„Ein Paukenschlag“
Zoom auf das Literaturarchiv: Vor vierzig Jahren, Anfang 1981, gelangte im Pavillon des Galgenbergs in Esch/Alzette die erste Produktion der Theater G.m.b.H. zur Aufführung. Die im Fonds Christian Kmiotek des Centre national de littérature aufbewahrten Do
Unter den mehr als 450 Archivbeständen, die das CNL beherbergt, befinden sich neben solchen von Schriftstellern und Institutionen des Literaturbetriebs auch Bestände, die das Theaterleben dokumentieren. Einer davon ist der Vorlass des 1960 geborenen Schauspielers, Regisseurs, Produzenten und Pädagogen Christian Kmiotek, der u.a. Präsident der Theater Federatioun (2012-2016) und, in seiner Eigenschaft als Politiker, von 2013 bis 2020 als Teil einer Doppelspitze Vorsitzender der Partei Déi Gréng war. Unter der Signatur T-22 umfasst der Bestand neun Archivkästen, zahlreiche Theater- und Filmplakate sowie Zeitschriften aus der ‚alternativen‘ Theater- und Jugendszene, die in den allgemeinen Zeitschriftenbestand des CNL eingegliedert wurden. Über die Theater- und Filmkarriere des Bestandsbildners hinaus erlauben diese Materialien aus den Jahren 1975-2008 Einblicke in einen Abschnitt der rezenten Theatergeschichte. Dazu gehören die Entwicklungen im Theater- und Kulturmilieu in Esch um das Jahr 1980, aus denen die Theater G.m.b.H. und wenig später die Kulturfabrik hervorgingen.
Vom Schülertheater zur Theater G.m.b.H.
Eingetragen wurde die Theater G.m.b.H. bei der Gemeinde Esch im September 1980. „Idee und Name“wurden, wie Kmiotek in einer Sondernummer der Zeitschrift der Kulturfabrik „Bordangs Louis“(1991) ausführt, aber schon im Juli desselben Jahres „geboren“, und zwar anlässlich eines in der deutschen Universitätsstadt Göttingen ausgerichteten Jugendtheater-Festivals, an dem „eine Gruppe Schauspieler aus den beiden Escher Schülertheaterensembles“, also „Les Tréteaux de la chouette“unter der Leitung von Ed Maroldt am Lycée de garçons und sein von Alex Reuter am Lycée Hubert-Clément animiertes Pendant „Namasté“, teilnahm.
Vorstellung des neuen Ensembles im Programmheft zu „Morgenrot“betont, nur „20 Jahre“betrug, vom etablierten Theaterbetrieb ab. Man wolle, so heißt es dort, „ehrliches Theater“für junge Menschen machen und die „Probleme, Ideen, Träume, Hoffnungen, Enttäuschungen junger Leute auf die Bühne bringen“. Dies sollte nicht in „ehrwürdigen Theaterhallen“geschehen, vielmehr nahm man sich vor, „unser Theater […] dorthin zu bringen, wo die Zielgruppe sich aufhält, wo wir uns aufhalten […] in Kneipen, in Hallen, auf Festivals, in Jugendhäusern, auf Schulfesten“.
Vor diesem Hintergrund eines Anspruchs auf Neuerung und der Distanz zum etablierten Theater- und Kulturbetrieb ist es nur folgerichtig, dass sich die Theater G.m.b.H., als sich die Gelegenheit dazu bot, im ehemaligen Escher Schlachthof ansiedelte.
Als Theaterort entdeckt worden war der 1979 stillgelegte Schlachthof wiederum von Ed Maroldt, der 1981 eine Produktion des Kasemattentheaters in der Vorkühlhalle inszenierte. Die Überführung ehemaliger Industrieanlagen in alternative Kulturstätten lag im Trend der Zeit, und bezeichnenderweise befindet sich im Fonds Kmiotek eine Ausgabe der Zeitschrift „Theater heute“vom November 1979, darin ein „Die Fabrik wird zum Theater“übertitelter Artikel über den Umbau einer Tübinger Schuhfabrik zu einem Theater. Damit ging eine Theaterkonzeption einher, die Kmiotek in „Bordangs Louis“als „ein – jedoch nicht kategorisches – Nein zu den musealen Guckkastenbühnen der großen Theater und Festsäle“charakterisiert.
Während es für Maroldt bei einer einmaligen Produktion im „ale Schluechthaus“blieb, war das Schicksal der Anlage eng mit jenem der Theater G.m.b.H. verbunden, seit diese 1982 für Nico Helmingers sozialkritisches Stück
„Rosch oder déi lescht Rees“und Guy Rewenigs Kabarettprogramm „Oureschlëffer“das Gemäuer als geeigneten Ort für ihre Inszenierungen entdeckt hatte. Der Lokalität haftete überdies eine passende Aura an, wie aus der Pressemitteilung zu Helmingers Stück hervorgeht: „Wir haben den Ort aufgegriffen, weil er ein Abfallprodukt ist; der Schlachthof ist pensioniert, er hat einem jüngeren, besseren Kollegen seine Funktion überlassen – Jetzt muß er sterben. Trümmerlyrik.“
Zugleich markierte die Besetzung des von Maroldt benutzen Raumes durch die junge Truppe den Beginn einer neuen, über die Gruppe selbst hinausweisenden Entwicklung im Escher Kulturleben. Ab 1983 schlossen sich ihr weitere Künstler, Schauspieler, Filmleute und Musiker an, und zur Verteidigung ihrer Interessen wurde im gleichen Jahr die Gesellschaft ohne Gewinnzweck Kulturfabrik a.s.b.l. gegründet. Es folgte die Ausweitung auf andere Räume des Schlachthofes, der in der Folge auf eigene Kosten und mit dem nötigen Arbeitseinsatz an die neuen Bedürfnisse angepasst wurde. Nicht zu Unrecht schreibt daher René Clesse in der schon erwähnten Nummer von „Bordangs Louis“, „[e]igentlicher Initiator der Kulturfabrik [sei] die 1980 ins Leben gerufene Theater GmbH“gewesen.
Ein „zäher Kampf“(Clesse) war aber noch nötig, um von der bloßen Duldung über Veräußerungsversuche des Gebäudes seitens der Gemeinde hin zur offiziellen Anerkennung als Kulturzentrum unter der Verantwortung der Kulturfabrik a.s.b.l. zu gelangen. Nach umfassenden Renovierungsarbeiten wurde der ehemalige Schlachthof 1998 wiedereröffnet. Christian Kmiotek lag also nicht ganz falsch, als er schon 1991 in der Gründung der Theater G.m.b.H. den „Startschuß zu einer Explosion in der Luxemburger Theaterszene“sah. * Pierre Marson ist Conservateur am Centre national de littérature
„Aalt Schluechthaus“und Kulturfabrik