Die Frage nach dem Warum
Auftakt des Prozesses um tödliche Amokfahrt im Januar 2019 in Wiltz
Diekirch. Was genau hat am Nachmittag des 2. Januar 2019 einen heute 49-jährigen Mann dazu gebracht, seinen Wagen in der Rue Grande-Duchesse Charlotte in Wiltz in eine Gruppe von Fußgängern zu steuern und dabei seinen eigenen Sohn zu töten und vier weitere Personen – darunter seine ehemalige Partnerin und der Mann, bei dem diese mittlerweile eingezogen war – zu verletzen? Mit dieser Frage befasst sich in dieser Woche die Kriminalkammer aus Diekirch.
Yves K., der sich wegen Mordes und versuchten Mordes vor den Richtern verantworten muss, konnte zur Klärung bisher nur wenig beitragen. Wie den Aussagen der medizinischen Experten zum Beginn der Verhandlung zu entnehmen war, kann sich der Beschuldigte nämlich nicht an den eigentlichen Aufprall erinnern. Wohl sind seine Erinnerungen an den Moment just vor dem Aufprall sowie gleich danach recht klar. So gab er an, die Rue Grande-Duchesse Charlotte befahren zu haben, als er seine Ex-Partnerin mit dem Kinderwagen erblickte. Daraufhin habe er gewendet, um die Frau nach einer Aussprache zu bitten. Nach dem Vorfall habe er unterdessen geistesgegenwärtig gehandelt und sofort versucht, Erste-Hilfe-Maßnahmen bei seinem Sohn durchzuführen. Doch im Moment dazwischen habe er zunächst „weiß gesehen“und dann einen „schwarzen Strich“.
Epilepsie oder Hypoglykämie
Während der Ermittlungen standen als Ursachen für diesen Blackout ein möglicher epileptischer Anfall oder eine Hypoglykämie im Raum. Die Sachverständigen konnten dies aber als Ursache ausschließen.
Wie gleich zwei neuropsychiatrische Experten erklärten, spreche der Umstand, dass der Blackout sehr kurz gewesen sei und der Mann sich genau an den Ablauf vor und nach dem Impakt erinnere, gegen eine solche Krise. Hinzu komme, dass der Angeklagte weder zuvor noch danach je wieder unter Epilepsie gelitten habe.
Auch für das Auftreten einer Hypoglykämie gibt es einer Gutachterin sowie einem Gerichtsmediziner zufolge keine Anzeichen. Der Beschuldigte habe zwar unter Diabetes des Typs 2 gelitten, allerdings hätten Blutproben belegt, dass dies „perfekt kontrolliert“gewesen sein.
Dennoch waren sich mehrere Experten einig, dass es für den Gedächtnisverlust eine Erklärung geben könne – nämlich die Verdrängung. Wie eine psychiatrische Expertin erklärte, vergesse das Gehirn das Geschehene in dem Fall, da es einfach nicht ertragbar sei. Dabei sei es durchaus möglich, dass die Erinnerung nicht wieder zurückkehre.
Fakt ist, dass der Mann seinen Wagen an jenem Nachmittag mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 60 km/h auf den Bürgersteig gesteuert hatte. Dort soll er einem Unfallexperten zunächst den Kinderwagen mit seinem Sohn erfasst haben, später dann jenen Mann, bei dem seine Ex-Partnerin mit dem Kind wohnte. Auch die Ex-Partnerin sowie eine weitere Frau, die sich mit ihrem Kleinkind auf dem Bürgersteig befanden, wurden bei dem Vorfall teils schwer verletzt.
Einen technischen Mangel an dem Wagen, durch den es zu der Kollision hätte kommen können, konnte der Experte nicht feststellen.
Keine Überlebenschance
Noch am Unfallort wurden bei dem Sohn Reanimationsmaßnahmen eingeleitet. Dieser war allerdings so schwer am Kopf verletzt worden, dass die „Reanimation ohne Aussicht auf Erfolg“war. „Es bestand zu keinem Zeitpunkt eine Überlebenschance für den Jungen“, so der Gerichtsmediziner.
Lebensbedrohlich verletzt wurde auch der Mann. Er erlitt neben Kopfverletzungen und diversen Knochenbrüchen auch ThoraxVerletzungen, die ohne medizinische Behandlung zum Tod geführt hätten, und musste mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen.
Die beiden Frauen erlitten ihrerseits Rippenfrakturen und weitere Verletzungen. Lediglich das zehn Monate alte Kleinkind im zweiten Kinderwagen kam mit einer leichten Prellung im Stirnbereich davon, die nur ambulant behandelt werden musste.
Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.