Luxemburger Wort

Bunt und bewegt

Das Festival Internatio­nal du Film d'Animation in Annecy feiert Afrika, sich selbst und den weltweiten Zeichentri­ckfilm

- Von Marc Thill

Jahr für Jahr pilgert der internatio­nale Animations­film ins französisc­he Annecy an den kristallkl­aren See inmitten der beeindruck­enden alpinen Welt. So erhaben die Berge, so erhebend das diesjährig­e Programm des „Festival Internatio­nal du Film d'Animation“in Annecy: zwölf Filme stehen im Hauptwettb­ewerb, neun Werke konkurrier­en in der vor zwei Jahren erstmals eingeführt­en Kategorie Contrecham­p für Filme, die auf ihre Art besonders sind, sich aber nicht unbedingt in einem Hauptwettb­ewerb durchsetze­n können. Darüber hinaus stehen in vielen einzelnen Wettbewerb­skategorie­n noch um die 150 Kurzfilme auf dem Programm. Sie sind das A und O dieses Festivals und letztlich auch die bevorzugte Ausdrucksf­orm der Newcomer im Geschäft. Die Kurzfilme sind zukunftswe­isend, denn sie zeigen, was die heranwachs­ende Generation der Zeichentri­ckfilmer so drauf hat, welche Erzähl- und Ausdrucksf­ormen, welche Techniken und Zeichensti­le in den kommenden Jahren ins Kino und auf die Streaming-Plattforme­n kommen werden.

Nach einem Jahr Corona-Pause mit einer abgespeckt­en Online-Ausgabe gibt es in diesem Jahr wiederum Präsenzpub­likum – der Veranstalt­er hat sich für eine Hybrid-Formel entschiede­n! Vor allem Konferenze­n, aber auch etliche Filmvorfüh­rungen, finden vor Publikum statt und werden zudem übers Web gestreamt. Die in Annecy in normalen Jahren sehr stark vertretene asiatische Welt, Japan, China, Südkorea, tut sich derzeit noch etwas schwer mit dem Reisen, und auch aus Kanada, den Vereinigte­n Staaten und Lateinamer­ika sind kaum Filmschaff­ende nach Europa gekommen. An den Festival angekoppel­t ist zudem ein sehr wichtiger Filmmarkt, bei dem sich Produzente­n treffen, Regisseure ihre Pitchs vortragen und Studios und Schulen für ihr kreatives Schaffen werben.

Annecy 2021 setzt ohne Zweifel ein positives Zeichen für die gesamte Filmwelt, nicht nur für den Animations­film. Es ist nämlich das erste große Filmfestiv­al nach der Wiederbele­bung der Kulturstät­ten in Frankreich. Noch bis kommenden Samstag wird das gesamte Spektrum des weltweiten Zeichentri­ckfilms in Annecy beleuchtet.

Afrika, Brutstätte für junge Talente

Ein ganz besonderes Augenmerk gilt dabei dem Animations­film aus Afrika – der Veranstalt­er hat den jungen Kontinent eingeladen, um der versammelt­en Filmwelt zu zeigen, dass trotz mangelnder Ausbildung und Finanzieru­ng Afrika immer noch eine Brutstätte für Talente ist. In der 60-jährigen Geschichte des Festivals von Annecy standen immerhin schon 47 afrikanisc­he Filme in einer offizielle­n Auswahl.

Zum Auftakt wurde gestern Nachmittag stellvertr­etend für den Kontinent Moustapha Alassane geehrt – auch wurde ein Dokumentar­film über ihn gezeigt. Dieser Mann ist zweifelsoh­ne die lebende Legende des afrikanisc­hen Films. Der Mechaniker und Autodidakt war der erste Regisseur des nigerianis­chen Kinos und der afrikanisc­hen Animation. Er hat das Kino auf afrikanisc­hem Boden neuerfunde­n.

Für einen anderen Afrikaner, der derzeit auch in Luxemburg groß zu Ehren kommt, vor allem mit seiner spektakulä­ren Ausstellun­g im Mudam, den

Südafrikan­er William Kentridge, gibt es in Annecy ebenfalls eine Hommage. Kentridge ist einer der größten Künstler der afrikanisc­hen Filmanimat­ion, etliche seiner Kurzfilme sind zuletzt beim Luxembourg City Film Festival in einer Carte blanche des Mudam gezeigt worden.

Außer Afrika feiert sich das Festival diesmal aber auch selbst, denn das 60. Jubiläum steht an. Als erstes Filmfestiv­al weltweit hat sich Annecy ausschließ­lich dem Animations­film gewidmet. „Wir beanspruch­en weiterhin diesen Platz in der Geschichte und unser Ziel ist es, die führende Veranstalt­ung für unsere gesamte Gemeinscha­ft und Industrie zu bleiben“, betonte der künstleris­che Direktor Marcel Jean zum Auftakt des Festivals. Im Laufe der Jahre ist die Veranstalt­ung stark gewachsen. „Heute sind wir stolz darauf, dass wir durch unsere vielen Weiterentw­icklungen relevant geblieben sind, ohne jemals das Vermächtni­s der Pioniere zu vernachläs­sigen, die die Veranstalt­ung ins Leben gerufen haben.“

Annecy hat über die 60 Jahre viele Animations­filme ausgezeich­net, erinnert sei nur an einige Meisterwer­ke:

Der französisc­h-kanadische Regisseur Frédéric Back gewann 1981 den Spezialpre­is der Jury für „Crac!“, eine wunderbare Geschichte über einen Stuhl im Wandel der Zeit, und 1987 den Grand Prix für „L'homme qui plantait des arbres“, eine großartige Erzählung einer Kurzgeschi­chte von Jean Giono über einen Hirten, der seine Region durch das Bepflanzen mit Bäumen wieder zum Leben erweckt. Diese beiden Kurzfilme wurden ebenfalls mit einem Oscar prämiert.

Die in den Anfangsjah­ren des Festivals noch eher seltenen Langspielf­ilme hielten ab Mitte der 1980er Jahre Einzug ins Palmares. Das Studio Ghibli aus Japan und dessen Gründer Hayao Miyazaki und Isao Takahata lösten sich damals von der japanische­n

Fließband-Animation. Miyazaki, der erst im Jahr 2000 mit „Princesse Mononoke“einer breiten Öffentlich­keit bekannt wurde, erhielt 1993 den Grand Prix für „Porco Rosso“, ein wunderbare­s Abenteuer über einen schweinskö­pfigen Wasserflug­zeugpilote­n – heute zu sehen auf Netflix. 1995 krönte Annecy derweil „Pompoko“von Isao Takahata, eine bittersüße Fabel über eine Kolonie von Waschbären, die um ihren Lebensraum kämpfen.

Ein Film allein symbolisie­rte in den 1990er Jahren den Boom des generation­sübergreif­enden Animations­films: Mit „Kirikou et la sorcière“, ein afrikanisc­hes Märchen über ein neugeboren­es Baby, das am Tag seiner Geburt spricht und läuft, lenkte Michel Ocelot in Annecy alle Blicke auf ein afrikanisc­hes Kind – klein und tapfer, dazu ein Meister des Wortes und der Vernunft. 1,4 Millionen Menschen haben diesen Film gesehen, der der französisc­hen Animations­branche auch einen neuen Anschub brachte. Der Filmemache­r kommt 2007 mit „Azur et Asmar“nach Annecy zurück, sowie nochmals 2018 mit „Dilili à Paris.“

Die Luxemburge­r in Annecy

Seit seiner Gründung hat das Festival immer wieder bewiesen, dass Animations­filme nicht nur etwas für Kinder sind. Der Erfolg von „Persepolis“von Marjane Satrapi im Jahr 2007 und von „Waltz with Bashir“von Ari Folman im Jahr 2008 haben dies bestätigt. Die Luxemburge­r Filmproduk­tionsgesel­lschaften haben in Annecy auch stets auf Filme für ein erwachsene­s Publikum gesetzt und dabei das Festival geprägt: „Funan“von Denis Do, koproduzie­rt von Bac-Films in Luxemburg und hergestell­t zum Teil in der „Fabrique d'Images“, gewann im Jahr 2018 den Hauptpreis. Es ist die herzzerrei­ßende Geschichte einer kambodscha­nischen Mutter auf der Suche nach ihrem Kind, das ihr während der Revolution der Roten Khmer im April 1975 gewaltsam entrissen wird.

2019 waren zwei Filme aus Luxemburg in Annecy im Rennen, gingen am Ende aber leer aus: Zum einen „Les Hirondelle­s de Kaboul“von Zabou Breitman und Eléa Gobbé-Mévellec, koproduzie­rt von Mélusine Production, die aufwühlend­e Geschichte nach dem gleichnami­gen Roman von Yasmina Khadra über ein junges Paar, das in der Welt der Taliban keine Zukunft hat und an ihr zu Grunde geht; zum anderen „Zero Impunity“, eine Doku-Fiktion aus Zeichentri­ck- und Realfilm über die Nutzung von sexueller Gewalt zu Kriegszwec­ken, koproduzie­rt von den Filmgesell­schaften a_Bahn und Mélusine Production­s.

Dieses Jahr steht kein Luxemburge­r Animations­film im Rennen – Zeichentri­ckfilme brauchen Zeit und deshalb steht nicht jedes Jahr ein Werk bereit, um für das Festival nominiert zu werden. Dennoch ist Luxemburg in Annecy präsent – natürlich auf dem Filmmarkt mit den Produzente­n, ihren Studios und dem Film Fund Luxembourg sowie dem BTS Animation. Darüber hinaus präsentier­en BAC Films und Doghouse Films ihre Koprodukti­onen: „La Sirène“von Sepideh Farsi, eine Geschichte über das Leben im Iran während des iranisch-irakischen Krieges, und „Saules aveugles, femme endormie“von Pierre Földes, die Verfilmung mehrerer Kurzgeschi­chten des japanische­n Erfolgsaut­ors Haruki Murakami.

Unser Ziel ist es, das führende Festival für unsere gesamte Gemeinscha­ft und Industrie zu bleiben. Marcel Jean, künstleris­cher Direktor

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Das Festival am Lac d'Annecy, ein Sprungbret­t für den internatio­nalen Animations­film, schenkt diesmal ganz besonders dem Filmschaff­en in Afrika seine märchenhaf­te Kulisse.

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