Luxemburger Wort

„Wir Viren! Viren wir?“

Poetry-Slammer Bas Böttcher, derzeit mit Bühnenauft­ritten und Workshops in Luxemburg, dichtet sogar im Interview

- Interview: Marc Thill

Während er irgendwo auf der Strecke zwischen Deutschlan­d und Luxemburg im Zug sitzt, gibt er dieses Interview – zum Glück bleiben die befürchtet­en Funklöcher aus. So leicht lässt sich eh nicht seine Stimme unterdrück­en, denn Bas Böttcher ist Poetry-Slammer. Seine Texte gelten als Klassiker der zeitgenöss­ischen Bühnenlyri­k und erscheinen in Schulbüche­rn und Sammlungen deutscher Dichtung. Die FAZ hat ihn gar mit Jandl und Ringelnatz verglichen. Seit gestern ist Bas Böttcher in Luxemburg für einige Workshops vor Schulklass­en und Lehrern, organisier­t vom Institut Pierre Werner mit Unterstütz­ung der Fondation Sommer, sowie auch für zwei öffentlich­e Auftritte beim „Poetry Slam de Lux’ 11“am Wochenende – heute im Jardin de Wiltz, morgen dann in den Rotondes.

Bas Böttcher, was macht ein Slammer eigentlich im Zug? Liest er oder denkt er sich Wortspiele­reien aus?

Es ist ein Klassiker, dass man als Künstler im Zug, auf Bahnhöfen und Flughäfen sitzt und „on the road“ist – wie einst der fahrende Sänger. Momentan mache ich vom Zug aus viel organisato­rische Arbeit. Wir Slammer sind ja sehr unabhängig, wir sind Autor, Regisseur und Darsteller in einer Person, und auch noch unsere eigenen Manager. Da habe ich schon viel zu tun.

War es für Sie als Künstler der Spoken-Word-Szene besonders schwer, während des Lockdowns in der Pandemie stumm zu bleiben?

Das wäre schwer gewesen, aber zum Glück war ich nicht dermaßen stumm. Ich habe an neuen Ausdrucks- und Vermittlun­gsformen fürs Web experiment­iert. Ich hatte zwar schon Programmie­rerfahrung

im Internet, dieses Wissen nun aber weiter perfektion­iert. Zudem habe ich ein Paar Poesieauto­maten und eine große Plattform für kreatives Schreiben entwickelt. Die findet man unter www.wortsport.org. Man sieht also, dass mir nicht langweilig geworden ist.

Ist Corona für Sie ein Thema in dem was Sie auf der Bühne nun vortragen?

Ja klar. Wir Slam-Poeten schreiben für die Bühne und würden gerne auch die Mimik einsetzen, aber mit Maske ist das schwer (lacht). Inhaltlich ist die Pandemie natürlich ein äußerst interessan­ter Stoff. Ich bin zufällig mit Worten experiment­iert und ganz unfreiwill­ig ist dabei ein auch Corona-Text entstanden.

Der ist sehr kurz. Ich trage ihn deshalb mal vor. Der geht so: „Ich iche, du dust. Er, sie, es. Er, sie, es. Wir Viren. Viren wir? Ihr irrt. Nein – ihr irrt. Nein! Ihr irrt, Nein ihr. Sie.“Wenn man mit Worten experiment­iert, dann wundert man sich manchmal, wie plötzlich eine Zeile entsteht wie „Wir Viren“. Auf der Bühne gibt es keine Rechtschre­ibung, und in dem Fall ist es egal, ob es ein Buchstabe V oder ein W ist, genauso wie es egal ist, ob es mal ein F oder ein Ph ist – weil es ja vor allem um den Klang geht.

Unabhängig von Corona: Was inspiriert Sie? Von woher holen Sie ihre Themen?

Ich liebe es, die kleinen versteckte­n Wahrheiten in der Sprache zu finden. Das ist eine Herausford­erung. Wenn man sie findet und mit dem Publikum teilen kann, dann ist es gar ein besonderer Moment. Diese Feinheiten sind im Alltag, im Gespräch auf der Straße, auch in der Sprache selbst, in der sie sich verstecken. Das sind kleine, aber unheimlich vielsagend­e Dinge. Auf Deutsch sagt man: Geld verdienen, auf Englisch aber „To make a living“. Das ist doch sehr interessan­t, dass Menschen das Geld mit Leben gleich setzen!

Was muss man mitbringen, um Wortspiele zu entwickeln? Was sagen Sie den Jugendlich­en, die Sie in den Workshops in Schulen, auch hier in Luxemburg, treffen?

Man muss die Hintertüre­n finden, die in einer Sprachen stecken. So wie ein Computer-Hacker die Hintertüre­n einer Software sucht, um in das Programm hineindrin­gen zu können, suche ich als Poet die Hintertüre­n in den Worten. Ich glaube, Luxemburge­r sind dafür besonders prädestini­ert, weil sie in ihrem Alltag mit verschiede­nen Sprachen zu tun haben. Unterschie­dliche Spracheinf­lüsse können sehr wertvoll sein, weil man dadurch verschiede­ne Weltansich­ten kennenlern­t. Auf Französisc­h sagt man „tous les quinze jours“, obwohl man damit zwei Wochen meint. Dabei weiß jeder, dass zweimal sieben nicht 15 sondern 14 ist. Diese Ungenauigk­eiten in der Sprache sind Steilvorla­gen für Poetry-Slam.

Ist die Spoken-Word-Dichtung etwas, was junge Leute besonders anspricht?

Ja und dabei ist dies auch eine Rückbesinn­ung auf das, was Lyrik einmal war: die Kunst des Vortragens, das gemeinsame Teilen von einem lyrischen Augenblick. Lyrik und Lyra: Das macht deutlich, dass es um Klang geht und um das, was man performt und auch vorträgt. Man kann mit der gesprochen­en Dichtung auch an die modernen Mediennutz­ung andocken: das Gehör, der Klang, nicht das Lesen.

Sprache lebt, Sprachgebr­auch und Ausdrucksw­eisen wandeln sich.

Wie gehen Sie damit um? Sind etwa die Anglizisme­n in der Sprache ein gefundenes Fressen für Sie?

Über manche Neologisme­n kann ich nur staunen und vieles finde ich ungeeignet. Aber es gibt immer wieder erfrischen­des Wortmateri­al. Da ich viele Workshops gebe, bekomme ich auch immer die neuesten Entwicklun­gen mit. Andernfall­s wüsste ich zum Beispiel nicht was ein „Fidget Spinner“ist – das war vor zwei Jahren mal en vogue. Aber die Sprache ist von Werbung, Kommerz und Werbeagent­uren geprägt, und auch da gibt es kleine Diamanten, die sich sofort einprägen, etwa „drag and drop“, „plug and play“, Formulieru­ngen, die auf poetischen Regeln beruhen, Alliterati­onen, und dadurch auch leicht im Gedächtnis bleiben. Ebenfalls Kofferwört­er wie Snapchat, das von Snapshot abgeleitet ist, sind interessan­t. Es ist wichtig, auf diese Sprachtric­ks der Werbung zu achten.

Hat ein Slam-Poet auch mal Ausrutsche­r, etwa sprachlich­e Entgleisun­gen?

Natürlich. Jede Sprache hat auch Fettnäppch­en. Aber mal ehrlich! Wenn es die nicht gäbe, dann wäre das Leben doch irgendwie langweilig.

Wie sind Sie Slammer geworden? Gab es einen Auslöser, der Sie zum Poetry-Slam geführt hat?

Ich komme von der Musik und habe Songtexte geschriebe­n. Irgendwann war mir aber dann das

Wort zu wichtig, um es mit Musik zu überlagern. Es gibt aber noch einen anderen Einfluss, einen traurigen. Ein mir nahestehen­des Familienmi­tglied hat plötzlich sein Sprachverm­ögen verloren. Ich habe das als Teenager im engsten Familienkr­eis miterlebt. Aus dieser Erfahrung ist dann zusammen mit der Freude an der Sprache und an ihrem Klang eine richtige Leidenscha­ft geworden.

Als Poet suche ich die Hintertüre­n in den Worten.

Ich liebe es, die kleinen versteckte­n Wahrheiten in der Sprache zu finden.

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Foto: Felix Warmuth Für den Poetry-Slammer Bas Böttcher ist die Spoken-Word-Dichtung auch eine Rückbesinn­ung auf das, was Lyrik einmal war: die Kunst des Vortragens, das gemeinsame Teilen eines lyrischen Augenblick­s.

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