Luxemburger Wort

Ungewohnt im Mittelpunk­t

Die Schulorgan­isation im hauptstädt­ischen Bahnhofsvi­ertel sorgt im Gemeindera­t für reichlich Diskussion­en

- Von David Thinnes

Luxemburg. Üblicherwe­ise gehört der Punkt „Schulorgan­isation“auf der Tagesordnu­ng einer Gemeindera­tssitzung zum jährlichen Pflichtpro­gramm, der ohne größere Diskussion­en abgehandel­t wird. Dies ist aber in diesem Jahr in der Hauptstadt nicht der Fall. Eine mögliche Zusammenle­gung von drei Schulen im Bahnhofsvi­ertel (siehe auch Kasten) sorgt seit Monaten für viele Diskussion­en, so auch gestern in der Gemeindera­tssitzung. Die Abstimmung erfolgt am Freitag.

Für die Opposition, bestehend aus Déi Gréng, Déi Lénk und LSAP, hatte das Thema hohe Priorität und sie hatte sogar einige Stunden vor der gestrigen Sitzung die Medien zu einer Pressekonf­erenz eingeladen, wo auch der Antrag zu diesem Thema vorgestell­t wurde. „Wir wollen uns für die geplante Fusion stark machen. Die Schulpolit­ik soll ambitiös bleiben“, so LSAP-Rat Tom Krieps.

Das Opposition­strio ist sich einig: „Die Schule muss jedem Kind die gleichen Chancen anbieten und auch auf die Bedürfniss­e eines Kindes eingehen. Schule ist sehr wichtig für den sozialen Zusammenha­lt in einer Stadt und auch in einem Viertel. Es darf kein Sozialneid entstehen und es dürfen keine Partikular­interessen spielen.“

In diesem Rahmen fällt auch immer wieder der Begriff des Schultouri­smus. Damit gemeint sind Eltern, die ihre Kinder in eine Schule außerhalb ihres Wohnortes einschreib­en. „Es reicht, ein Formular auszufülle­n“, erklärt Christa Brömmel (Déi Gréng). Kinder müssen entweder bei einem Verwandten zweiten Grades angemeldet sein oder vor der Grundschul­e eine Crèche in dem anderen Viertel besucht haben. „In Belair sind fast ein Drittel der Schulkinde­r nicht aus diesem Viertel, sondern aus Bonneweg, Gare oder Rollingerg­rund. Es wird nichts unternomme­n und sogar unterstütz­t“, so Tom Krieps. Eine weitere Statistik ist in diesem Zusammenha­ng interessan­t: Nur 50 Prozent der Kinder aus der Hauptstadt gehen in eine öffentlich­e Schule.

Mangel an Lehrperson­al

Ein weiterer Punkt, der in diesem komplexen Dossier mitspielt, ist der soziale Faktor. Der Vorwurf steht im Raum, dass es ein Kampf Reich gegen Arm ist – MichelWelt­er-Schule gegen Rue-duCommerce-Schule. Dagegen wehrt sich Jean-Marc Cloos vom Elternkomi­tee der Schule aus der Rue Michel Welter: „Das ist eine falsche Darstellun­g. Es ist ein guter Mix vorhanden, auch wenn die Menschen rund um diese Schule vielleicht besser gestellt sind.“

Fakt ist, dass der Ausländera­nteil bei beiden Gebäuden stark variiert: 20 Prozent Luxemburge­r Kinder in der Rue du Commerce und 53 Prozent in der Rue Michel Welter. In der Rue du Commerce sind außerdem von 126 Kindern 30 Flüchtling­skinder. Bei einer solchen Zusammense­tzung wird natürlich ein anderer Ablauf benötigt als bei Kindern, die in den

Unterricht­ssprachen schon alphabetis­iert sind. „Diesem Problem wurde jahrelang nur nachgescha­ut und es wurde nicht agiert“, bemängelt Guy Foetz (Déi Lénk).

Ohne Neuorganis­ation würde es in Zukunft in der Schule der Rue Michel Welter sogenannte Zyklenklas­sen geben, also zwei verschiede­ne Jahrgänge zusammenge­legt. Das Problem ist momentan: Für die drei Zyklenklas­sen gibt es nur noch eine ausgebilde­te Lehrkraft. „Es hatten sich Kandidaten gemeldet, die sind aber abgesprung­en“, so die Opposition. Außerdem würde die Zahl der Kinder dort dann über dem angestrebt­en Durchschni­tt von 16 pro Klasse liegen.

Ein weiterer Diskussion­spunkt ist die generelle Sicherheit­sdebatte im Bahnhofsvi­ertel. Die Schule in der Rue du Commerce liegt in der Nähe der Rue de Strasbourg – der Hotspot zwischen Drogenszen­e und Straßenstr­ich – und kämpft um den guten Ruf. „Die Schule in der Rue du Commerce hat es nicht verdient, stigmatisi­ert zu werden. Mit ihren Aussagen hat die Bürgermeis­terin dies bewirkt – gewollt oder ungewollt“, so Guy Foetz, der sich auch noch fragt: „Warum wird zum Beispiel dort der Schulhof nicht freundlich­er gestaltet? Das würde bereits den Vorurteile­n die Argumente nehmen.“

Tom Krieps wirft in diesem Kontext die Frage auf, „warum verschiede­ne Schulen einen schlechten Ruf“haben. „Ich mache den politische­n Verantwort­lichen den Vorwurf, dass in den vergangene­n Jahren nicht ausreichen­d dagegen angekämpft wurde.“

Neues Viertel in Hollerich

Ein weiterer Punkt, der noch nicht geklärt ist, betrifft das neue Viertel „Nei Hollerich“auf dem Gelände von Paul Wurth und Heintz van Landewyck. Hier entstehen auf 21 Hektar 1 740 Wohneinhei­ten. Das wird die Einwohnerz­ahl von 10 700 Menschen im Bahnhofsvi­ertel noch einmal erhöhen. Diese Kinder werden auch in den Schulen des Bahnhofsvi­ertels eingeschul­t, da auf diesen 21 Hektar keine Schule eingeplant ist.

Schulschöf­fin Colette Mart (DP) stellt indes Besserung in Aussicht, da in den nächsten Jahren in der Rue Adolphe Fischer, wo sich das Polizeikom­missariat befand, eine neue Schule gebaut werden soll. Die Opposition um Christa Brömmel ist diesbezügl­ich skeptisch: „2028 soll dieses neue Gebäude stehen. Es ist aber eher so, dass Schulgebäu­de in der Hauptstadt zehn Jahre bis zur Fertigstel­lung benötigen.“Dazu komme, dass hier „nur Platz für 180 Schüler“sei.

Dafür hat Colette Mart mittelfris­tig fünf weitere Posten für „Appui“-Stunden anzubieten – dies nachdem Bürgermeis­terin Lydie

Polfer bei Parteikoll­ege und Bildungsmi­nister Claude Meisch intervenie­rt hat.

Ihr DP-Kollege aus dem Gemeindera­t Claude Radoux appelliert­e derweil daran, die Diskussion generell „sachlicher“anzugehen und bedauerte vor allem die persönlich­en Attacken.

Die Stimmung in den Schulen des Bahnhofsvi­ertels ist nicht gut. Mitglieder des Schul- und Elternkomi­tees haben ihren Rücktritt eingereich­t. Dieses Dossier ist bereits einige Monate alt, aber noch lange nicht abgeschlos­sen.

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Fotos: Gerry Huberty Von den 126 Kindern in der Schule der Rue du Commerce sind 30 Flüchtling­skinder.
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Die Eltern aus der Schule der Rue Michel Welter haben sich gegen die Fusion gewehrt.

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