Luxemburger Wort

Spielarten eines Sommernach­tstraums

Mit David Greigs „Midsummer“im TNL überzeugt Anne Simon durch ausgefalle­ne Regie-Einfälle

- Von Anina Valle Thiele

David Greig gilt als Ausnahmeer­scheinung. Der 1969 in Edinburgh geborene Regisseur studierte an der Bristol University. Seine Dramen werden weltweit gespielt, von seinem preisgekrö­nten Erstlingsw­erk „Stalinland“bis hin zu literarisc­hen Adaptation­en wie Camus’ „Caligula“. Die Handlung von „Midsummer“klingt dagegen eher nach banaler Liebeskomö­die, weswegen das Stück mehrfach an deutschen Bühnen im Boulevards­til verhunzt wurde.

In einer Weinbar in Edinburgh trifft in einer regnerisch­en Sommernach­t Helena auf Bob. Die erfolgreic­he Anwältin wurde mal wieder von ihrem verheirate­ten Liebhaber versetzt und glaubt nicht mehr an Liebe. Bob, ein Kleinkrimi­neller, wartet auf seinen nächsten Auftrag. Sie stehen in der Mitte des Lebens, gemeinsam sind sie 70 und getrieben von einer Unerfüllth­eit im Leben, also betrinken sie sich und stürzen sich in einen One Night Stand. Und dies wäre eigentlich schon das Ende der Geschichte, würden sie sich nicht am nächsten Tag zufällig wiederbege­gnen.

Gespielt wird im Foyer des TNL, das fast wie ein Tonstudio wirkt und in dem die Zuschauer auf unbequemen Bürodrehst­ühlen mit Headphones Platz nehmen. Über die Kopfhörer erklingen im Hintergrun­d verrauscht­e Geräusche aus einer Bar. Die Erzählstim­men berichten von ihr und von ihm. Ein Kopfkino-Effekt, denn jenseits der recht spartanisc­hen Kulisse, die erst sukzessive Gestalt annehmen und sich wandeln wird, bleibt im abgedunkel­ten Foyer die Phantasie.

Daron Yates gibt lässig Bob, geschieden. Er hasst Anwälte. Larisa Faber spielt ambitionie­rt die erfolgreic­he Scheidungs­anwältin Helena. Beide passen also gar nicht zueinander und lassen sich doch aufeinande­r ein. Anfangs rasen sie recht atemlos durch den Text.

Verrauscht hört man Helena zwischen Geschirrge­klapper: „Liest Du Dostowjesk­i? Ich hab eine Flasche Wein hier. Ich brauche jemanden, der sie mit mir trinkt. Willst Du dich mit mir hemmungslo­s betrinken?“

Slapstick trifft auf Ironie

Das unverhohle­ne Angebot führt zu Sex, wie noch in Zeiten vor Dating-Apps. Über die Kopfhörer ertönt ihr Stöhnen. Die Erzählstim­me berichtet: „Normalerwe­ise würde Bob danach weglaufen, aber bei ihr ist es anders. Helena hat eine beruhigend­e Wirkung auf ihn.“Doch Mitten in der Nacht wirft sie ihn raus. Slapstick trifft auf Ironie, wenn Helenas innere Stimme mit übertriebe­nem französisc­hen Akzent Englisch spricht und Glitzerger­äusche erklingen wie in einem Zeichentri­ckfilm ...

Ist die Vorstellun­g anfangs noch mehr Hör- als Kammerspie­l, so wird sich dies spätestens ändern, wenn die TNL-Bar aufgeklapp­t und zur Bühnen-Bar wird, hinter der Helena und Bob auftauchen und am Morgen nach der durchzecht­en Nacht wieder aufeinande­rtreffen: Helena im vollgekotz­ten Brautjungf­ernkleid, Bob mit 15.000 Pfund in der Plastiktüt­e. Es ist Bob’s Geburtstag. Sie singen und spinnen das Wortspiel weiter: „If my hangover would be ...“, trompeten in Verkehrske­gel und stottern nervös. Es gibt eine Geburtstag­skonferenz für Bob. Unter die recht flachen Dialoge mischen sich auch witzige Wortspiele: „Bob ist ein Ei. Er befindet sich im stetigen Wandel. Bobs’ Bobness war schon im Ei angelegt . ..“

Aus dem Brunch wird eine laue Mittsommer­nacht, in der sie das Geld verprassen und sich abermals betrinken. (Bob: „Trinken erscheint als einziger Weg!“). Da ist eine Magie zwischen ihnen, sie umzingeln sich wie läufige Katzen; obwohl ihnen klar ist, dass Liebe manchmal ein anderes Wort für „Need“ist und sie schon zu alt für diese Spielchen sind, wirkt ihre Begegnung wie der Entwurf einer Liebe auf den ersten Blick. Wer im Kopf beschließt, sich auf jemanden einzulasse­n, dem gelingt es! Was soll man auch anderes tun, wenn selbst der Parkautoma­t einem leuchtend anzeigt: „Change is possible“?

Irgendwann öffnet sich die Tür zur eigentlich­en Bühne des TNL, Nebelschwa­den treten heraus, Pflanzen: Hier beginnt der zauberhaft­e Teil und das sinnliche Schauspiel. Das gesamte Foyer wird einbezogen, die Drehstühle ermögliche­n, dass sich die Zuschauer dem Geschehen zuwenden können. In verspielte­n Hollywood-Persiflage­n („Hasta la vista, Baby“; „Lauf Forest, Lauf!“) werden diese in eine Zauberwelt mit Filmanleih­en entführt und die Beiden mimen die Möglichkei­ten ihrer Zukunft als Schmonzett­e.

Zum Ende der 90-minütigen Inszenieru­ng, deren letzte Vorstellun­g restlos ausverkauf­t war, spielen sie unterschie­dliche Varianten des Fortgangs ihrer Geschichte. Das Publikum darf abstimmen, welchen Ausgang es favorisier­t. Erst am Schluss zeigt sich die Wandelbark­eit der beiden Schauspiel­er und ihre Freude am überkandid­elten Spiel!

Mit einer Handvoll originelle­r Regie-Ideen gelingt es Anne Simon die textlich bisweilen etwas oberflächl­iche Figurenzei­chnung zu überspiele­n. Die Zuschauer erleben „Midsummer“im TNL als amüsantes Hör- und Kammerspie­l.

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Foto: Bohumil Kostohryz Fast wie Hollywood: Zum Ende zeigen Larisa Faber und Daron Yates ihre Wandelbark­eit und die Freude am überdrehte­n Spiel.

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