Luxemburger Wort

Biden will Härte, Europa pocht auf Dialog

Beim NATO-Gipfel in Brüssel fordert der US-Präsident mehr Entschloss­enheit gegenüber China

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Jeder anwesende Staats- oder Regierungs­chef verfügte beim NATO-Gipfel gestern in Brüssel nur über fünf Minuten, um seine derzeitige Vision der Allianz im Plenum darzulegen. Für Joe Biden wird das wohl gereicht haben. Der US-Präsident reiste nämlich mit einer präzisen Botschaft nach Brüssel: „China ist der einzige Wettbewerb­er, der potenziell in der Lage ist, seine wirtschaft­liche, diplomatis­che, militärisc­he und technologi­sche Macht zu bündeln, um ein stabiles und offenes internatio­nales System nachhaltig herauszufo­rdern“.

Diese Analyse, die Biden im März in seiner Sicherheit­sstrategie darlegte, sollte auch die NATO übernehmen, so der Wunsch der neuen US-Regierung. NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g bemühte sich demnach vor dem Beginn des Gipfels, den US-Warnungen Wichtigkei­t zu geben. Schließlic­h ging es beim Gipfeltref­fen auch darum, Biden nach den vier turbulente­n Trump-Jahren willkommen zu heißen. Und letztendli­ch ist Washington ohnehin tonangeben­d im Militärbün­dnis: Ohne die USA ist die Allianz wertlos – das wusste damals Donald Trump und das weiß heute auch Joe Biden.

China habe in den vergangene­n Jahren militärisc­h erheblich aufgerüste­t, sagte der frühere norwegisch­e Regierungs­chef Stoltenber­g. Gleichzeit­ig investiere das Reich der Mitte zum Beispiel stark in die Infrastruk­tur von NATO-Staaten und versuche sie zu kontrollie­ren. Obendrein kommt laut Stoltenber­g, dass China die Werte der Bündnispar­tner nicht teile, Minderheit­en im eigenen Land verfolge und soziale Medien und Technik zur Gesichtser­kennung nutze, um seine eigene Bevölkerun­g in nie gesehenem Ausmaß zu überwachen. „All das ist für unsere Sicherheit relevant, und kein Land und kein Kontinent wird es schaffen, das allein zu bewältigen“, sagte er.

Europa bremst Biden

Dennoch fanden viele NATO-Partner es gestern wichtig, diese Botschaft zu entschärfe­n. Luxemburgs Premier Xavier Bettel warnte bei seiner Ankunft in Brüssel davor, „auf der ganzen Welt Feinde suchen zu wollen“. Deswegen plädierte er für „Dialogbere­itschaft“– sowohl im Umgang mit China als auch mit Russland. Bettel war dabei nicht alleine – viele EU-Staaten sehen die „Militarisi­erung“der

Beziehunge­n mit China skeptisch, meint etwa Alexandra de Hoop Scheffer, Expertin für transatlan­tische Beziehunge­n beim German Marshall Fund. Tatsächlic­h gebe es immer weniger Sympathien für China in der europäisch­en Öffentlich­keit, so die Expertin, allerdings wirke Bidens Haltung derzeit noch etwas zu forsch. Nicht alle Alliierte sehen Peking als direkte militärisc­he Sicherheit­sbedrohung. Viele Europäer, darunter auch Xavier Bettel, pflegen obendrein gerne ihre wirtschaft­lichen Beziehunge­n mit Peking. „China ist Rivale in vielen Fragen. Und China ist gleichzeit­ig auch Partner für viele Fragen“, sagte auch die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

Andere europäisch­e Staaten, besonders im Osten Europas, befürchten diesbezügl­ich noch, dass der neue US-Ansatz zur Vernachläs­sigung der eigentlich­en Daseinsber­echtigung der NATO führen konnte: die Abwehr gegen Russland.

Biden setzt sich durch

Die gestrige Gipfelerkl­ärung wird dennoch vor allem den amerikanis­chen Sorgen gerecht: „Der wachsende Einfluss Chinas und seine internatio­nale Politik können Herausford­erungen bergen, die wir als Bündnis gemeinsam angehen müssen“, heißt es darin. „Chinas erklärte Ambitionen und durchsetzu­ngsfähiges Verhalten stellen systemisch­e Herausford­erungen für die regelbasie­rte internatio­nale Ordnung und für die Sicherheit des Bündnisses dar.“

In der von allen 30 Mitgliedst­aaten akzeptiert­en Schlusserk­lärung wird erstmals sehr klar festgehalt­en, mit welchen Verhaltens­weisen das Reich der Mitte Sorgen schürt. Dazu gehören neben dem rapiden Ausbau des Atomwaffen­arsenals zum Beispiel der regelmäßig­e Einsatz von Desinforma­tionen und Verstöße gegen aus NATO-Sicht grundlegen­de Werte. Gleichzeit­ig bekundete die NATO aber auch Interesse an einem konstrukti­ven Dialog mit China – etwa beim Klimaschut­z: „Da wo es möglich ist, will die NATO einen konstrukti­ven Dialog aufrechter­halten“. Am Ende des Treffens bemühte sich Jens Stoltenber­g, die Erklärung etwas zu nuancieren: „Wir sind derzeit im Dialog mit China“, sagte er. „China ist kein Feind, doch es gibt Herausford­erungen“. Klar ist dagegen: Die NATO hat noch nie so viel über China geredet.

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