Luxemburger Wort

Mehr als nur eine Ohrfeige

Rechtsextr­eme Stimmen schaffen in Frankreich ein Klima der Gewalt – und überschatt­en den beginnende­n Wahlkampf

- Von Christine Longin (Paris) Karikatur: Florin Balaban

„Ich bin Kommunist“, steht auf dem orangenen T-Shirt einer menschengr­oßen Puppe. Der rechtsextr­eme YouTuber Papacito schießt in Kampfmontu­r mehrmals mit dem Gewehr auf sein imaginäres Opfer und sticht ihm dann brutal ein Messer in den Bauch. Das Video, das inzwischen gesperrt wurde, zeigt, wie aufgeheizt die Stimmung in Frankreich ein Jahr vor den Präsidents­chaftswahl­en ist. „Wir sind in einer Gesellscha­ft, die immer gewalttäti­ger wird“, warnte Emmanuel Macron Anfang Juni bei einem Besuch in der Provinz. Eine Woche später erfuhr er selbst, wie sehr seine Analyse zutrifft: Ein 28-Jähriger ohrfeigte den Staatschef.

Das Profil von Damien Tarel, dem Angreifer, passt auf die gewaltbere­ite extreme Rechte, die sich in Frankreich formiert. In einem Schnellver­fahren beklagte er nach seiner Tat den Verfall des Landes, den Macron seiner Ansicht nach verkörpert. Er bekannte sich zu den Gelbwesten, die vor mehr als zwei Jahren teilweise gewaltsam gegen den „Präsidente­n der Reichen“protestier­ten und zeigte seine Missachtun­g für die demokratis­ch gewählten Institutio­nen.

Verharmlos­ung als Prinzip

Ermittlung­en ergaben, dass er ultrarecht­e Websites aufrief, die den Holocaust leugnen. Die Volksvertr­eter verdächtig­te er, seine Landsleute manipulier­en zu wollen. „Ich sah seinen verlogenen Blick, der aus mir einen potenziell­en Wähler machen wollte und war mit Ekel erfüllt“, schilderte er die Begegnung mit dem Präsidente­n.

Seine rechtsextr­emen Ansichten versuchte Tarel herunterzu­spielen. Dass er sich als Adolf Hitler verkleidet habe, sei nur ein Spaß gewesen. Papacito, der rund 100 000 Abonnenten hat – darunter Tarel –, sieht seine Messerstic­he auf die Puppe eines LinkenWähl­ers ebenfalls als Witz.

Man habe es mit Rechtsextr­emen im „LOL-Modus“zu tun, warnt der Historiker und Rechtsextr­emismus-Experte Nicolas Lebourg. Die Abkürzung LOL (laughing out loud) steht für alles, was eigentlich zum Lachen ist. Im Fall Papacito, gegen den die Staatsanwa­ltschaft inzwischen ermittelt, dient der Humor als Tarnung für den Radikalism­us. „Das Erschütter­nde ist, dass damit das Gefühl verloren geht, was ein demokratis­cher Rechtsstaa­t ist“, kommentier­t Lebourg. Ein Staat also, in dem Wählerinne­n und Wähler frei ihre Volksvertr­eter bestimmen und diese dann auch respektier­en. Das ist in Frankreich, einem durch die Pandemie besonders erschöpfte­n Land, immer weniger der Fall. Abgeordnet­e werden ebenso attackiert wie Lokalpolit­ikerinnen und -politiker. 1 276 Mal wurden Bürgermeis­terinnen und Bürgermeis­ter im vergangene­n Jahr angegriffe­n oder bedroht – dreimal mehr als im Vorjahr. Der Präsidents­chaftswahl­kampf, der sich bereits abzeichnet, verschärft die aggressive Stimmung noch. „Das wird der hässlichst­e Wahlkampf werden, den wir je hatten“, sagt Lebourg voraus. Die jahrzehnte­lang bestimmend­en Parteien, die Konservati­ven und die Sozialiste­n, drohen in der Bedeutungs­losigkeit zu verschwind­en. Auf der politische­n Bühne bleiben neben Macron die Extremiste­n von links und rechts übrig, denen es nicht um Inhalte geht, sondern nur um Provokatio­n.

Wer die Schmutzkam­pagne sehen will, die sich bereits ankündigt, muss nur den Fernsehsen­der CNews anschalten. Dort verbreitet der als Kommentato­r gehandelte Eric Zemmour vor fast einer Million Zuschauern sein rechtsextr­emes Gedankengu­t. Schon zweimal wurde der 62-Jährige wegen Aufruf zum Rassenhass verurteilt, doch das hinderte CNews nicht daran, sein Zugpferd weiter zu beschäftig­en.

Als einer von wenigen weigerte sich der Autor mehrerer Bestseller, der auch für den konservati­ven „Figaro“schreibt, die Ohrfeige für Macron zu verurteile­n. „Er hat das bekommen, was er verdient“, sagte der Star der rechten Szene, dem gegenüber die Rechtspopu­listin Marine Le Pen fast wie eine brave Klostersch­ülerin wirkt. Um konservati­ve Wähler zu umgarnen, hatte sich die Präsidents­chaftskand­idatin des Rassemblem­ent National in den vergangene­n Monaten einen moderatere­n Tonfall zugelegt und auch ihre antimuslim­ische Rhetorik gemäßigt.

Ganz anders dagegen Zemmour und andere Rechtsextr­eme, die in den muslimisch­en Einwandere­rn nur Kriminelle sehen. „Zemmour ist der größte Sprengmeis­ter der französisc­hen Gesellscha­ft“, bemerkt Nicolas Lebourg. Doch für die rechtsextr­eme Szene sind die in den sozialen Netzwerken massiv verbreitet­en rassistisc­hen Sprüche des Kommentato­rs, dem Präsidents­chaftsambi­tionen nachgesagt werden, Kult. „Wir sind dabei, den Kampf im Internet zu gewinnen, vielleicht sogar die Wahlschlac­ht. Schaut euch Zemmour an. Wir sind der neue Hype“, freute sich Papacito im rechtsnati­onalen Magazin „Valeurs actuelles“. Wie gefährlich dieser Hype ist, zeigen die Voraussage­n Zemmours, es werde einen Krieg zwischen der muslimisch­en Bevölkerun­g, die gerade einmal acht Prozent ausmacht, und dem Rest des Landes geben.

Das Gewaltszen­ario wird von den Behörden durchaus ernst genommen. Vor allem, seit pensionier­te Generäle und weitere Militärs im April Zemmours Rhetorik übernahmen. „Die Lage ist ernst,

Die Verschwöru­ngstheorie­n sind ein bisschen wie der Motor des gewalttäti­gen politische­n Klimas. Marie Peltier, Autorin

Das Erschütter­nde ist, dass damit das Gefühl verloren geht, was ein demokratis­cher Rechtsstaa­t ist. Nicolas Lebourg, Rechtsextr­emismus-Experte

Frankreich ist in Gefahr“, warnten die Offiziere in einem offenen Brief. Für den Zerfall des Landes seien der Islamismus und die „Horden in den Banlieues“verantwort­lich. Soldaten könnten sich deshalb gezwungen sehen, zum „Schutz der „zivilisato­rischen Werte“einzugreif­en. „Die Zahl der Toten wird in die Tausende gehen.“

Verschwöru­ngstheorie­n als Motor Bereits 2016 hatte der damalige Chef des Inlandsgeh­eimdienste­s, Patrick Calvar, vor einem Bürgerkrie­g gewarnt. Die Ultra-Rechte warte nur auf eine Konfrontat­ion, sagte Calvar vor dem Verteidigu­ngsausschu­ss der Nationalve­rsammlung. „Und ich denke, diese Konfrontat­ion wird stattfinde­n.“

Das Gewaltpote­nzial der französisc­hen Linksextre­men wird von Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftlern dagegen als weitaus geringer eingestuft. Eine Studie zählte zwischen 1986 und 2016 insgesamt 48 tödliche Gewalttate­n von Rechtsextr­emen, auf das Konto der Ultralinke­n gingen fünf Tote. Dennoch tragen auch linke Politiker wie der Chef der Linksparte­i La France Insoumise, Jean-Luc Mélenchon, zur angespannt­en Stimmung bei. Der Linkspopul­ist bediente sich kürzlich bei den Verschwöru­ngstheoret­ikern und sagte einen islamistis­chen Anschlag kurz vor den nächsten Wahlen voraus. „Alles steht schon vorher fest“, unkte der Präsidents­chaftskand­idat, der in den Umfragen nur bei elf Prozent liegt und offenbar bereits einen Grund für sein schlechtes Ergebnis sucht.

„Die Verschwöru­ngstheorie­n sind ein bisschen wie der Motor des gewalttäti­gen politische­n Klimas“, bemerkt Marie Peltier, Autorin des Buches „L’ère du complotism­e“(Die Ära der Verschwöru­ngstheorie­n). „Sie sind die Rhetorik, die der Gewalt ihre Ausübung erlaubt.“Auch Damien Tarel folgte dieser Rhetorik, als er die Hand gegen den Präsidente­n erhob. Vergangene Woche wurde er dafür zu 18 Monaten Haft verurteilt.

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