließ­lich seines Premiermin­isters Moctar Ouane ab – nur um Letzteren gleich wieder neu zu berufen. Nicht von der Partie im neuen Kabinett sollten allerdings zwei

Offiziere sein, die im vergangene­n Putsch eine entscheide­nde Rolle spielten: Verteidigu­ngsministe­r Sadio Camara und sein für die Geheimdien­ste zuständige­r Kollege Modibo Koné.

Falls N’Daw mit einer Duldung seiner Verzweiflu­ngstat durch die mächtigen Militärs gerechnet hatte, sah er sich alsbald getäuscht. Wenige Tage nach dem Regierungs­revirement

tauchten zu Beginn dieser Woche Soldaten in seinem Büro auf, nahmen den Präsidente­n mitsamt seines Premiermin­isters fest und verfrachte­ten die beiden in die außerhalb Bamakos gelegene Kati-Kaserne, in der schon sein Vorgänger Keïta im vergangene­n Sommer mehrere Wochen verbrachte. Ein „unglaublic­her Vorgang“, greift sich die einstige Außenminis­terin des Landes, Kamissa Camara, an den Kopf: „Das zweite Mal, dass ein Präsident vom Militär in seinem Büro abgeholt, zum Rücktritt gezwungen und in einer Kaserne festgehalt­en wird: Wo anders als hier kommt so etwas vor?“

Bereits der fünfte Militärcou­p

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron spricht von einem „Putsch innerhalb eines Putsches“, hinter dem erneut der gerade einmal 38 Jahre alte Oberst Assimi Goïta steht. Als Chef des „Nationalen Komitees für die Rettung des Volkes“hatte der Oberst nach seinem Coup im August auf das Amt des Vizepräsid­enten bestanden – und als solcher hätte er der Regierungs­umbildung N’Daws eigentlich zustimmen müssen. In Wahrheit sei er davon jedoch nicht einmal in Kenntnis gesetzt worden. Grund genug für den SerienPuts­chisten, wieder einen Wagen vor dem Präsidente­npalast vorfahren zu lassen: gar kein wirklicher Putsch also, eher eine Richtigste­llung. Das Militär hat den Präsidente­n und den Regierungs­chef gestern wieder freigelass­en. Allerdings bleibt es bei deren Absetzung.

Militärcou­ps haben in Mali wie in kaum einem anderen Teil der Welt Tradition. Der Jüngste ist der Fünfte in der 61-jährigen Geschichte der einstigen französisc­hen Kolonie. Politik und Militär sind in dem Staat aufs Engste verwoben. Einer der Gründe, wieso Malis politische Aktivisten verzweifel­t sind: „Was wir heute erleben, ist die logische Folge der Tatsache, dass die Zivilgesel­lschaft bei der Bildung der Übergangsr­egierung wieder einmal vollkommen übergangen wurde“, klagt Soziologe Bréma Ely Dicko.

Einmütig wie selten verurteilt­en die Vereinten Nationen, die Afrikanisc­he Union sowie die Regierunge­n in Paris und Berlin den „Staatsstre­ich im Staatsstre­ich“: Sie haben das Gewicht ihrer Stimme allerdings verspielt, seit sie vor gut vier Wochen den Putsch im Tschad aus Gründen der Opportunit­ät stillschwe­igend akzeptiert­en. In Mali kommt noch ein weiteres Problem dazu. Seit Jahren trainiert hier eine europäisch­e Mission die Soldaten im Kampf gegen extremisti­sche Islamisten – deren Kampf gegen die eigene Bevölkerun­g stört die europäisch­en Waffenbrüd­er offensicht­lich nicht.

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Foto: AFP Der malische Übergangsp­räsident Bah N'Daw wurde von der Armee abgesetzt.

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