Endlich fallen die Masken
Donald Trump ist für viele europäische Politiker ein Segen gewesen. Mit ihm im Weißen Haus konnten sich Macron, Merkel, Bettel und die Europäische Kommission vier Jahre lang mühelos als Bollwerk der westlichen Werte in Szene setzen. Verglichen mit Trump ist man nämlich schnell Klimaheld, Kämpfer für den Multilateralismus, Ritter für die soziale Gerechtigkeit und den Frieden auf Erden. Der ehemalige US-Präsident hat oft schlicht als faule Ausrede für die Europäische Union gedient: kein internationales Abkommen zur Steuergerechtigkeit, kein Frieden in Nahost oder keine transatlantischen Ambitionen in Sachen Klimaschutz? Alles nur wegen Trump.
Mit Joe Biden sind diese Zeiten endlich vorbei. Der neue US-Präsident bricht nämlich nicht nur mit den meisten Trumpismen, die darin bestehen, gegenwärtige internationale politische Trends, die ihren Ursprung links der Mitte haben (Klimaschutz etwa), zu boykottieren – er geht viel weiter: Der demokratische Präsident hat einen globalen Mindeststeuersatz für Multis auf die Agenda gesetzt, will in den Beziehungen des Westens mit China oder Russland schnell Fakten schaffen und hat eine temporäre Aufhebung des Patentschutzes von Corona-Vakzinen auf den Tisch gelegt. Nicht alles daran ist einwandfrei. So ist es etwa fragwürdig, ob die Aufhebung der Patente von Corona-Impfstoff kurzfristig positiv zur Bekämpfung der Pandemie beitragen wird. Nichtsdestotrotz zwingt Biden seinen EU-Partnern, die in dieser Frage die lautesten Skeptiker sind, dadurch eine mit Sicherheit notwendige Debatte auf.
Und im Allgemeinen stellt der neue US-Präsident die Europäer vor ihre eigenen Widersprüche. Während sich die Autokraten innerhalb der EU unter Donald Trump noch bestätigt fühlten, drängt der neue Mieter im Weißen Haus darauf, Farbe zu bekennen. Neulich hat die US-Regierung weitreichende Sanktionen gegen bulgarische Oligarchen verhängt – unter anderem deshalb, weil die EU seit Jahren kaum gegen die grassierende Korruption in dem Mitgliedsland vorgeht. Dass es die USA braucht, um in einem EU-Staat Rechtsstaat und Demokratie zu schützen, könnte für den Staatenbund peinlicher kaum sein. Die internationalen Arbeiten in Sachen Steuergerechtigkeit gehen in eine ähnliche Richtung: Die neuesten Bewegungen innerhalb der EU haben dem Impuls aus Washington viel zu verdanken. Dabei bleibt noch abzuwarten, ob die EU nicht bald selbst zum Bremser in dieser Frage wird. Heimische Steuerparadiese wie Irland, Malta oder Luxemburg – aber auch die ambivalente Haltung von Frankreich oder Deutschland – haben die Arbeiten der EU auf dieser Ebene in den vergangenen Jahren nämlich stets ausgebremst. Doch mit Trump im Hinterkopf ist dies kaum aufgefallen.
Für die EU – und vor allem für ihre Bürger – ist Joe Biden, der heute zum ersten Mal seine EU-Amtskollegen Ursula von der Leyen und Charles Michel unter sechs Augen trifft, demnach eine Riesenchance. Die Europäer müssen nämlich nun zeigen, dass sie es ernst meinen: mit der Steuergerechtigkeit, dem Klimaschutz und den demokratischen Werten. Ihr eigenes Scheitern können sie nämlich nicht mehr einfach auf Donald Trump abwälzen.
Verglichen mit Trump ist man schnell Klimaheld. Das war zu einfach.
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