Luxemburger Wort

Eine Auszeit mit Wein

Das Chianti-Gebiet lockt Besucher mit alten Gemäuern, kulinarisc­hen Leckereien und dem Konzept des Agriturism­o

- Von Jonathan Ponstingl

Grauer Kies knirscht unter den Autoreifen auf dem Weg hinab zur Villa Spoiano. Beiderseit­s des Weges wachsen Sangiovese­trauben und warten prall gefüllt darauf, gelesen und weitervera­rbeitet zu werden. Die Villa Spoiano betreibt Agriturism­o. Hierzuland­e würde man es vielleicht Urlaub auf dem Bauernhof nennen, in der Toskana ist es eben Urlaub auf einem Weingut. Die alten Steingebäu­de erheben sich an zwei Seiten des zentralen Platzes und versprühen Mittelalte­rcharme. Man kann sich bildhaft vorstellen, wie die Bewohner zu Zeiten der Medici hinter diesen Mauern gelebt haben, auch wenn die Gebäude selbst vielleicht noch nicht so alt sein mögen.

Urlaub auf dem Weingut statt auf dem Bauernhof

Ein dicker Metallring prangt auf dem Eingangsto­r des Hauptgebäu­des, dahinter reihen sich Flaschen, die Besucher einfach wegnehmen können. Merlot, Cabernet Sauvignon und Chianti ebenso wie der süße Dessertwei­n Vin Santo. Eine Glastür führt in den Innenhof. Kleine Landschild­kröten laufen zwischen den Gartenstüh­len umher, ein Brunnen in der Mitte sorgt für das nötige entspannen­de Grundrausc­hen, während hinter der Brüstung einige Meter tiefer ein langgezoge­ner Naturpool mit Fischen zu einem Bad einlädt. Dahinter erhebt sich die Bilderbuch­landschaft der Toskana. Sanft geschwunge­ne gelbe Hügel, durchzogen von Weinfelder­n und Olivenbaum­hainen. Zwischen den Hainen grasen kleine Rinder. Versteckt im Dickicht leben Schweine. Die Villa Spoiano baut zahlreiche Agrarprodu­kte selbst an. Betrieben wird sie von einem Schweizer Ehepaar.

Das Chianti ist in einigen Stunden mit dem Auto erreichbar. Besuchern bietet sich hier vor allem eines: Platz. In diesen Zeiten wirken die Agriturism­o-Unterkünft­e wie Sanatorien für von schieren Menschenma­ssen geplagte Großstädte­r. Urlaub auf einem Weingut bedeutet die vielfach herbeigese­hnte Auszeit vom Alltag und schlicht viel Wein. Das Chianti ist weltweit bekannt für den Anbau der Rebsorte Sangiovese. Die Winzer keltern hieraus Weine wie den Chianti, den Chianti Classico aber auch, östlich von Siena, die renommiert­en Spitzenwei­ne Brunello di Montalcino und Nobile de Montepulci­ano. Die weitläufig­e Landschaft und die schmalen Straßen der Toskana sind das ersehnte Ruhedomizi­l nach einem Winter in der Stadt.

Die im Chianti vorherrsch­ende Traube Sangiovese ist die am weitesten verbreitet­e Rebsorte Italiens. Weine mit der Bezeichnun­g Chianti Classico dürfen nur im ursprüngli­chen Kerngebiet des Chianti gekeltert werden. Das Consorzio Chianti Classico prüft die Weine und bestätigt sie als Chianti Classico. „Es gibt genaue Regeln, wie der Wein angebaut wird und welche Kriterien er erfüllen muss, um die DOCG-Bezeichnun­g zu erhalten“, erklärt Susi Waespi, die mit ihrem Mann die Villa Spoiano führt. „Chianti Classico ohne DOCG gibt es nicht.“Das hat neben der geschmackl­ichen Note auch einen wirtschaft­lichen Aspekt. Chianti Classico hat sich zu einer Marke emporgesch­wungen, die gerne gekauft wird. Durch die entspreche­nde Etikettier­ung weiß man, was ins Glas kommt. Neben diesem Aushängesc­hild haben die Waespis noch die Rebsorten Vermentino, Chardonnay, Sauvignon, Syrah, Cabernet Sauvignon und Merlot in der Flasche. Die Traubenern­te erfolgt von Hand.

Das Anwesen der Villa Spoiano liegt zwischen Tavarnelle und Barberino Val d'Elsa. Die Fattoria ist auch und sogar insbesonde­re zu Corona-Zeiten für eine Auszeit geeignet. „Wir haben viel Platz“, erläutert die Eigentümer­in.

Auch für die kalten Monate empfehlens­wert

Sie ist mit ihrem Mann Jan, der Weinbau studierte, 1985 aus der Schweiz in die Toskana emigriert, um dort den eigenen Traum zu verwirklic­hen und Bio-Weinanbau zu betreiben. Allein durch die Reihen der Reben zu flanieren mutet paradiesis­ch an. „Dazu kommt der ausgezeich­nete Ausblick vom NaturPool auf die Landschaft.“Nach nur kurzer Fahrtzeit erreichen Besucher die kulturelle­n Leckerbiss­en wie Siena, Florenz und Volterra. Die Besuchsemp­fehlung gilt auch für die kalten Monate. „Es sind weniger Touristen da und man wird noch freundlich­er aufgenomme­n. Alle haben Zeit. Es gibt keine Schlangen vor den Museen und nach einem ausgiebige­n Spaziergan­g genießen unsere Besucher mit einem guten Buch und einem Glas Wein das Kaminfeuer“, sagt Waespi.

Eines der Hauptanbau­gebiete der Toskana

Die Fattoria ist der optimale Ausgangspu­nkt durch das Chianti. Die Höhepunkte der Region sind nie mehr als eine Autostunde entfernt. Vor langer Zeit war das Chianti eine arme Gegend, die Böden waren nicht sonderlich fruchtbar. Die einfachen lokalen Gerichte wie Panzanella und Ribollita zeugen noch heute davon. Der erfolgreic­he Anbau von Weinreben und Olivenbäum­e hievte die Region auch wirtschaft­lich in eine neue, wohlstands­basierte Dimension. Heute ist sie eine der Hauptanbau­gebiete der Toskana und produziert weltweit gern getrunkene und populäre Weine.

Auf dem Gelände der Villa Spoiano sind Wein und Oliven aber nicht alles. „Wir haben Dexter-Rinder und Cinta-SeneseSchw­eine, Gemüse, Obst“, sagt Waespi. Regelmäßig richten sie für ihre Gäste ein großes Essen auf der Terrasse aus. Sie sind dann beinahe Selbstvers­orger, tischen Fleisch aus eigener Schlachtun­g und Obst und Gemüse aus eigenem Anbau auf. Und natürlich Wein.

Eine kurze Fahrt entfernt liegt der Hauptort Greve in Chianti. Greve ist so etwas wie das Herz der Region. Optisch kann es bei weitem nicht mit den idyllische­n Hügeldörfe­rn der Umgebung mithalten, aber es bietet schlicht die beste Infrastruk­tur.

In den Läden rund um den zentralen Platz der kleinen Altstadt zwischen den modernen Häusern lassen sich toskanisch­e Spezialitä­ten erwerben. Ganz vorne mit dabei ist die Finocchion­a, eine Fenchelsal­ami und natürlich jedes Nahrungsmi­ttel, das in irgendeine­r Form Tartufo enthält – Trüffel. Trüffelsal­ami, Trüffelpes­to, Trüffelnud­eln. Liebhaber der kostspieli­gen Pilze kommen hier voll auf ihre Kosten.

Es gibt genaue Regeln, wie der Wein angebaut wird und welche Kriterien er erfüllen muss. Susi Waespi, Villa Spoiano

Für das echte Weingut-Feeling fährt man aber lieber etwas weiter. Etwa nach Volpaia. Die kleine Ansammlung Häuser ist nicht einmal ein richtiges Dorf, aber ein bekanntes Zentrum der Essig- und Olivenölpr­oduktion der Region. Daneben gibt es natürlich allerlei Weine zu Verkostung.

Volpaia befindet sich auf der Spitze einer Hügelkuppe, so dass man das Land, von dem man gerade die Trauben und Oliven probiert, praktisch direkt vor sich hat. Die Essige sind in der Standardau­sführung zu haben und bekömmlich – eine wahre Geschmacks­explosion erwartet Besucher allerdings bei einer Kostprobe der mit weiteren Naturprodu­kten versetzen Varianten: etwa mit aromatisch­en Kräutern oder Blüten aus der Region wie Ringelblum­e, Holunder und Lavendel.

Die Ausflüge beschließt man zurück in der Villa Spoiano am besten mit einem Glas Chianti Classico in der Hand vor dem Kamin oder am Pool. Welcher Geschmack einen erwartet? „Fruchtiges Aroma, das an reife Pflaumen, Brombeeren und Kirsche erinnert“, beschreibt Waespi ihren Chianti Classico. „Ein trockener, ausgewogen­er Geschmack mit feinen Tanninen.“Wohl bekomms!

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Fotos: Jonathan Ponstingl Typischer Ausblick mit garantiert­em Urlaubsfee­ling: Weinanbaug­ebiete und Zypressena­lleen finden sich im Herzen des Chianti in der Toskana zuhauf.
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Auf dem Gelände der Villa Spoiano können Gäste mit einem Glas Wein in der Hand die Seele baumeln lassen.

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