„Wir Viren! Viren wir?“
Poetry-Slammer Bas Böttcher, derzeit mit Bühnenauftritten und Workshops in Luxemburg, dichtet sogar im Interview
Während er irgendwo auf der Strecke zwischen Deutschland und Luxemburg im Zug sitzt, gibt er dieses Interview – zum Glück bleiben die befürchteten Funklöcher aus. So leicht lässt sich eh nicht seine Stimme unterdrücken, denn Bas Böttcher ist Poetry-Slammer. Seine Texte gelten als Klassiker der zeitgenössischen Bühnenlyrik und erscheinen in Schulbüchern und Sammlungen deutscher Dichtung. Die FAZ hat ihn gar mit Jandl und Ringelnatz verglichen. Seit gestern ist Bas Böttcher in Luxemburg für einige Workshops vor Schulklassen und Lehrern, organisiert vom Institut Pierre Werner mit Unterstützung der Fondation Sommer, sowie auch für zwei öffentliche Auftritte beim „Poetry Slam de Lux’ 11“am Wochenende – heute im Jardin de Wiltz, morgen dann in den Rotondes.
Bas Böttcher, was macht ein Slammer eigentlich im Zug? Liest er oder denkt er sich Wortspielereien aus?
Es ist ein Klassiker, dass man als Künstler im Zug, auf Bahnhöfen und Flughäfen sitzt und „on the road“ist – wie einst der fahrende Sänger. Momentan mache ich vom Zug aus viel organisatorische Arbeit. Wir Slammer sind ja sehr unabhängig, wir sind Autor, Regisseur und Darsteller in einer Person, und auch noch unsere eigenen Manager. Da habe ich schon viel zu tun.
War es für Sie als Künstler der Spoken-Word-Szene besonders schwer, während des Lockdowns in der Pandemie stumm zu bleiben?
Das wäre schwer gewesen, aber zum Glück war ich nicht dermaßen stumm. Ich habe an neuen Ausdrucks- und Vermittlungsformen fürs Web experimentiert. Ich hatte zwar schon Programmiererfahrung
im Internet, dieses Wissen nun aber weiter perfektioniert. Zudem habe ich ein Paar Poesieautomaten und eine große Plattform für kreatives Schreiben entwickelt. Die findet man unter www.wortsport.org. Man sieht also, dass mir nicht langweilig geworden ist.
Ist Corona für Sie ein Thema in dem was Sie auf der Bühne nun vortragen?
Ja klar. Wir Slam-Poeten schreiben für die Bühne und würden gerne auch die Mimik einsetzen, aber mit Maske ist das schwer (lacht). Inhaltlich ist die Pandemie natürlich ein äußerst interessanter Stoff. Ich bin zufällig mit Worten experimentiert und ganz unfreiwillig ist dabei ein auch Corona-Text entstanden.
Der ist sehr kurz. Ich trage ihn deshalb mal vor. Der geht so: „Ich iche, du dust. Er, sie, es. Er, sie, es. Wir Viren. Viren wir? Ihr irrt. Nein – ihr irrt. Nein! Ihr irrt, Nein ihr. Sie.“Wenn man mit Worten experimentiert, dann wundert man sich manchmal, wie plötzlich eine Zeile entsteht wie „Wir Viren“. Auf der Bühne gibt es keine Rechtschreibung, und in dem Fall ist es egal, ob es ein Buchstabe V oder ein W ist, genauso wie es egal ist, ob es mal ein F oder ein Ph ist – weil es ja vor allem um den Klang geht.
Unabhängig von Corona: Was inspiriert Sie? Von woher holen Sie ihre Themen?
Ich liebe es, die kleinen versteckten Wahrheiten in der Sprache zu finden. Das ist eine Herausforderung. Wenn man sie findet und mit dem Publikum teilen kann, dann ist es gar ein besonderer Moment. Diese Feinheiten sind im Alltag, im Gespräch auf der Straße, auch in der Sprache selbst, in der sie sich verstecken. Das sind kleine, aber unheimlich vielsagende Dinge. Auf Deutsch sagt man: Geld verdienen, auf Englisch aber „To make a living“. Das ist doch sehr interessant, dass Menschen das Geld mit Leben gleich setzen!
Was muss man mitbringen, um Wortspiele zu entwickeln? Was sagen Sie den Jugendlichen, die Sie in den Workshops in Schulen, auch hier in Luxemburg, treffen?
Man muss die Hintertüren finden, die in einer Sprachen stecken. So wie ein Computer-Hacker die Hintertüren einer Software sucht, um in das Programm hineindringen zu können, suche ich als Poet die Hintertüren in den Worten. Ich glaube, Luxemburger sind dafür besonders prädestiniert, weil sie in ihrem Alltag mit verschiedenen Sprachen zu tun haben. Unterschiedliche Spracheinflüsse können sehr wertvoll sein, weil man dadurch verschiedene Weltansichten kennenlernt. Auf Französisch sagt man „tous les quinze jours“, obwohl man damit zwei Wochen meint. Dabei weiß jeder, dass zweimal sieben nicht 15 sondern 14 ist. Diese Ungenauigkeiten in der Sprache sind Steilvorlagen für Poetry-Slam.
Ist die Spoken-Word-Dichtung etwas, was junge Leute besonders anspricht?
Ja und dabei ist dies auch eine Rückbesinnung auf das, was Lyrik einmal war: die Kunst des Vortragens, das gemeinsame Teilen von einem lyrischen Augenblick. Lyrik und Lyra: Das macht deutlich, dass es um Klang geht und um das, was man performt und auch vorträgt. Man kann mit der gesprochenen Dichtung auch an die modernen Mediennutzung andocken: das Gehör, der Klang, nicht das Lesen.
Sprache lebt, Sprachgebrauch und Ausdrucksweisen wandeln sich.
Wie gehen Sie damit um? Sind etwa die Anglizismen in der Sprache ein gefundenes Fressen für Sie?
Über manche Neologismen kann ich nur staunen und vieles finde ich ungeeignet. Aber es gibt immer wieder erfrischendes Wortmaterial. Da ich viele Workshops gebe, bekomme ich auch immer die neuesten Entwicklungen mit. Andernfalls wüsste ich zum Beispiel nicht was ein „Fidget Spinner“ist – das war vor zwei Jahren mal en vogue. Aber die Sprache ist von Werbung, Kommerz und Werbeagenturen geprägt, und auch da gibt es kleine Diamanten, die sich sofort einprägen, etwa „drag and drop“, „plug and play“, Formulierungen, die auf poetischen Regeln beruhen, Alliterationen, und dadurch auch leicht im Gedächtnis bleiben. Ebenfalls Kofferwörter wie Snapchat, das von Snapshot abgeleitet ist, sind interessant. Es ist wichtig, auf diese Sprachtricks der Werbung zu achten.
Hat ein Slam-Poet auch mal Ausrutscher, etwa sprachliche Entgleisungen?
Natürlich. Jede Sprache hat auch Fettnäppchen. Aber mal ehrlich! Wenn es die nicht gäbe, dann wäre das Leben doch irgendwie langweilig.
Wie sind Sie Slammer geworden? Gab es einen Auslöser, der Sie zum Poetry-Slam geführt hat?
Ich komme von der Musik und habe Songtexte geschrieben. Irgendwann war mir aber dann das
Wort zu wichtig, um es mit Musik zu überlagern. Es gibt aber noch einen anderen Einfluss, einen traurigen. Ein mir nahestehendes Familienmitglied hat plötzlich sein Sprachvermögen verloren. Ich habe das als Teenager im engsten Familienkreis miterlebt. Aus dieser Erfahrung ist dann zusammen mit der Freude an der Sprache und an ihrem Klang eine richtige Leidenschaft geworden.
Als Poet suche ich die Hintertüren in den Worten.
Ich liebe es, die kleinen versteckten Wahrheiten in der Sprache zu finden.