Luxemburger Wort

Spielverde­rber im Sandkasten

Der spanische Tennisprof­i Rafael Nadal visiert bei den French Open den ewigen Grand-Slam-Rekord an

- Von Jörg Allmeroth

Novak Djokovic hatte eigentlich allen Grund gehabt, angemessen optimistis­ch in das allerletzt­e Spiel der French Open 2020 zu gehen. Er hatte bis zu jenem großen Finalauftr­itt Mitte Oktober kein einziges Saisonmatc­h sportlich verloren, als Verlierer war er nur bei seiner spektakulä­ren Disqualifi­kation während der US Open verbucht worden. Doch dann kam das Endspiel, wieder einmal gegen Rafael Nadal.

Und Djokovic, der Weltrangli­stenerste, der ansonsten Unberührba­re, fand sich jäh in einem Alptraum wieder. Er verlor den ersten Satz gegen Nadal krachend mit 0:6, es wurde nicht besser danach. Satz zwei ging mit 2:6 verloren, bis dahin hatte Nadal sich ganze vier Fehler geleistet. Kurz war Djokovic danach auf Augenhöhe, für einige Momente im dritten Satz.

Aber am Ende blieb es wie beinahe immer: Nadal, dieser brachiale, leidenscha­ftliche, schier unverwüstl­iche Athlet, reckte als einsamer Champion die Coupe des Mousquetai­res in die Höhe. Und Djokovic, die traurig, abgefertig­te Nummer eins, sagte: „Nie war Nadal besser als an diesem Tag.“

Seit jenem coronabedi­ngt verspätete­n 13. Siegeslauf wirkt Nadal erst recht wie das Phänomen von Paris, ein Mann, der bei einem einzigen Turnier alle Grenzen sprengt. Der allein unterm Eiffelturm mehr Karriereti­tel auf GrandSlam-Niveau einsammelt­e als die allermeist­en Stars der Tennisgesc­hichte in ihrem ganzen Leben. Seine verblüffen­de, kaum glaubliche Dominanz begann im Teenageral­ter, als er 2005 mit einem überrasche­nden Erfolg als Debütant den Wanderzirk­us durcheinan­derwirbelt­e. Und sie zieht sich nun über anderthalb Jahrzehnte hin.

Nadal hat ganze Generation­en von Rivalen bei den Rutschübun­gen im Stade Roland Garros demoralisi­ert. „Einen Titelrekor­d wie den von Nadal in Paris wird es im Tennis nie mehr geben“, sagt Boris Becker, der deutsche Altmeister und TV-Experte, über den mallorquin­ischen Nimmersatt, dem inzwischen sogar schon eine Statue auf dem Grand-Slam-Grund gewidmet ist.

Nur zwei Niederlage­n

Gegen Djokovic im letztjähri­gen Pokalduell schraubte er seine Bilanz auf 100:2 Siege, nur der Schwede Robin Söderling 2009 und Djokovic 2015 konnten ihn jeweils ein Mal auf dem falschen Fuß erwischen. Eine „gottgleich­e Aura“habe Nadal in Paris, sagt der französisc­he Ex-Profi Henri Leconte, „gegen ihn rutscht jedem Spieler irgendwie das Herz in die Hose“.

Auch vor den nun angelaufen­en Ausscheidu­ngsspielen in Paris scheint alles wie immer in dieser Tennisära. 128 Spieler sind angetreten für die strapaziös­este Herausford­erung in ihrem Beruf, den langen, zähen Knockout-Matches über drei Gewinnsätz­e. Es gibt einige Spieler, die sich im Saisonverl­auf ins Blickfeld gespielt haben, junge, hungrige Kräfte wie der Italiener Jannik Sinner oder der Norweger Caspar Ruud. Schon etablierte Herausford­erer wie der Deutsche Alexander Zverev oder

Einen Titelrekor­d wie den von Nadal in Paris wird es im Tennis nie mehr geben. Ex-Profi und TV-Experte Boris Becker

Griechenla­nds Stefanos Tsitsipas. Aber nichts führt am Ende an dem souveränen Meisterspi­eler Nadal vorbei, den Mann, den sie in Paris halb ehrfürchti­g Oger nennen, das Ungeheuer. Oder auch den Kannibalen.

Wer zuletzt mal wieder leichte Zweifel an ihm hatte, etwa nach der Niederlage gegen Zverev beim Heimturnie­r in Madrid (in der ungeliebte­n Höhenluft), erlebte ihn beim Masters in Rom, dem letzten wichtigen Vorbereitu­ngswettbew­erb, vollständi­g auf der Höhe des Geschehens – der Pokaltrium­ph dort gegen Djokovic war sein 88. Karriereti­tel, der 62. auf Sand.

Bei den French Open ist Nadal wieder der haushohe Favorit. Nur er selbst gibt sich konsequent bescheiden, ist geradezu der Weltmeiste­r im Tiefstapel­n. Er wolle seine „beste Leistung“abrufen, das sei wie immer sein Hauptziel, sagt Nadal, „gelingt mir das, ist natürlich vieles möglich“.

Er befindet sich in diesem Jahr auch auf historisch­er Mission, denn der 14. Roland-Garros-Titel würde ihm auch die alleinige Führung in der ewigen Grand-SlamListe

einbringen. Nadal 21, Roger Federer 20, Djokovic 18 – so könnte die neue Hierarchie nach Paris aussehen. Federer, der Rückkehrer und Langzeitve­rletzte der Saison 2020, wäre entthront. Und Nadal läge erstmals vor seinem ewigen Freund und Gegenspiel­er.

Aufeinande­rtreffen der Großen

Kurios: Die drei beherrsche­nden Größen dieser Epoche spielen in Frankreich­s Hauptstadt alle in der gleichen Hälfte des Tableaus, der Tatsache geschuldet, dass die Setzliste streng nach der Weltrangli­ste angeordnet ist. Und dort steht Nadal eben gerade nur auf Platz drei und Federer auf Platz acht.

Am Donnerstag wird Nadal 35 Jahre alt. Er ist dann mutmaßlich mittendrin in seiner Mission Titelverte­idigung. Er ist auch längst noch nicht müde, weitere Pariser Jahre und Siege anzuvisier­en. Er ist schon viel länger ganz vorne im großen Spiel dabei, als er es sich selbst jemals erträumt hatte. „Schon ein einziger Titel hätte mir gereicht, mehr Ziele hatte ich gar nicht“, sagt Nadal vor dem Beginn der French Open.

Nun sind es schon 13 in Paris, 20 überhaupt im Grand-Slam-Kosmos. Und die Jagd geht weiter, das Ende ist noch nicht in Sicht. „Ich gehe in jedes Spiel, um 100 Prozent zu geben. Ich will immer gewinnen“, sagt Nadal, „daran hat sich vom ersten Moment an nie etwas verändert“.

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Fotos: AFP Rafael Nadal ist bereit, um seine Titelsamml­ung in Paris zu erweitern.
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Rafael Nadal würde die Trophäe auch in diesem Jahr gerne vor dem Eiffelturm präsentier­en.

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