Bunt und bewegt
Das Festival International du Film d'Animation in Annecy feiert Afrika, sich selbst und den weltweiten Zeichentrickfilm
Jahr für Jahr pilgert der internationale Animationsfilm ins französische Annecy an den kristallklaren See inmitten der beeindruckenden alpinen Welt. So erhaben die Berge, so erhebend das diesjährige Programm des „Festival International du Film d'Animation“in Annecy: zwölf Filme stehen im Hauptwettbewerb, neun Werke konkurrieren in der vor zwei Jahren erstmals eingeführten Kategorie Contrechamp für Filme, die auf ihre Art besonders sind, sich aber nicht unbedingt in einem Hauptwettbewerb durchsetzen können. Darüber hinaus stehen in vielen einzelnen Wettbewerbskategorien noch um die 150 Kurzfilme auf dem Programm. Sie sind das A und O dieses Festivals und letztlich auch die bevorzugte Ausdrucksform der Newcomer im Geschäft. Die Kurzfilme sind zukunftsweisend, denn sie zeigen, was die heranwachsende Generation der Zeichentrickfilmer so drauf hat, welche Erzähl- und Ausdrucksformen, welche Techniken und Zeichenstile in den kommenden Jahren ins Kino und auf die Streaming-Plattformen kommen werden.
Nach einem Jahr Corona-Pause mit einer abgespeckten Online-Ausgabe gibt es in diesem Jahr wiederum Präsenzpublikum – der Veranstalter hat sich für eine Hybrid-Formel entschieden! Vor allem Konferenzen, aber auch etliche Filmvorführungen, finden vor Publikum statt und werden zudem übers Web gestreamt. Die in Annecy in normalen Jahren sehr stark vertretene asiatische Welt, Japan, China, Südkorea, tut sich derzeit noch etwas schwer mit dem Reisen, und auch aus Kanada, den Vereinigten Staaten und Lateinamerika sind kaum Filmschaffende nach Europa gekommen. An den Festival angekoppelt ist zudem ein sehr wichtiger Filmmarkt, bei dem sich Produzenten treffen, Regisseure ihre Pitchs vortragen und Studios und Schulen für ihr kreatives Schaffen werben.
Annecy 2021 setzt ohne Zweifel ein positives Zeichen für die gesamte Filmwelt, nicht nur für den Animationsfilm. Es ist nämlich das erste große Filmfestival nach der Wiederbelebung der Kulturstätten in Frankreich. Noch bis kommenden Samstag wird das gesamte Spektrum des weltweiten Zeichentrickfilms in Annecy beleuchtet.
Afrika, Brutstätte für junge Talente
Ein ganz besonderes Augenmerk gilt dabei dem Animationsfilm aus Afrika – der Veranstalter hat den jungen Kontinent eingeladen, um der versammelten Filmwelt zu zeigen, dass trotz mangelnder Ausbildung und Finanzierung Afrika immer noch eine Brutstätte für Talente ist. In der 60-jährigen Geschichte des Festivals von Annecy standen immerhin schon 47 afrikanische Filme in einer offiziellen Auswahl.
Zum Auftakt wurde gestern Nachmittag stellvertretend für den Kontinent Moustapha Alassane geehrt – auch wurde ein Dokumentarfilm über ihn gezeigt. Dieser Mann ist zweifelsohne die lebende Legende des afrikanischen Films. Der Mechaniker und Autodidakt war der erste Regisseur des nigerianischen Kinos und der afrikanischen Animation. Er hat das Kino auf afrikanischem Boden neuerfunden.
Für einen anderen Afrikaner, der derzeit auch in Luxemburg groß zu Ehren kommt, vor allem mit seiner spektakulären Ausstellung im Mudam, den
Südafrikaner William Kentridge, gibt es in Annecy ebenfalls eine Hommage. Kentridge ist einer der größten Künstler der afrikanischen Filmanimation, etliche seiner Kurzfilme sind zuletzt beim Luxembourg City Film Festival in einer Carte blanche des Mudam gezeigt worden.
Außer Afrika feiert sich das Festival diesmal aber auch selbst, denn das 60. Jubiläum steht an. Als erstes Filmfestival weltweit hat sich Annecy ausschließlich dem Animationsfilm gewidmet. „Wir beanspruchen weiterhin diesen Platz in der Geschichte und unser Ziel ist es, die führende Veranstaltung für unsere gesamte Gemeinschaft und Industrie zu bleiben“, betonte der künstlerische Direktor Marcel Jean zum Auftakt des Festivals. Im Laufe der Jahre ist die Veranstaltung stark gewachsen. „Heute sind wir stolz darauf, dass wir durch unsere vielen Weiterentwicklungen relevant geblieben sind, ohne jemals das Vermächtnis der Pioniere zu vernachlässigen, die die Veranstaltung ins Leben gerufen haben.“
Annecy hat über die 60 Jahre viele Animationsfilme ausgezeichnet, erinnert sei nur an einige Meisterwerke:
Der französisch-kanadische Regisseur Frédéric Back gewann 1981 den Spezialpreis der Jury für „Crac!“, eine wunderbare Geschichte über einen Stuhl im Wandel der Zeit, und 1987 den Grand Prix für „L'homme qui plantait des arbres“, eine großartige Erzählung einer Kurzgeschichte von Jean Giono über einen Hirten, der seine Region durch das Bepflanzen mit Bäumen wieder zum Leben erweckt. Diese beiden Kurzfilme wurden ebenfalls mit einem Oscar prämiert.
Die in den Anfangsjahren des Festivals noch eher seltenen Langspielfilme hielten ab Mitte der 1980er Jahre Einzug ins Palmares. Das Studio Ghibli aus Japan und dessen Gründer Hayao Miyazaki und Isao Takahata lösten sich damals von der japanischen
Fließband-Animation. Miyazaki, der erst im Jahr 2000 mit „Princesse Mononoke“einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, erhielt 1993 den Grand Prix für „Porco Rosso“, ein wunderbares Abenteuer über einen schweinsköpfigen Wasserflugzeugpiloten – heute zu sehen auf Netflix. 1995 krönte Annecy derweil „Pompoko“von Isao Takahata, eine bittersüße Fabel über eine Kolonie von Waschbären, die um ihren Lebensraum kämpfen.
Ein Film allein symbolisierte in den 1990er Jahren den Boom des generationsübergreifenden Animationsfilms: Mit „Kirikou et la sorcière“, ein afrikanisches Märchen über ein neugeborenes Baby, das am Tag seiner Geburt spricht und läuft, lenkte Michel Ocelot in Annecy alle Blicke auf ein afrikanisches Kind – klein und tapfer, dazu ein Meister des Wortes und der Vernunft. 1,4 Millionen Menschen haben diesen Film gesehen, der der französischen Animationsbranche auch einen neuen Anschub brachte. Der Filmemacher kommt 2007 mit „Azur et Asmar“nach Annecy zurück, sowie nochmals 2018 mit „Dilili à Paris.“
Die Luxemburger in Annecy
Seit seiner Gründung hat das Festival immer wieder bewiesen, dass Animationsfilme nicht nur etwas für Kinder sind. Der Erfolg von „Persepolis“von Marjane Satrapi im Jahr 2007 und von „Waltz with Bashir“von Ari Folman im Jahr 2008 haben dies bestätigt. Die Luxemburger Filmproduktionsgesellschaften haben in Annecy auch stets auf Filme für ein erwachsenes Publikum gesetzt und dabei das Festival geprägt: „Funan“von Denis Do, koproduziert von Bac-Films in Luxemburg und hergestellt zum Teil in der „Fabrique d'Images“, gewann im Jahr 2018 den Hauptpreis. Es ist die herzzerreißende Geschichte einer kambodschanischen Mutter auf der Suche nach ihrem Kind, das ihr während der Revolution der Roten Khmer im April 1975 gewaltsam entrissen wird.
2019 waren zwei Filme aus Luxemburg in Annecy im Rennen, gingen am Ende aber leer aus: Zum einen „Les Hirondelles de Kaboul“von Zabou Breitman und Eléa Gobbé-Mévellec, koproduziert von Mélusine Production, die aufwühlende Geschichte nach dem gleichnamigen Roman von Yasmina Khadra über ein junges Paar, das in der Welt der Taliban keine Zukunft hat und an ihr zu Grunde geht; zum anderen „Zero Impunity“, eine Doku-Fiktion aus Zeichentrick- und Realfilm über die Nutzung von sexueller Gewalt zu Kriegszwecken, koproduziert von den Filmgesellschaften a_Bahn und Mélusine Productions.
Dieses Jahr steht kein Luxemburger Animationsfilm im Rennen – Zeichentrickfilme brauchen Zeit und deshalb steht nicht jedes Jahr ein Werk bereit, um für das Festival nominiert zu werden. Dennoch ist Luxemburg in Annecy präsent – natürlich auf dem Filmmarkt mit den Produzenten, ihren Studios und dem Film Fund Luxembourg sowie dem BTS Animation. Darüber hinaus präsentieren BAC Films und Doghouse Films ihre Koproduktionen: „La Sirène“von Sepideh Farsi, eine Geschichte über das Leben im Iran während des iranisch-irakischen Krieges, und „Saules aveugles, femme endormie“von Pierre Földes, die Verfilmung mehrerer Kurzgeschichten des japanischen Erfolgsautors Haruki Murakami.
Unser Ziel ist es, das führende Festival für unsere gesamte Gemeinschaft und Industrie zu bleiben. Marcel Jean, künstlerischer Direktor