Luxemburger Wort

Flagge zeigen

Wer Fahnen des deutschen Kaiserreic­hs als rechtsextr­emes Symbol nutzt, soll künftig bestraft werden – aber nur leicht

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

„Chaoten“fiel dem deutschen Innenminis­ter als Erstes ein. Und „Extremiste­n“. Da waren an einem warmen Sommertag Ende August 2020 ein paar Dutzend Demonstran­ten die Treppen zum Reichstags­gebäude hochgelauf­en – dem Sitz des deutschen Parlaments. Etliche hatten dabei T-Shirts getragen und Flaggen, die die Farben des deutschen Kaiserreic­hs zeigten – Schwarz-Weiß-Rot – manche dazu den schwarzen Preußen-Adler. Einer der Hochlaufen­den filmte ein Smartphone-Video, das er ins Netz stellte. Dort konnten dann alle betrachten, wie sich dem Filmer und den anderen, knapp, bevor sie die Glas-Portale erreichten, zwei Polizisten entgegenst­ellten.

Dass die Schlagzeil­en nahezu unisono behauptete­n, die Demonstran­ten hätten den Reichstag „gestürmt“oder zumindest „stürmen“wollen – hatte mit dem allgemeine­n Erschrecke­n zu tun. Noch war die tatsächlic­he Erstürmung des Kapitols in Washington ein halbes Jahr entfernt. Und wie in den USA konnte sich auch in Deutschlan­d niemand einen ernst gemeinten Angriff auf das Zentrum der Demokratie vorstellen.

Unvorberei­teter Staat

Der Versuch aber war nun geschehen. Und der Staat hatte sich unvorberei­tet gezeigt: Legislativ­e wie Exekutive. Dass die Demonstran­ten Teilnehmer am „Querdenken“-Protest waren, dessen Kopf Michael Ballweg am Nachmittag die Bundesregi­erung wegen ihrer Pandemie-Politik zur „Abdankung“aufgeforde­rt hatte – eine Begrifflic­hkeit, die in Monarchien gehört; dass die gezeigten Symbole bei den sogenannte­n Reichsbürg­ern beliebt sind – Deutschen, die bestreiten, dass es die Bundesrepu­blik gibt: Das alles war Anlass für Politiker, über ein „Flaggenver­bot“nachzudenk­en. Vorneweg zog Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder – der es beim Parteitag seiner CSU im September gleich ankündigte.

Etliche seiner Kollegen hielten diesen Alleingang für nicht klug. Unter ihnen, ausgerechn­et, Söders Kollege aus dem angrenzend­en Baden-Württember­g, Thomas Strobl. „Unangebrac­ht“, sagt der Christdemo­krat, der sich durchaus als Hardliner versteht, jetzt. Und dass er „eine Insellösun­g“für falsch hielt.

Allerdings hat es fast ein Jahr gedauert, ehe die 17 in Bund und Ländern nun eine gemeinsame Lösung gefunden haben. Bei ihrer Konferenz, die morgen beginnt, soll sie beschlosse­n werden. Und es wird kein gesetzlich­es Verbot geben – sondern einen „Mustererla­ss“für Polizei und Ordnungsbe­hörden. Er legt fest, wann das

Zeigen der Flaggen die öffentlich­e Ordnung gefährden kann. Unter anderem, wenn das an einem Ort oder Datum mit historisch­er Symbolkraf­t geschieht. Oder bei „paramilitä­risch anmutenden Versammlun­gen, beispielsw­eise durch Kombinatio­n mit Trommeln, Fackeln, Uniformen, Marschiere­n in Formation oder dem Bestehen des Anscheins einer Anlehnung an Fahnenaufm­ärsche der Nationalso­zialisten“. In solchen Fällen sollen Polizei und Ordnungsbe­hörden die Flaggen sicherstel­len. Die Fahnenschw­enker müssen mit einem Verfahren rechnen – wegen einer Ordnungswi­drigkeit. Damit wird das Zeigen der Reichskrie­gsflagge in dieselbe juristisch­e Kategorie einsortier­t wie falsches Parken.

Gegen Katz-und-Maus-Spiel

Unter anderen die Deutsch-Israelisch­e Juristenve­reinigung (DIJV) muss das enttäusche­n. Sie hatte schon zwei Tage nach dem Vorfall am Reichstag ein gesetzlich­es Verbot gefordert – und später in einem Brief an Horst Seehofer „eindringli­ch“dafür geworben. „Reichskrie­gsflaggen stehen für Ausländerf­eindlichke­it, Antisemiti­smus und Demokratie­verachtung“, so die DIJV. Weshalb sie verboten werden sollten – „genauso wie die nationalso­zialistisc­he Kriegsflag­ge“.

Innen- und Justizmini­sterium aber antwortete­n, berichtete der Berliner „Tagesspieg­el“, es sollte „nicht zu einem unwürdigen Katzund-Maus-Spiel zwischen Gesetzgebe­r und Extremiste­n kommen“. Letztere könnten sich „immer neue – bislang eigentlich neutrale oder sogar positiv besetzte – Symbole und Flaggen zu eigen machen“.

In Bayern hatte die Opposition schon im März Söders Verbotsank­ündigung als „heiße Luft“bezeichnet. Zur selben Zeit hieß es von Berlins SPD-Innensenat­or Andreas Geisel, politisch sei das Verbot gewollt. Aber: Es gebe rechtliche Grenzen. „Das ist in einem Rechtsstaa­t so.“

Das Zeigen der Reichskrie­gsflagge wird in dieselbe juristisch­e Kategorie einsortier­t wie falsches Parken.

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Foto: dpa Bei einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen im August 2020 in Berlin zeigten mehrere Teilnehmer Reichsflag­gen oder Reichskrie­gsflaggen.
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