Eintausend Zeugnisse der Corona-Ära
Veröffentlichte E-Mails aus der Frühphase der Pandemie helfen dabei, den amerikanischen Chef-Infektiologen Anthony Fauci zu verstehen
Als der Covid-19-Erreger außer Kontrolle geriet, schlug die Stunde des Dr. Anthony Fauci. Es schien, als habe sich der 80-jährige Direktor des „National Institute of Allergy and Infectious Diseases“ein ganzes Leben lang auf diesen Moment vorbereitet. Ein halbes Jahrhundert stand er in Diensten der öffentlichen Gesundheit, davon seit 1984 unter sieben Präsidenten an der Spitze des NIAID.
Doch das, was ihn diesmal erwartete, übertraf nach eigenem Zeugnis alle Herausforderung seiner Karriere. „Was mich nachts wach hielt, war die Möglichkeit einer pandemischen Infektion der Atemwege“, gestand Fauci in einer E-Mail an das Büro des „Surgeon General“der US-Army, das ihm Mitte April vergangenen Jahres eine Liste an Fragen übermittelt hatte. „Jetzt hält mich nachts der Umgang damit wach, allen voran die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs und Behandlungen für Covid-19.“
Eine von oft mehr als tausend E-Mails, die täglich im Posteingang des Top-Infektiologen der US-Regierung landeten. Die „Washington Post“sicherte sich den Zugang zu der Kommunikation Faucis aus der Frühphase der Pandemie durch eine „Freedom-of-Information“-Anfrage. Die ersten Veröffentlichungen zeichnen das Porträt eines Wissenschaftlers, der weniger an der Aufmerksamkeit für seine Person interessiert war, als an der Suche nach einer schlüssigen Strategie gegen das tödliche Virus.
Seine Fans verehrten den zähen Doktor wegen seiner sachlichen Art, mit der Fauci einen bewussten Kontrapunkt zu der vielfach als chaotisch wahrgenommenen Reaktion des Präsidenten auf die Pandemie
setzte. Seine Gegner hielten ihn für einen Wichtigtuer, der mit seinen Schließungs- und Masken-Empfehlungen darauf abzielte, Trump politisch zu schaden.
Dr. Anthony Fauci gilt in den USA als eines der Gesichter der Pandemie.
Bald fanden sich in seinen E-Mails Todesdrohungen, die staatlichen Personenschutz nötig machten.
Der Direktor der chinesischen Gesundheitsbehörde, George Gao, ein respektierter Wissenschaftler und alter Bekannter Faucis, drückte in einer E-Mail die Hoffnung aus, dass die Berichte über Gewaltandrohungen gegen seine Person nur „Fake News“seien. Fauci bedankte sich für „die freundliche Botschaft“seines chinesischen Kollegen und versicherte diesem: „Alles ist gut, trotz einiger verrückter Leute in dieser Welt“.
Auf positiven Wirbel reagierte er genauso gelassen. „Unsere Gesellschaft ist komplett verrückt“, kommentierte er einen Artikel, der sich mit in den Wissenschaftler vernarrten Anhängern befasste.
Manche Antworten auf die EMails schickte Fauci noch spät nach Mitternacht ab. Etwa die an einen Top-Manager der „Bill & Melinda Gates“-Stiftung, der Sorge
um die Gesundheit des Doktors ausgedrückt hatte. Kurz vor zwei Uhr in der Nacht antwortet Fauci: „Ich versuche mich einzubringen, soweit es die gegenwärtigen Umstände zulassen“.
Die „Umstände“waren ein nicht enden wollender Strom an Bitten, Anfragen und Rückversicherungen, die aus der Politik, der Wirtschaft und Wissenschaft in seinen Posteingang kam und Fauci zu überwältigen drohte.
Was sich in den E-Mails nicht findet, sind Belege mangelnder Loyalität gegenüber dem Präsidenten. Der Stabschef von Vizepräsident Mike Pence, Marc Short, drückte in einer E-Mail Kritik an Faucis Bedenken zu einer Wiederöffnung der Wirtschaft vor Ostern 2020 aus. Faucis Antwort fällt gewohnt professionell aus. „Danke für Ihre Nachricht. Verstanden. Ich wünsche Ihnen einen friedlichen und erfreulichen Tag mit Ihrer Familie.“