Eine Auszeit mit Wein
Das Chianti-Gebiet lockt Besucher mit alten Gemäuern, kulinarischen Leckereien und dem Konzept des Agriturismo
Grauer Kies knirscht unter den Autoreifen auf dem Weg hinab zur Villa Spoiano. Beiderseits des Weges wachsen Sangiovesetrauben und warten prall gefüllt darauf, gelesen und weiterverarbeitet zu werden. Die Villa Spoiano betreibt Agriturismo. Hierzulande würde man es vielleicht Urlaub auf dem Bauernhof nennen, in der Toskana ist es eben Urlaub auf einem Weingut. Die alten Steingebäude erheben sich an zwei Seiten des zentralen Platzes und versprühen Mittelaltercharme. Man kann sich bildhaft vorstellen, wie die Bewohner zu Zeiten der Medici hinter diesen Mauern gelebt haben, auch wenn die Gebäude selbst vielleicht noch nicht so alt sein mögen.
Urlaub auf dem Weingut statt auf dem Bauernhof
Ein dicker Metallring prangt auf dem Eingangstor des Hauptgebäudes, dahinter reihen sich Flaschen, die Besucher einfach wegnehmen können. Merlot, Cabernet Sauvignon und Chianti ebenso wie der süße Dessertwein Vin Santo. Eine Glastür führt in den Innenhof. Kleine Landschildkröten laufen zwischen den Gartenstühlen umher, ein Brunnen in der Mitte sorgt für das nötige entspannende Grundrauschen, während hinter der Brüstung einige Meter tiefer ein langgezogener Naturpool mit Fischen zu einem Bad einlädt. Dahinter erhebt sich die Bilderbuchlandschaft der Toskana. Sanft geschwungene gelbe Hügel, durchzogen von Weinfeldern und Olivenbaumhainen. Zwischen den Hainen grasen kleine Rinder. Versteckt im Dickicht leben Schweine. Die Villa Spoiano baut zahlreiche Agrarprodukte selbst an. Betrieben wird sie von einem Schweizer Ehepaar.
Das Chianti ist in einigen Stunden mit dem Auto erreichbar. Besuchern bietet sich hier vor allem eines: Platz. In diesen Zeiten wirken die Agriturismo-Unterkünfte wie Sanatorien für von schieren Menschenmassen geplagte Großstädter. Urlaub auf einem Weingut bedeutet die vielfach herbeigesehnte Auszeit vom Alltag und schlicht viel Wein. Das Chianti ist weltweit bekannt für den Anbau der Rebsorte Sangiovese. Die Winzer keltern hieraus Weine wie den Chianti, den Chianti Classico aber auch, östlich von Siena, die renommierten Spitzenweine Brunello di Montalcino und Nobile de Montepulciano. Die weitläufige Landschaft und die schmalen Straßen der Toskana sind das ersehnte Ruhedomizil nach einem Winter in der Stadt.
Die im Chianti vorherrschende Traube Sangiovese ist die am weitesten verbreitete Rebsorte Italiens. Weine mit der Bezeichnung Chianti Classico dürfen nur im ursprünglichen Kerngebiet des Chianti gekeltert werden. Das Consorzio Chianti Classico prüft die Weine und bestätigt sie als Chianti Classico. „Es gibt genaue Regeln, wie der Wein angebaut wird und welche Kriterien er erfüllen muss, um die DOCG-Bezeichnung zu erhalten“, erklärt Susi Waespi, die mit ihrem Mann die Villa Spoiano führt. „Chianti Classico ohne DOCG gibt es nicht.“Das hat neben der geschmacklichen Note auch einen wirtschaftlichen Aspekt. Chianti Classico hat sich zu einer Marke emporgeschwungen, die gerne gekauft wird. Durch die entsprechende Etikettierung weiß man, was ins Glas kommt. Neben diesem Aushängeschild haben die Waespis noch die Rebsorten Vermentino, Chardonnay, Sauvignon, Syrah, Cabernet Sauvignon und Merlot in der Flasche. Die Traubenernte erfolgt von Hand.
Das Anwesen der Villa Spoiano liegt zwischen Tavarnelle und Barberino Val d'Elsa. Die Fattoria ist auch und sogar insbesondere zu Corona-Zeiten für eine Auszeit geeignet. „Wir haben viel Platz“, erläutert die Eigentümerin.
Auch für die kalten Monate empfehlenswert
Sie ist mit ihrem Mann Jan, der Weinbau studierte, 1985 aus der Schweiz in die Toskana emigriert, um dort den eigenen Traum zu verwirklichen und Bio-Weinanbau zu betreiben. Allein durch die Reihen der Reben zu flanieren mutet paradiesisch an. „Dazu kommt der ausgezeichnete Ausblick vom NaturPool auf die Landschaft.“Nach nur kurzer Fahrtzeit erreichen Besucher die kulturellen Leckerbissen wie Siena, Florenz und Volterra. Die Besuchsempfehlung gilt auch für die kalten Monate. „Es sind weniger Touristen da und man wird noch freundlicher aufgenommen. Alle haben Zeit. Es gibt keine Schlangen vor den Museen und nach einem ausgiebigen Spaziergang genießen unsere Besucher mit einem guten Buch und einem Glas Wein das Kaminfeuer“, sagt Waespi.
Eines der Hauptanbaugebiete der Toskana
Die Fattoria ist der optimale Ausgangspunkt durch das Chianti. Die Höhepunkte der Region sind nie mehr als eine Autostunde entfernt. Vor langer Zeit war das Chianti eine arme Gegend, die Böden waren nicht sonderlich fruchtbar. Die einfachen lokalen Gerichte wie Panzanella und Ribollita zeugen noch heute davon. Der erfolgreiche Anbau von Weinreben und Olivenbäume hievte die Region auch wirtschaftlich in eine neue, wohlstandsbasierte Dimension. Heute ist sie eine der Hauptanbaugebiete der Toskana und produziert weltweit gern getrunkene und populäre Weine.
Auf dem Gelände der Villa Spoiano sind Wein und Oliven aber nicht alles. „Wir haben Dexter-Rinder und Cinta-SeneseSchweine, Gemüse, Obst“, sagt Waespi. Regelmäßig richten sie für ihre Gäste ein großes Essen auf der Terrasse aus. Sie sind dann beinahe Selbstversorger, tischen Fleisch aus eigener Schlachtung und Obst und Gemüse aus eigenem Anbau auf. Und natürlich Wein.
Eine kurze Fahrt entfernt liegt der Hauptort Greve in Chianti. Greve ist so etwas wie das Herz der Region. Optisch kann es bei weitem nicht mit den idyllischen Hügeldörfern der Umgebung mithalten, aber es bietet schlicht die beste Infrastruktur.
In den Läden rund um den zentralen Platz der kleinen Altstadt zwischen den modernen Häusern lassen sich toskanische Spezialitäten erwerben. Ganz vorne mit dabei ist die Finocchiona, eine Fenchelsalami und natürlich jedes Nahrungsmittel, das in irgendeiner Form Tartufo enthält – Trüffel. Trüffelsalami, Trüffelpesto, Trüffelnudeln. Liebhaber der kostspieligen Pilze kommen hier voll auf ihre Kosten.
Es gibt genaue Regeln, wie der Wein angebaut wird und welche Kriterien er erfüllen muss. Susi Waespi, Villa Spoiano
Für das echte Weingut-Feeling fährt man aber lieber etwas weiter. Etwa nach Volpaia. Die kleine Ansammlung Häuser ist nicht einmal ein richtiges Dorf, aber ein bekanntes Zentrum der Essig- und Olivenölproduktion der Region. Daneben gibt es natürlich allerlei Weine zu Verkostung.
Volpaia befindet sich auf der Spitze einer Hügelkuppe, so dass man das Land, von dem man gerade die Trauben und Oliven probiert, praktisch direkt vor sich hat. Die Essige sind in der Standardausführung zu haben und bekömmlich – eine wahre Geschmacksexplosion erwartet Besucher allerdings bei einer Kostprobe der mit weiteren Naturprodukten versetzen Varianten: etwa mit aromatischen Kräutern oder Blüten aus der Region wie Ringelblume, Holunder und Lavendel.
Die Ausflüge beschließt man zurück in der Villa Spoiano am besten mit einem Glas Chianti Classico in der Hand vor dem Kamin oder am Pool. Welcher Geschmack einen erwartet? „Fruchtiges Aroma, das an reife Pflaumen, Brombeeren und Kirsche erinnert“, beschreibt Waespi ihren Chianti Classico. „Ein trockener, ausgewogener Geschmack mit feinen Tanninen.“Wohl bekomms!