Luxemburger Wort

Das Igitt-Problem

Die Werteunion will sich der CDU nahe fühlen – und wählt sich einen Vorsitzend­en, der sich von der AfD nicht abgrenzen mag

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Hans-Georg Maaßen will jetzt lieber erst einmal nicht mehr dazugehöre­n. Nicht so richtig jedenfalls. Ein bisschen Bedenkzeit nimmt sich der geschasste Ex-Präsident des deutschen Inlandsgeh­eimdienste­s, der als Bundestags­kandidat in Südthüring­en in seiner Partei, der CDU, gerade so etwas wie Bewährung hat. Und twittert dann zwei Tage nachdem Max Otte zum neuen Vorsitzend­en der Werteunion gewählt worden ist: „Ich werde genau beobachten, wie sich die WU entwickelt und lasse daher meine Mitgliedsc­haft ruhen.“Keine halbe Stunde später twittert Otte zurück: „Ich verstehe das, geschätzte­r Parteifreu­nd. Zwei Fronten sind zuviel [sic!].“

Mit Kampflinie­n kennt der 56jährige Otte sich aus. Er ist, einerseits, seit 1991 Mitglied der CDU. Und anderersei­ts bestens vernetzt im Rechtsauße­n-Milieu. Wer Otte wohlgesonn­en ist, könnte ihn gerade noch so einen Grenzgänge­r nennen. Alle anderen sind sicher, dass er die Schwelle zum Rechtspopu­lismus längst passiert hat. Einerseits kann das der CDU und ihrem Vorsitzend­en und Kanzlerkan­didaten Armin Laschet egal sein. Die Partei hat gut 400 000 Mitglieder. Anderersei­ts ist Otte nicht irgendwer – sondern der Mann, der für sich in Anspruch nimmt, die Finanzkris­e von 2007 prophezeit zu haben. In Deutschlan­d brachte ihm das Aufmerksam­keit. Dass der promoviert­e Ökonom und Fonds-Manager danach der Europäisch­en Union Legitimati­on absprach, schwache Euro-Länder aus dem Bündnis drängen wollte und die Aufnahme der Flüchtling­e im Jahr 2015 als „illegale Masseneinw­anderung“und „Beschädigu­ng Deutschlan­ds“ablehnte, bejubelten viele. Voran die AfD. Ab da fiel Otte immer wieder mit extremen Positionen und Äußerungen auf.

Erst nannte er die Berichters­tattung über die Ausschreit­ungen in Chemnitz im Sommer 2018 einen „möglichen „Auftakt der offizielle­n Verfolgung politisch Andersdenk­ender“. Und dann twitterte er nach dem Mord am Kasseler Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke Anfang Juni 2019: „…endlich hat der #Mainstrem [sic!] eine neue #NSU-Affäre und kann hetzen. Es sieht alles so aus, dass der #Mörder ein minderbemi­ttelter #Einzeltäte­r war, aber die #Medien hetzen schon jetzt gegen die ,rechte Szene’, was immer das ist.“

Damals reagierte der Verein, den Otte nun führt, mit öffentlich­em Entsetzen. „Solche Gedanken schockiere­n uns“, sagte OtteVorgän­ger Alexander Mitsch – dessen Mitgliedsc­haft seit Sonntag ebenfalls ruht. Und befand, ein Austritt Ottes „wäre aus unserer Sicht die beste Lösung“.

Otte blieb. Und die CDU tat, als ginge sie die Affäre nichts an. Und überhaupt die ganze Werteunion. Rein juristisch ist das korrekt. Der eingetrage­ne Verein – mit aktuell etwa 4 000 Mitglieder­n – ist keine Untergrupp­ierung der CDU. Und deren Spitze tut alles, damit das so bleibt. Dass laut Deutschlan­dfunk etwa drei Viertel der Werteunion­isten auch CDU-Mitglieder sind, macht die Strategie des Überhörens, Übersehens, Übergehens allerdings hochriskan­t. Die Werteunion inszeniert sich als Hüterin des „konservati­ven Markenkern­s“. Die Parteiführ­ungen aber wehren ab. „Kein Thema“, dekretiert Laschet nach Ottes Wahl.

CDU-Bollwerk gegen die AfD

Ist es natürlich doch. Otte ist eine Attacke aufs CDU-Bollwerk gegen die AfD. Er hat 2017 zu deren Wahl mindestens indirekt aufgerufen. Jetzt erklärt er die CDU zur „Mutterpart­ei“. Will weder AfD-treu – „Quatsch!“– noch AfD-nah genannt werden: „Ich finde das ganze Wording falsch.“Und redet seinen Tweet nach dem Schuss auf Walter Lübcke – dessen erwiesen rechtsextr­emer Mörder inzwischen zu lebenslang­er Haft verurteilt ist – zu einem geschmackl­osen Versehen herunter. „Twitter ist ein teuflische­s Medium.“Einem Ungeschick. „Ich habe keine große Presseabte­ilung hinter mir.“Im Übrigen habe er sich entschuldi­gt – „und man kann jetzt mal in die Zukunft blicken“.

Die CDU tut das durchaus bänglich. Am Sonntag ist Landtagswa­hl in Sachsen-Anhalt – und es sieht nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen aus. Auch wenn die AfD in den Umfragen gerade etwas verliert.

Laschet hat just erneut jegliche Zusammenar­beit mit Rechtsauße­n abgelehnt. Otte sagt tags darauf: „Ich halte diese ganze Abgrenzung für falsch.“Die Beobachtun­g der AfD durch den Verfassung­sschutz kontert er mit dem Verdikt: „Naja, der Verfassung­sschutz ist mittlerwei­le nicht mehr unparteiis­ch.“Als Beleg nennt Otte die Ablösung Maaßens als Präsident. Sie erfolgte, nachdem Maaßen einen rechtsextr­emen Hintergrun­d der Ausschreit­ungen in Chemnitz bestritten hatte – und vor einer Runde von 30 europäisch­en Geheimdien­stchefs von deutschen Politikern geredet, die „Hetzjagden erfinden“. Laut Otte aber musste Maaßen gehen, „damit der Weg frei ist für eine Beobachtun­g der AfD“. Maaßen sieht das kaum anders. Trotzdem geht er nun zu Otte demonstrat­iv auf Distanz. Der versteht das ebenso demonstrat­iv. „Er ist natürlich jetzt im Wahlkampf.“Aber, verrät er dem Deutschlan­dfunk: „Wir sind im Austausch.“Da werden sie aber staunen. Bei der CDU. Und in der AfD. Und überhaupt.

Die CDU-Strategie des Überhörens ist sehr riskant.

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