Luxemburger Wort

Wut der Kolumbiane­r wächst

Wieder schwere Ausschreit­ungen in Cali mit mindestens sechs Toten

- Von Klaus Ehringfeld (Mexico City)

Am Freitagabe­nd flog der Präsident dann doch nach Cali, er wollte sich selbst ein Bild machen von der Lage in der drittgrößt­en Stadt Kolumbiens nach einem Tag der Gewalt und der Toten. Iván Duque sah Zerstörung, Straßenbar­rikaden, brennende Polizeirev­iere und Autos, hörte von schwer bewaffnete­n Zivilisten, die das Feuer auf andere Zivilisten eröffneten. Zum Beispiel von dem Polizisten ohne Uniform, der zwei junge Demonstran­ten erschoss, bevor er selbst getötet wurde. Duque hörte von noch mehr Toten, deren Zahl bis zum Samstag auf sechs anstieg. Die Stadtverwa­ltung spricht gar von zehn Todesopfer­n.

Am Freitag hatten Gewerkscha­ften und Organisati­onen der Zivilgesel­lschaft wieder zum Generalstr­eik aufgerufen in dem südamerika­nischen Land, das nicht zur Ruhe kommt.

Genau vor einem Monat, am 28. April, hatte der Sozialaufs­tand mit Protesten gegen Pläne der Regierung für eine Steuerrefo­rm begonnen. Die sind längst beerdigt, aber die Wut der Menschen auf ihre Regierung und über die wirtschaft­liche und soziale Situation hält an, sie wächst sogar.

Mit Härte, ohne Empathie

Das Epizentrum der Proteste war damals und ist heute Cali im Südwesten Kolumbiens. Auch am Freitag war es wieder ein Tag des friedliche­n Widerstand­s Hunderttau­sender, aber auch des Vandalismu­s und der exzessiven Polizeigew­alt. Aber auch ein Tag, an dem sich vermutlich linke Rebellen in Zivil, ultrarecht­e paramilitä­rische Gruppen und Banden des Organisier­ten Verbrechen­s an dem Aufstand beteiligte­n und für einen Großteil der Gewalt auf Seiten der Protestier­enden verantwort­lich waren.

Cali ist mit seiner Lage nahe den Anbaugebie­ten für Drogen und dem Pazifikhaf­en Buenaventu­ra ein strategisc­her Platz für alle illegalen Aktivitäte­n in Kolumbien.

Um kurz vor Mitternach­t am Freitag reagierte Iván Duque, wie man es erwarten musste, mit Härte und ohne Empathie.

Er erließ ein Dekret, das sich über den Twitter-Kanal des Präsidiala­mtes verbreitet­e und in dem er zur Unterstütz­ung der Polizei den „maximalen Einsatz des Militärs“in Cali und dem zugehörige­n Departemen­t Valle del Cauca sowie in weiteren sieben der 32 Departemen­ts anordnete.

„Wir werden in weniger als 24 Stunden unsere Truppen an den Punkten haben, wo wir Gewalt, Vandalismu­s und niederschw­elligen städtische­n Terrorismu­s sehen.“Der rechtskons­ervative Staatschef reagiert so, als sei er im Krieg gegen sein eigenes Volk. Und damit – das ist schon jetzt klar – gießt er noch mehr Öl ins Feuer.

Diese Politik der harten Hand des Staatschef­s ist die Fortsetzun­g seines Handelns seit Beginn der Proteste. Er hat wenig Verständni­s für die Anliegen der Menschen gezeigt, und seine Regierung

und er reagieren ausschließ­lich auf die Gewaltakte­ure unter den Demonstran­ten, die klar in der Minderheit sind.

Dabei setzt er gegen die vor allem jungen und unbewaffne­ten Studenten und Protestier­er seine militarisi­erte Polizei ein, die dafür ausgebilde­t ist, das Organisier­te Verbrechen und die Guerillas zu bekämpfen.

Menschenre­chtsgruppe­n werfen den kolumbiani­schen Sicherheit­skräften vor, mit unverhältn­ismäßiger Brutalität gegen Protestier­ende vorzugehen. Nach Angaben der nationalen Ombudsstel­le wurden in Zusammenha­ng mit den

Protesten mindestens 50 Menschen getötet, weit über 100 wurden verschlepp­t.

Neoliberal­es Modell am Ende

Die Regierung halte an einer Bürgerkrie­gsrhetorik fest und sehe überall Verschwöru­ngen, sagt der Schriftste­ller Luis Fernando Medina. „Das ist die typische Reaktion einer Regierung, der die Entwicklun­g im Land über den Kopf wächst.“Dabei hätten die Menschen genug von ihrer prekären Situation. „Das neoliberal­e Modell hat sich erschöpft“, betont Medina. „Mehr als 20 Millionen Kolumbiane­r leben mit weniger als 72 Euro im Monat.“

Das hat sich jetzt in der Pandemie noch einmal manifestie­rt. Diese hat in der viertgrößt­en Volkswirts­chaft Lateinamer­ikas die gesellscha­ftlichen Unterschie­de massiv verschärft. Die Armen wurden ärmer, die untere Mittelklas­se droht, in die Armut abzurutsch­en. Aber die Reichen wurden reicher.

Der rechtskons­ervative Staatschef reagiert so, als sei er im Krieg gegen sein eigenes Volk.

 ?? Foto: AFP ?? Spuren der Verwüstung auf den Straßen Calis nach den Protestkun­dgebungen vom Freitag und deren brutaler Unterdrück­ung.
Foto: AFP Spuren der Verwüstung auf den Straßen Calis nach den Protestkun­dgebungen vom Freitag und deren brutaler Unterdrück­ung.

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