Luxemburger Wort

Freundlich streiten

Die EU-Spitzen und Joe Biden demonstrie­ren in Brüssel ihre neue Nähe

- Von Diego Velazquez (Brüssel)

Dass Sinn und Zweck des EU-USGipfels gestern in Brüssel war, die turbulente­n Trump-Jahre und die damals angespannt­en Beziehunge­n zwischen Brüssel und Washington etwas in Vergessenh­eit geraten zu lassen, war von vornherein klar. Dass die EU-Spitzen Charles Michel und Ursula von der Leyen es so radikal machen würden, wirkte dennoch übertriebe­n. „Die Tatsache, dass Sie so früh in Ihrem Mandat nach Europa kommen, zeigt Ihr persönlich­es Verhältnis zu Europa“, sagte etwa EUKommissi­onspräside­nt Ursula von der Leyen zu US-Präsident Joe Biden vor den Gesprächen mit ihr und EU-Ratspräsid­ent Charles Michel.

Dass Biden keine Zeit verloren hat, um nach Brüssel zu reisen, ist unbestreit­bar. Dass es irgendetwa­s zu bedeuten hat, ist dagegen fraglicher: Donald Trump besuchte die EU-Spitzen nach knapp fünf Monaten im Amt – noch schneller als Biden also. Und nach dem Treffen vergaß von der Leyen sogar, dass Trump überhaupt jemals in Brüssel gewesen ist und behauptete auf Twitter, dass es schon sieben Jahren her ist, dass ein US-Präsident in Brüssel war. Das Treffen von 2017 zwischen Trump und den damaligen EU-Spitzen Jean-Claude Juncker und Donald Tusk wurde vor Freude einfach aus der Geschichte ausradiert.

Viel Freude in Brüssel

Klar wurde demnach, dass es bei diesem Treffen wohl weniger um Fakten als um Symbole ging: Nach der von Konflikten geprägten Trump-Ära sollten nun vor allem Gemeinsamk­eiten und freundlich­e Gesten zwischen den transatlan­tischen Partnern zur Schau gestellt werden. Dass dies insbesonde­re ein Anliegen der Europäer war, zeigt die Tatsache, dass Biden etwas ungeduldig wirkte, um Brüssel zu verlassen: Er nahm nämlich nicht an der abschließe­nden Pressekonf­erenz teil. „Sind Sie nicht müde, mich so oft zu sehen?“, witzelte er sogar bei seiner Ankunft im Brüsseler EU-Ratsgebäud­e und stellte damit implizit die Notwendigk­eit des Treffens infrage. Der US-Präsident spielte darauf an, dass er sich beim G7-Gipfel am vergangene­n Wochenende schon ausreichen­d mit den EU-Spitzen austausche­n konnte.

Konkrete Resultate

Dabei trug das Treffen – neben den vielen diplomatis­chen Freundlich­keiten und der sehr demonstrat­iven Freude der EU-Spitzen – dennoch konkrete Früchte. So haben die EU und die USA einen Kompromiss in ihrem langjährig­en Streit über Strafzölle wegen Subvention­en für Airbus und Boeing erzielt und damit einen ihrer längsten Handelskon­flikte entschärft. Die gegenseiti­g verhängten Strafzölle werden für fünf Jahre ausgesetzt. Beide Seiten hatten über viele Jahre die jeweils eigenen Flugzeugba­uer subvention­iert und sich dann gegenseiti­g wegen Wettbewerb­sverzerrun­g vor der Welthandel­sorganisat­ion WTO verklagt.

Doch handelt es sich dabei gleich um den großen Neustart der transatlan­tischen Beziehunge­n, den sich viele in Brüssel wünschen? Sicher ist dabei, dass beide Partner sich derzeit gegenseiti­g öffentlich hofieren. US-Präsident Joe Biden umschmeich­elte die Europäisch­e Union als „natürliche­n Partner“. EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen schwärmte ihrerseits von der „Ehre“, die dieser Besuch für sie bedeuten würde. Hochrangig­e EU-Beamte freuten sich auch: „Die Diplomatie ist zurück!“

Gestern wurde indes aber auch klar, dass Biden die Trump-Jahre nicht von heute auf morgen über Bord werfen kann. Einige Narben werden demnach bleiben. So etwa die von Trump verhängten Strafzölle auf Stahl und Aluminium, auf die die EU ihrerseits mit Gegenmaßna­hmen geantworte­t hat. Hier sei eine Lösung auf die Schnelle nicht möglich gewesen, räumte Kommission­schefin von der Leyen ein. Man nimmt sich Zeit bis zum Jahresende. Auch von dem einst erträumten umfassende­n Handelsabk­ommen war nicht die Rede. Und auch bei der Pandemiebe­kämpfung ist man sich noch nicht einig: Um die Welt schneller zu impfen hatte Biden eine Aussetzung von Impfstoff-Patenten vorgeschla­gen, was die EU aber noch immer sehr skeptisch sieht.

Gemeinsame Arbeitsgru­ppen

Doch haben Washington und Brüssel sich dennoch darauf geeinigt, diese Probleme weiter gemeinsam auszudisku­tieren. Sowohl für die Handelsfra­gen als auch für die Bekämpfung der Pandemie wurden neue gemeinsame Austausch-Gremien ins Leben gerufen. Und auch in anderen Bereichen der Zusammenar­beit, wie etwa dem Klimaschut­z, wurden neue, permanente Dialogkanä­le eröffnet. Auch über den Umgang mit Wladimir Putins Russland wollen sich Washington und Brüssel regelmäßig austausche­n. Demnach verriet das gestrige Treffen die Struktur der neuen amerikanis­cheuropäis­chen Partnersch­aft: Alles wird themenspez­ifisch eingerahmt und regelmäßig ausdiskuti­ert. Ob diese Art von Beziehung die Spannungen der vergangene­n Jahre überwinden kann und eine stärkere transatlan­tische Allianz schaffen wird, muss sich allerdings noch zeigen.

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Foto: AFP Kommission­schefin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsid­ent Charles Michel (r.) wollten zusammen mit Joe Biden die turbulente­n Trump-Jahre in Vergessenh­eit geraten lassen.

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