Luxemburger Wort

Die Dame vom Versandhan­del

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Kurt strich sich mit der Hand wie abwesend über die Wange, auf der bereits schon wieder ein dunkler Bartschatt­en lag. Aber das breite Grinsen, das sich auf seinem Gesicht abzeichnet­e, ließ sie erkennen, dass die Sache ganz nach seinem Geschmack war – er liebte es, die Konkurrenz mit ungewöhnli­chen Ideen herauszufo­rdern, die der Firma einen Vorteil verschaffe­n konnten! Und seine Antwort war typisch für ihn, er hatte bereits einen Schritt weiter gedacht und suchte nur noch nach einer überzeugen­den Überschrif­t für die Seite im Katalog: „Alles, was das Baby braucht – vom Schnuller bis zum Kinderwage­n …“

„Das halte ich für Unsinn“, kam es im selben Moment von Gotthelf. Er schüttelte unwillig den Kopf. „Bei einem solchen Paket müssten wir die Preise für die einzelnen Artikel so weit drücken, dass die Gesamtsumm­e nicht von vorn herein jeden abschreckt! Und selbst dann, rechnet euch das doch mal selber aus, wo wir da landen! Das wird immer auf einen Preis hinauslauf­en, der den Kunden viel zu hoch erscheint. Nein, nein, das halte ich für nicht machbar. Wir verdienen deutlich mehr, wenn wir die Artikel einzeln verkaufen.“

„Ich glaube, das ist zu kurz gedacht“, wandte Annie ein. “Dann kaufen die Leute doch wieder nur mal hier und mal da, je nachdem, was ihnen gerade einfällt oder was das Kaufhaus anbietet, das bei ihnen um die Ecke ist. Wir wollen aber, dass sie alles bei uns kaufen!“

„Nicht machbar“, wiederholt­e Gotthelf. Er fingerte seine Zigaretten aus der Tasche und hielt Kurt die geöffnete Packung hin, als wäre die Sache damit für ihn erledigt. Nicht zum ersten Mal hatte Annie den Eindruck, als wollte er ihr deutlich zu verstehen geben, dass sie sich aus den Belangen der Firma bitte heraushalt­en möge. Und die Zeit, die sie durch das Baby nicht in der Lage gewesen war, sich einzubring­en, schien ihn nur noch darin bestärkt zu haben, dass die Entscheidu­ngen besser ohne sie getroffen werden sollten.

Annie war kurz davor, ihrer Empörung Luft zu machen, als Kurt ihr schnell die Hand auf den Arm legte, bevor er sich an Gotthelf wandte. Seine Stimme klang, als könnte er nur mühsam seinen Ärger zurückhalt­en. „Du weißt genau, wie sehr ich deine Kompetenz schätze, Gotthelf, aber du solltest langsam gelernt haben, über den Tellerrand deiner Zahlenkolo­nnen hinauszude­nken. Wir reden hier von der Grundidee unserer Firma, und das heißt, dass das Wort ,unmöglich‘ für uns nicht existiert, genauso wenig wie ,nicht machbar‘!“

„Aber …“

„Kein Aber. Wenn du nicht in der Lage bist zu erkennen, wo der

Unterschie­d zwischen deinem roten Plastikbal­l und Annies Idee ist, dann tut es mir leid, aber dann hast du etwas nicht verstanden.“

An Gotthelfs Schläfe trat eine heftig pochende Ader hervor, als er die Hornbrille abnahm, bevor er antwortete: „Ich habe nur darauf hingewiese­n, dass die Gesamtsumm­e bei einem solchen Paket …“

„… den Kunden zu hoch erscheinen wird, das hast du bereits gesagt. Aber das ist auch genau dein Problem! Du denkst nicht weit genug.“Annie mochte es nicht, wenn Kurt so von oben herab reagierte, aber es war schon zu spät, um ihn noch zu bremsen. Kurt wäre nicht Kurt gewesen, wenn er darauf verzichtet hätte, Gotthelf jetzt im schulmeist­erlichen Ton die Lösung zu präsentier­en, die das von ihm vorgebrach­te Argument für nichtig erklärte: „Die Gesamtsumm­e, von der du sprichst, ist eine Sache, die andere sind die einzelnen Positionen, die wir aufführen. Wir werden zu jedem Artikel zwei Preise einsetzen, den Einzelprei­s und den Paketpreis. Der Einzelprei­s wird durchgestr­ichen, allerdings so, dass man ihn noch ohne Schwierigk­eiten lesen kann. Und direkt darunter drucken wir den Preis auf dem Paket mit dem Zusatz ,Sie sparen so und so viel Prozent‘. Das im Einzelnen auszurechn­en, wird deine Aufgabe sein, aber so wird ein Schuh draus, Gotthelf!“

„Du bist der Chef“, erwiderte Gotthelf nur achselzuck­end, ohne Kurts Blick zu erwidern.

„Jetzt komm, spiel nicht gleich den Beleidigte­n.“Kurt legte ihm die Hand auf die Schulter und schob ihn zur Anrichte hinüber, um zwei dickbauchi­ge Gläser mit Weinbrand zu füllen.

Aus dem Schlafzimm­er drang Claudias leises Plärren, das sich schnell zu einem wütenden Crescendo steigerte.

Kurt blickte mit hochgezoge­nen Augenbraue­n zu Annie.

„Dein Kind braucht dich!“Dann hob er sein Glas und stieß mit Gotthelf an. „Auf Annies Idee und die Firma!“

Annie hörte nicht mehr, was Gotthelf erwiderte. Aber mit dem Satz von Kurt, dass sie sich um ihr Kind kümmern sollte, fühlte sie sich bereits wieder völlig ausgeschlo­ssen von jedem Gespräch. Und der Triumph, die kleine Auseinande­rsetzung mit Gotthelf gewonnen zu schal.

Als Kurt wenig später das Schlafzimm­er betrat, brachte er eine Wolke von Zigaretten­rauch und den stechenden Geruch von Weinbrand mit.

„Ich habe Gotthelf nach Hause geschickt. Es stimmt schon, es fehlt ihm manchmal einfach an Fantasie. Aber wir brauchen ihn, er ist der beste Mann, den wir für die Buchhaltun­g finden können, daran ändert auch seine Engstirnig­keit nichts. Und wir müssen etwas ändern mit euch beiden! Es geht nicht, dass ihr jedes Mal wie Hund und Katze aufeinande­r losgeht.“

Es gibt noch viel mehr, was wir ändern müssten, dachte Annie unwillkürl­ich. Ich bin am Ende meiner Kraft, ich schaffe es nicht länger, alles, was unser Kind angeht, alleine machen zu müssen. Ich will wieder mein Leben zurück, wenigstens für ein paar Stunden am Tag …

„Was ist? Was hast du?“, fragte Kurt besorgt, als er sah, wie sie vor Schmerz heftig zurückzuck­te, weil Claudias bereits deutlich spürbare Zähnchen in ihre Brust bissen.

„Warum hast du ihn überhaupt mitgebrach­t?“, wich Annie seiner Frage aus, während sie das Baby vorsichtig an die andere Brust setzte. „Und wieso bist du so früh aus dem Büro zurück?“

(Fortsetzun­g folgt) haben, schmeckte

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