Luxemburger Wort

„Es ist ja Gott, der beruft“

Marie-Christine Ries spürt in sich eine Berufung – ein Gefühl, das es in der Kirche für Frauen nicht geben darf. Wie geht sie damit um?

- Von Michael Merten

Luxemburg. Espérance – Hoffnung, so nennt sich das Motiv, das der Künstler und Glasgestal­ter Théo Kerg in den späten 1970er-Jahren in die damals neue Heilig-GeistKirch­e in Luxemburg-Cents einbaute. Als großes Fenster in Form eines Kruzifixes taucht es den ganzen Altarraum der modernen Betonkirch­e in warmes Licht. Langsam nähert sich Marie-Christine Ries dem zentralen Bereich ihres Heimat-Gotteshaus­es. Ob sie sich vielleicht in die Nähe des Altars stellen möchte für das Foto? Die Katholikin lehnt ab: Lieber möchte sie für das Zeitungspo­rträt ein paar Meter weiter am Taufbecken stehen. Dort breitet sie ihre Arme aus, sodass ihre Handfläche­n nach oben zeigen; zusammen mit ihrem feuerroten Poncho und der Osterkerze hinter ihr hat sie nun eine sakrale Anmutung.

Marie-Christine Ries ist eine Frau, in deren Leben Gott und der Glaube an ihn eine zentrale Bedeutung spielen. Die bischöflic­he Delegierte für die sozialen Institutio­nen zählt zu den Aushängesc­hildern des Erzbistums Luxemburg. Beruflich sowie in ihrer Freizeit setzt sie sich für Geflüchtet­e ein und arbeitet ehrenamtli­ch in ihrer Pfarrei mit. 30 Jahre lang hat sie an verschiede­nen Orten im Großherzog­tum an der Pfarrseels­orge mitgewirkt.

Ries in ihrem Haus in Luxemburg-Cents.

Der Papst hat entschiede­n

Auf eine Ehe, auf eigene Kinder hat sie verzichtet, weil sie sich als junge Frau ganz ihrer Mission verschreib­en wollte. Doch der Dienst am Altar, er ist der 60-Jährigen ihr Leben lang verwehrt geblieben. Nicht, weil der studierten Theologin die nötige Qualifikat­ion fehlen würde, sondern weil sie eine Frau ist. Eine Angehörige der katholisch­en Kirche, die Frauen auf keinen Fall zur Priesterwe­ihe zulassen will, wie es der konservati­ve Papst Johannes Paul II. klarstellt­e. Und wie auch der wesentlich reformfreu­digere Amtsinhabe­r Franziskus bekräftigt hat.

Doch auch Machtworte von Päpsten lassen die Diskussion um die Rolle der Frau in der Kirche nicht verstummen. In den vergangene­n Monaten hat das Thema erneut für Schlagzeil­en gesorgt: Die Rüdesheime­r Benediktin­erin Philippa Rath hat in einem Buch knapp 130 Lebenszeug­nisse von katholisch­en Frauen zusammenge­tragen, die eine Berufung zur Priesterin in sich spüren (das LW berichtete).

Eine davon ist Marie-Christine Ries. „Der ,Stachel‘ der Berufung zur Priesterin hat mich immer wieder in die Gänge gebracht. Und Widerstand hat mich stark und leider auch manchmal hart gemacht“, schreibt sie in ihrem Beitrag zu dem Buch. Eine Berufung – sie kommt nach katholisch­em Verständni­s von Gott. Doch wie steht es um eine Berufung für ein Amt, das gar nicht für einen selbst zugänglich ist? Und wie spürt man einen solchen Ruf überhaupt?

„Das kann ich Ihnen noch sehr genau sagen“, antwortet Ries. Während sie dem Besucher in ihrem Wohnzimmer einen Kaffee anbietet, blickt sie mehr als 40 Jahre zurück. Sie sei in einer „engagierte­n katholisch­en Familie“aufgewachs­en, erzählt Ries. Schon ihre Eltern waren sehr aktiv im sozialen und kirchliche­n Bereich. Als Jugendlich­e wurde sie vom Pfarrer und einer Ordensschw­ester angesproch­en, ob sie nicht Lektorin sein möchte. Sie sagte zu, engagierte sich auch bei den Ministrant­en und später in der Jugendarbe­it. Den konkreten Wunsch, Theologie zu studieren, entwickelt­e sie mit 17 oder 18 Jahren, als sie bei den Jesuiten in Namur an Einkehrtag­en teilnahm. „Für mich war die große Frage: Was mache ich nach dem Abitur? Studiere ich Chemie oder Theologie?“Chemie habe sie damals sehr gemocht. „Aber in diesen Exerzitien wurde mir dann ganz klar: Nein. Dein Weg liegt woanders.“

Doch es gab ein Problem: Den Beruf der Pastoralre­ferentin gab es zu dieser Zeit im Erzbistum Luxemburg noch gar nicht. Auf Lehramt wollte sie aber nicht studieren. „Ich wollte in einer Pfarrei arbeiten, denn für mich war klar: Meine Berufung ist pastorale Arbeit. Du gehst dem nach, war dir Freude im Herzen bereitet.“So begann sie 1980 ihr Theologies­tudium in Belgien – ohne eine klare berufliche Perspektiv­e. Wie würde sie einmal bezahlt werden? Würde sie akzeptiert werden? Diese Unsicherhe­it habe sie nicht abhalten können, erinnert sie sich: „Meine Studienkol­legen in Louvain-la-Neuve haben mir immer gesagt: Du hattest eine Sicherheit in dir, die nicht von dir kam. Eine Kraft, die nicht deine war.“

Neuland in der Pfarrarbei­t

1986 wurde Ries Pastoralas­sistentin in Mersch. „In der Pfarrei war das damals noch ziemliches Neuland“, erinnert sie sich. In Luxemburg habe es damals eine starke Aufbruchst­immung gegeben; neue Ideen in der Kirche, in der Kinder-, Jugend- und Familienar­beit seien willkommen geheißen worden. Widerständ­e von Gläubigen oder Vorgesetzt­en habe sie nur selten erlebt. „Ich weiß aber, dass es Kolleginne­n und Kollegen gab, die es schwierige­r hatten. Ich denke, ich hatte das Glück, in eine Pfarrei reinzukomm­en, die sehr, sehr offen war.“Doch gelegentli­ch sei es in der tagtäglich­en Arbeit zu Konflikten mit Priestern gekommen. „Die dann als letztes Argument gesagt haben: Ich bin geweiht und du nicht. Das hat wehgetan.“

30 Jahre lang war Ries an verschiede­nen Orten in der Pfarrseels­orge tätig. Es war für sie mehr als ein Beruf: „Irgendwann habe ich mir gesagt: Ja, warum kannst du eigentlich nicht Priesterin werden? Warum ist das, was du in dir spürst, nicht möglich?“Gleichzeit­ig war in ihr auch der Wunsch, eine eigene Familie zu gründen. „Ich glaube, ich wäre auch verheirate­t glücklich geworden“, sagt sie. Sie hat mit sich selbst gerungen und sich letztlich für ein zölibatäre­s Leben entschiede­n. „Irgendwann war mir klar: Um die Berufung so zu leben, wie ich sie in meinem Innersten gespürt habe, gehört mein Leben Gott – und dann kann ich es nicht.“Sie wird nachdenkli­ch; „Ja, es war eine schwere Entscheidu­ng. Das gebe ich zu“. Letztlich sei es ein anderer, aber ein guter Weg geworden: „Ich habe ein erfülltes Leben.“

Erste Frauenbeau­ftragte

Seit Jahrzehnte­n lebt sie nun dennoch mit einem inneren Konflikt;

Oben: Die Heilig-Geist-Kirche in Luxemburg-Cents ist die Heimatpfar­rei von Marie-Christine Ries.

Rechts: Verabschie­dung als Pastoralre­ferentin in Mersch im Jahr 1999.

Chance nicht bekommt, das einzubring­en. Es ist eine Verschwend­ung an Charismen und Talenten“, sagt sie.

Das betreffe nicht nur Frauen: Auch Priester, die sich verliebten, sollten nicht zwischen dieser Liebe und ihrer Laufbahn entscheide­n müssen. Ries erzählt: „Ein Priester, der dann später sein Priesteram­t verlassen hat, um zu heiraten, hat mir einmal gesagt: ,Ich bete nicht mehr für Berufungen in der Kirche. Ich bete dafür, dass die Kirche die Berufungen anerkennt, die da sind.‘ Das mache ich auch.“Ries suchte sich Mitstreite­rinnen in Luxemburg, kam auch in Kontakt zu Gläubigen anderer Konfession­en. „Als die Anglikaner beschlosse­n haben, Frauen

zu weihen, da habe ich wirklich überlegt, ob ich nicht konvertier­e ...“, sagt sie. Um zugleich lachend hinterherz­uschieben: „Leider habe ich Englisch gehasst.“

Doch letztlich blieb sie in ihrer Kirche. Obwohl das mitunter frustriere­nd war – etwa, wenn sie Mitwirkend­e für die Kommission „Fra an der Kierch“gesucht hat: „Frauen, die wir angesproch­en haben, sagen mir: Ich bin gläubig, bete auch mit meinen Kindern. Aber mit der Kirche will ich nichts zu tun haben – die wollen mich doch gar nicht. Und das tut mir weh – für die Kirche, denn sie verliert super Mitglieder, aber auch für die Frauen, weil sie ihren Platz da nicht finden.“

Des Kämpfens müde

„Ich bin des Kämpfens müde“, schrieb Ries in ihrem Beitrag zu dem Berufungsb­uch. Es gibt Momente, in denen sie der Resignatio­n nahe ist. In denen sie traurig und wütend ist. Wo sie sich dachte: Tu dir das doch nicht mehr an. Doch aus ihrer Spirituali­tät, die von der Communauté Vie Chrétienne geprägt ist, zieht sie Kraft. Kraft für eine Auseinande­rsetzung,

hat ihre vier Blättchen, und darin stehen wieder vier noch kleinere Blättchen, und in der Mitte sind Stempel und Staubgefäß­e. Jede hat sich anders entwickelt, je nach dem, was sie erlebt hat: Zu viel Sonne, zu viel Regen, zu viel Schatten, zu große Trockenhei­t ... Manche Sorten sind uralt, andere gezüchtet, an besondere Bedingunge­n angepasst, und je nachdem, wie viel Kalk im Boden enthalten ist, sind sie blau oder rot.

Ein wunderbare­s Bild für mein Verhältnis zu Gott und seiner Kirche: Viele einzelne Menschen, Kinder und Erwachsene, Frauen und Männer, Arme und Reiche, Zugereiste und Einheimisc­he, verbinden sich, zu Gemeinden und zu Kirchen, die gemeinsam eine Ökumene aus vielen Kirchen bilden.

Alle sind beeinfluss­t von dem Boden, auf dem sie wachsen: dem Land, der Kultur, dem Klima. Ein Same wurde gelegt oder ein Ableger eingepflan­zt. Blattwerk hat sich entwickelt, Strukturen also, die die Verbindung zu den Wurzeln aufrechter­halten.

Manche Kirchen sind uralt, wie zum Beispiel die der koptischen Christen in Ägypten, manche sind neu und haben sich den modernen Bedingunge­n angepasst. Alle gemeinsam bilden die Idee von Gottes Reich auf der Erde ab. Vielleicht ist das ein bisschen schöngezei­chnet?

Kirche als Hortensien­blüte – ein schönes Gleichnis. Es macht mir higoen, fir d’Pessach-Iesse fir dech virzeberee­den?“Dunn huet hien der zwéi vun hinne virgeschéc­kt a gesot: „Gitt an d’Stad. Do kënnt een iech entgéint, deen en äerde Krou mat Waasser dréit. Gitt him no, an do, wou hien erageet, sot zum Haushär: ,De Meeschter léisst dir soen: Wou ass mäi Sall, an deem ech d’Pessach mat menge Jünger iesse soll?‘ Hie weist iech dann e grousst Zëmmer uewenop, dat prett ass, mat Këssen ausgeluech­t. Bereet äis et do vir!“D’Jünger si fortgaang a koumen an d’Stad. Si hunn alles esou fonnt, wéi hien hinnen et gesot hat, an si hunn d’Pessach-Iesse virbereet. Iwwerdeems si giess hunn, huet de Jesus Brout geholl an den Herrgott gelueft; hien huet et gebrach, hinnen et ginn a gesot: Huelt! Dat hei ass mäi Läif.“Dunn huet hien e Kielech geholl an dem Herrgott merci gesot; hien huet hinnen e ginn, an si hunn alleguer draus gedronk. An hie sot zu hinnen: „Dat hei ass mäi Blutt, d’Blutt vum Bond, dat fir der vill vergoss gëtt. Amen, ech soen iech: Ech drénke ganz sécher net méi vum Drauwestac­k senger Fruucht bis deen Dag, wou ech am Herrgott sengem Räich op en Neis dervun drénken.“Nodeems si d’Luefpsalme gesong haten, sinn si erausgaang, op den Olivebierg.

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