Zurechtgestaucht
Osteopathenklage: Verfassungsgericht erklärt Verordnungen zu Gesundheitsberufen für nichtig
Es ist eine weitere Schlappe für die Regierung und eine Bombe für das Gesundheitsministerium. Bereits mit dem IRM-Urteil wurde das Monopol für eine ganze Reihe an Untersuchungen gekippt, die das Gesundheitsministerium per Verordnung nur den Krankenhäusern vorbehalten wollte. Nun droht, dass auch die großherzogliche Verordnung zur Berufsausübung der Osteopathen für ungültig erklärt wird. Schlimmer noch: Das Verfassungsgericht hat sämtliche großherzogliche Verordnungen, die auf dem Gesetz von 1992 zu den Gesundheitsberufen beruhen, für verfassungswidrig erklärt. Es gibt der Regierung zwei Jahre Zeit, den Verordnungen einen angemessenen gesetzlichen Rahmen zu geben.
Der Fehler, der jedes Mal zugrunde liegt, ist die Einschätzung der Ministerien, dass sie in einer schlichten großherzoglichen Verordnung Themen von den ministeriellen Verwaltungen regeln lassen können, die laut Verfassung allein dem Gesetzgeber vorbehalten sind: Die Politik – das Parlament – muss hier ihre Verantwortung übernehmen.
Das sagt nun wiederum, wie schon beim IRM-Urteil, das Verfassungsgericht, das vom Verwaltungsgericht mit einer Vorabentscheidung befasst wurde: Ist das Gesetz von 1992 mit den Artikeln 11 und 32 der Verfassung vereinbar? Gemäß Art 11 kann die soziale Absicherung und der Gesundheitsschutz nur per Gesetz geregelt werden und gemäß Art 32 kann nichts, was eines Gesetzes bedarf per großherzogliche Verordnung geregelt werden.
20 Gesundheitsberufe aufgelistet Das Gesetz von 1992 betrifft die Ausübung und Aufwertung bestimmter Gesundheitsberufe: 20 Sparten sind dort aufgeführt, von den verschiedenen Pflegeberufen angefangen, über Masseure, Ernährungsberater, Ergotherapeuten, Physiotherapeuten bis hin zu Logopäden, Heilpädagogen und Podologen. Deren Regelung soll in großherzoglichen Verordnungen erfolgen, was das Verfassungsgericht nun moniert.
Denn die Ziele der Ausführungsbestimmungen und ihre Bedingungen müssen von der Legislative klar festgelegt sein, wenn sie an die Exekutive delegiert werden. Diese muss im Gesetz umfassend, präzise und verständlich orientiert und umrahmt werden, das Wesentliche muss im Gesetz enthalten sein, präzisieren die Verfassungsrichter. Die Verordnung zu den Osteopathen, aber auch alle anderen Verordnungen, die aufgrund dieses Gesetzes erlassen wurden, werden als verfassungswidrig erklärt.
Und weil sich daraus ganz offensichtlich exzessive juristische Konsequenzen ergeben, treten die Folgen davon erst am 30. Juni 2023 in Kraft, damit dem Gesetzgeber Zeit bleibt, die Situation zu bereinigen. „Das Gericht hat der Politik deutlich gezeigt, wo es langgeht“, kommentierte der Anwalt der Osteopathen, François Prum, auf Nachfrage hin das Urteil. Er hatte jedenfalls nicht damit gerechnet, dass sich aus der Klage dieser ganze Rattenschwanz ergibt.
Osteopathen nicht eingebunden
Die nächste Sitzung des Verwaltungsgerichts zur eigentlichen Streitsache, der Verordnung zu den Osteopathen, findet nun im Mai kommenden Jahres statt. Mit diesem Reglement wollte das Gesundheitsministerium 2018 die Bedingungen für die Autorisation als Osteopath festlegen, einem offiziell anerkannten Gesundheitsberuf, weil verschiedene Leistungen dieser alternativen Heilmethode auch von der Gesundheitskasse erstattet werden sollten: Die Studien, die zum Osteopathen-Diplom führen, die Modalitäten für die Anerkennung eines ausländischen Diploms und die Ausübung sowie der Kompetenzbereich für den Beruf.
Die in der Association luxembourgeoise des ostéopathes (Aldo) organisierten Osteopathen wurden um ihre Meinung zwar gebeten, aber sie staunten nicht schlecht, als sie die großherzogliche Verordnung dann sahen. Und als ihre Einwürfe keinerlei Berücksichtigung fanden, war die Empörung entsprechend groß. 2019 reichten sie dann Klage gegen die Verordnung vor dem Verwaltungsgericht ein. Ihre Kritik machte sich vor allem daran fest, dass das Hochschulministerium aufgrund der Vorgaben viel zu viele Osteopathen anerkannt und ihnen eine Autorisation zur Berufsausübung erteilt hat.
Die Berufsausbildung zum Osteopathen wurde erst in den vergangenen Jahren auf europäischer Ebene harmonisiert. Heute umfasst das Masterdiplom in Osteopathie eine Bac+5-Ausbildung. Die CEN-Norm, die von der europäischen Osteopathenföderation ausgearbeitet wurde, diente denn auch als Basisdokument für die Gespräche mit dem Ministerium.
Mit der Verordnung wurde dann auch die Übergangsphase geregelt, damit Osteopathen, die nicht über einen Master oder ein Äquivalent verfügen, aber schon lange praktizieren, eine Genehmigung zur Berufsausübung erhalten können: Wer als Mediziner, Physiotherapeut, Hebamme oder Krankenpfleger arbeiten darf, nachweisen kann, in den vergangenen zehn Jahren mindestens acht Jahre als anerkannter Osteopath gearbeitet zu haben und eine spezifische Ausbildung von mindestens 2 000 Stunden nachweisen kann, wird autorisiert, den Beruf des Osteopathen auszuüben.
Probleme bereitete den AldoVertretern aber die Tatsache, dass ihrer Meinung nach viel zu viele Osteopathen anerkannt wurden. Das Hochschulministerium, das für die Anerkennung von Hochschuldiplomen zuständig ist, hatte innerhalb von zwei Wochen 140 Anträgen stattgegeben. Darunter wurden nachweisbar auch Osteopathen anerkannt, die kein Diplom haben, das den Kriterien der Weltgesundheitsbehörde oder der europäischen CEN-Norm entspricht. Und Personen, die eine disparate Ausbildung durchlaufen haben ohne Wissensbewertung, Examen oder Abschlussarbeit. So seien auch Personen zugelassen worden, die ein „Zeugnis der Ausbildung in der Osteopathie” haben.
„Wir haben in der Aldo 73 Diplom-Osteopathen und wissen, dass es noch welche gibt, die nicht bei uns Mitglied sind. Wir haben mit 100 gerechnet im Land, es kamen aber 189 Anträge herein. Wo kommen die her?“, wunderte sich ein Aldo-Vertreter damals. „Es kann nicht sein, dass in die Aldo nur Leute mit einem exzellenten Qualifikationsniveau aufgenommen werden und dann solche Personen zugelassen werden.“
Gestern hieß es aus den Reihen der Aldo, die das Urteil natürlich begrüßt, auf Nachfrage hin: „Was wir befürchteten ist eingetreten: Wir wissen von Leuten, die nicht gut arbeiten. Es gab Beschwerden und es laufen auch Untersuchungen.” Man hätte diese Probleme voraussagen können. „Es wurde einfach von oben herab bestimmt, ohne sich mit uns abzusprechen.“Für Prum war aber klar, dass derzeit keine weiteren Autorisationen ausgesprochen werden können.
Wie das Urteil einzuordnen ist, was mit den erteilten Autorisationen nun passiert, wie viele Verordnungen zu den Gesundheitsberufen betroffen sind und ob gesetzliche Regelungen bis 2023 möglich sind, war gestern aus dem Gesundheitsministerium nicht in Erfahrung zu bringen. Auch nicht, wann denn die Versicherten nun mit Kostenerstattungen für Osteopathie rechnen können.
D'Geriicht huet der Politik den Diks geriicht. François Prum, Rechtsanwalt