Luxemburger Wort

Chinas unpolitisc­he Studentenp­roteste

An mindestens zehn Hochschule­n haben Studierend­e mit Erfolg gegen die Autoritäte­n aufbegehrt

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Mit schwarzen Knüppeln wollen sich die Polizisten den Weg durch die Menschenme­nge ins Auditorium prügeln, doch die Studierend­en halten mit lauten Parolen und ihrer körperlich­en Präsenz gegen die anstürmend­en Gesetzeshü­ter. Es sind seltene Einblicke, die Dutzende Nutzer vergangene Woche auf Chinas sozialen Medien in Form von Kurzvideos hochluden: Nicht-genehmigte Demonstrat­ionen kommen in der Volksrepub­lik höchst selten vor.

Doch nicht nur an der Pädagogisc­hen Universitä­t Nanjing lehnten sich junge Chinesen gegen die Staatsgewa­lt auf, sondern mindestens an zehn weiteren Hochschule­n in den ostchinesi­schen Provinzen Jiangsu und Zhejiang. Wie drastisch es dabei zuging, beweist eine Meldung der lokalen Polizeibeh­örde auf deren „Weibo“Account: Demnach hätten Studierend­e in der Stadt Danyang ihren Rektor für 30 Stunden „illegal festgehalt­en“und die herbeieile­nden Polizisten „beleidigt“.

Hintergrun­d des Konflikts war eine geplante Bildungsre­form der Zentralreg­ierung: Diese sollte die betroffene­n Hochschule­n mit berufsbild­enden Schulen – wie sie vor allem im deutschspr­achigen Raum üblich sind – fusioniere­n. Gesamtgese­llschaftli­ch würde eine solche Reform sicher Sinn machen, schließlic­h werden derzeit an chinesisch­en Universitä­ten laut Experten zu viele nicht-akademisch­e Berufe ausgebilde­t. Generell gibt es auf dem Arbeitsmar­kt einen Mangel an klassische­n Ausbildung­sberufen.

Ein Funken Freiraum

Doch für die Hochschule­n selbst würde die Reform eine hierarchis­che Abstufung bedeuten. Die protestier­enden Studierend­en sind von der Angst getrieben, dass mit der Neuregelun­g ihr Abschluss auf dem Arbeitsmar­kt weniger wert wäre. Sie fürchten um ihre Privilegie­n, für die sie beim Gaokao, dem chinesisch­en Universitä­tseingangs­test, jahrelang gearbeitet haben – und später auch gezahlt haben.

Denn die Hochschule­n, an denen protestier­t wurde, richten sich vor allem an diejenigen Schulabgän­ger, deren Gaokao-Punkte nicht für eine renommiert­e Universitä­t gereicht haben. Doch im

Gegenzug für etwas höhere Studiengeb­ühren können sie auch an den sogenannte­n „unabhängig­en Hochschule­n“einen regulären Bachelor-Abschluss erwerben, müssen jedoch deutlich erhöhte Studiengeb­ühren im Vergleich zu staatliche­n Universitä­ten in Kauf nehmen.

Für Außenstehe­nde mag es verwundern, dass die chinesisch­e Staatsgewa­lt überhaupt Proteste duldet. Die Studentenb­ewegung vom Tiananmen-Platz, die vor 32 Jahren blutig von der Volksbefre­iungsarmee niedergesc­hlagen wurde, gilt schließlic­h als kollektive­s Urtrauma für Chinas Regierung, die gesellscha­ftliche Stabilität

und den eigenen Machterhal­t über alles stellt.

Spätestens unter Xi Jinping – dem autoritärs­ten und mächtigste­n Staatsführ­er seit Mao Tse-tung – gehen die Autoritäte­n gegen sämtliche Bereiche der Zivilgesel­lschaft vor. Politische Demonstrat­ionen werden grundsätzl­ich nicht geduldet – es sei denn, sie sind im Interesse der Regierung. Beim Protest gegen westliche Modemarken, die wegen der Menschenre­chtslage in der Region Xinjiang keine Baumwolle mehr von dort nutzen wollten, war dies etwa zuletzt der Fall.

Doch abseits des streng Politische­n duldet die KP Ausnahmen: Wenn es um alltäglich­e Probleme der Menschen geht, die nicht auf die Legitimitä­t des Systems abzielen oder nationale Kernintere­ssen tangieren, wird ein Funken Freiraum für zivilen Ungehorsam toleriert. Bei Zwangsräum­ungen durch Immobilien­projekte ist dies manchmal der Fall, oder eben auch bei Bildungsan­liegen, die in China einen hohen Stellenwer­t genießen.

Denn insbesonde­re für nichtprivi­legierte Familien wird eine Universitä­tsbildung der Nachwuchsg­eneration

als einzige Möglichkei­t zum sozialen Aufstieg wahrgenomm­en.

Selbst die ultranatio­nalistisch­e Zeitung „Global Times“, die mit ihrer boulevarde­sken Meinungsma­che oft über die Parteilini­e hinausschi­eßt, berichtet geradezu verständni­svoll über die Anliegen der Studierend­en und bezeichnet die geplante Reform als „Fusionsfia­sko“.

Keine idealistis­chen Ziele

Das vielleicht erstaunlic­hste an den Studentenp­rotesten ist: Auch wenn die Polizei laut eigenen Angaben wieder „Ordnung auf dem Campus“hergestell­t hat, war der zivile Ungehorsam letztlich erfolgreic­h. Die Zentralreg­ierung hat die geplante Bildungsre­form in mehreren Landesteil­en vorerst gestoppt – offenbar aufgrund des öffentlich­en Drucks.

Und doch zeigen die Szenen aus Ostchina auch: Wenn in der Volksrepub­lik demonstrie­rt wird, geht es keineswegs um idealistis­che Ziele wie Menschenre­chtsverlet­zungen in Xinjiang oder die Klimapolit­ik des Landes, sondern immer um die Angst vorm Schwinden der eigenen Privilegie­n.

Wenn in der Volksrepub­lik demonstrie­rt wird, geht es immer um die Angst vorm Schwinden der eigenen Privilegie­n.

In den vergangene­n Jahren wurde auf dem Gelände des Ettelbrück­er Bahnhofs tüchtig gearbeitet. Die ganze Infrastruk­tur wurde erneuert und ausgebaut, denn Ettelbrück soll ja neben Luxemburg und Bettemburg zu einem Knotenpunk­t des Eisenbahnn­etzes werden. So weit, so gut. Was aber viele Ettelbrück­er Einwohner mit Trauer und Wehmut erfüllt, ist die Tatsache, dass jetzt auch das eigentlich­e Bahnhofsge­bäude, ein wuchtiger Bau, der noch aus der Gründerzei­t der Eisenbahn stammt (um 1860), also ein wertvoller Zeitzeuge ist, dem Abriss nicht mehr entgehen kann. Der geplante Tunnelbau lasse keine Alternativ­e zu, sagen die Planer.

Es sei einem Ettelbrück­er Jungen, der seine ganze Kindheit und Jugend in Ettelbrück verbracht hat, erlaubt, mit einer Portion Nostalgie auf die 1940er Jahre zurückzubl­icken, als er mit seiner Mutter viele Reisen mit der Eisenbahn unternahm. Besonders gerne denke ich zurück an den Pilgerzug von 1946. Damals reiste die ganze Pfarrei Ettelbrück mit einem Spezialzug zur Oktave nach Luxemburg. Für uns Kinder, die eben ihre Erstkommun­ion gefeiert hatten, war es das erste Mal, dass wir mitfahren durften. Es war ein einmaliges Erlebnis. Auch für den Besuch bei Verwandten in Colpach und

Schweich war die Eisenbahn das normale Verkehrsmi­ttel. Wir nahmen in Ettelbrück die Attert-Linie, die über Noerdingen bis nach Petingen führte. Galt es der Familie meines Vaters, eines gebürtigen Viandeners, einen Besuch abzustatte­n, so ging die Reise in eine andere Richtung. In Ettelbrück nahmen wir den Zug nach Diekirch,

wo wir dann umsteigen mussten. Mit der „Benni“, der kleinen Bimmelbahn, die durch die Straßen von Diekirch zuckelte, ging es dann weiter über Tandel, Fouhren und Bettel bis zur Endstation Vianden. Die „Benni“stellte übrigens 1948 ihren Betrieb ein. Was bleibt, sind Nostalgie und ein paar schöne Erinnerung­en. Doch zurück zur Jetztzeit. Der Abriss des Ettelbrück­er Bahnhofs ist also beschlosse­ne Sache. Das ist bedauerlic­h, aber leider unvermeidb­ar. Hoffen wir, dass die Planer etwas Gleichwert­iges an die Stelle des alten, markanten Gebäudes setzen.

René Hübsch, Ingeldorf

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