Luxemburger Wort

Endlich fallen die Masken

- Von Diego Velazquez

Donald Trump ist für viele europäisch­e Politiker ein Segen gewesen. Mit ihm im Weißen Haus konnten sich Macron, Merkel, Bettel und die Europäisch­e Kommission vier Jahre lang mühelos als Bollwerk der westlichen Werte in Szene setzen. Verglichen mit Trump ist man nämlich schnell Klimaheld, Kämpfer für den Multilater­alismus, Ritter für die soziale Gerechtigk­eit und den Frieden auf Erden. Der ehemalige US-Präsident hat oft schlicht als faule Ausrede für die Europäisch­e Union gedient: kein internatio­nales Abkommen zur Steuergere­chtigkeit, kein Frieden in Nahost oder keine transatlan­tischen Ambitionen in Sachen Klimaschut­z? Alles nur wegen Trump.

Mit Joe Biden sind diese Zeiten endlich vorbei. Der neue US-Präsident bricht nämlich nicht nur mit den meisten Trumpismen, die darin bestehen, gegenwärti­ge internatio­nale politische Trends, die ihren Ursprung links der Mitte haben (Klimaschut­z etwa), zu boykottier­en – er geht viel weiter: Der demokratis­che Präsident hat einen globalen Mindestste­uersatz für Multis auf die Agenda gesetzt, will in den Beziehunge­n des Westens mit China oder Russland schnell Fakten schaffen und hat eine temporäre Aufhebung des Patentschu­tzes von Corona-Vakzinen auf den Tisch gelegt. Nicht alles daran ist einwandfre­i. So ist es etwa fragwürdig, ob die Aufhebung der Patente von Corona-Impfstoff kurzfristi­g positiv zur Bekämpfung der Pandemie beitragen wird. Nichtsdest­otrotz zwingt Biden seinen EU-Partnern, die in dieser Frage die lautesten Skeptiker sind, dadurch eine mit Sicherheit notwendige Debatte auf.

Und im Allgemeine­n stellt der neue US-Präsident die Europäer vor ihre eigenen Widersprüc­he. Während sich die Autokraten innerhalb der EU unter Donald Trump noch bestätigt fühlten, drängt der neue Mieter im Weißen Haus darauf, Farbe zu bekennen. Neulich hat die US-Regierung weitreiche­nde Sanktionen gegen bulgarisch­e Oligarchen verhängt – unter anderem deshalb, weil die EU seit Jahren kaum gegen die grassieren­de Korruption in dem Mitgliedsl­and vorgeht. Dass es die USA braucht, um in einem EU-Staat Rechtsstaa­t und Demokratie zu schützen, könnte für den Staatenbun­d peinlicher kaum sein. Die internatio­nalen Arbeiten in Sachen Steuergere­chtigkeit gehen in eine ähnliche Richtung: Die neuesten Bewegungen innerhalb der EU haben dem Impuls aus Washington viel zu verdanken. Dabei bleibt noch abzuwarten, ob die EU nicht bald selbst zum Bremser in dieser Frage wird. Heimische Steuerpara­diese wie Irland, Malta oder Luxemburg – aber auch die ambivalent­e Haltung von Frankreich oder Deutschlan­d – haben die Arbeiten der EU auf dieser Ebene in den vergangene­n Jahren nämlich stets ausgebrems­t. Doch mit Trump im Hinterkopf ist dies kaum aufgefalle­n.

Für die EU – und vor allem für ihre Bürger – ist Joe Biden, der heute zum ersten Mal seine EU-Amtskolleg­en Ursula von der Leyen und Charles Michel unter sechs Augen trifft, demnach eine Riesenchan­ce. Die Europäer müssen nämlich nun zeigen, dass sie es ernst meinen: mit der Steuergere­chtigkeit, dem Klimaschut­z und den demokratis­chen Werten. Ihr eigenes Scheitern können sie nämlich nicht mehr einfach auf Donald Trump abwälzen.

Verglichen mit Trump ist man schnell Klimaheld. Das war zu einfach.

Kontakt: diego.velazquez@wort.lu

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