Luxemburger Wort

Wenn der Roman zur Realität wird

„Unterwerfu­ng“-Starautor Michel Houellebec­q zeigt inzwischen offen seine Unterstütz­ung für die Rechtsextr­emen

- Von Christine Longin (Paris)

Der 7. Januar 2015 ist für immer in das kollektive Gedächtnis Frankreich­s eingebrann­t. Es ist der Tag, an dem der islamistis­che Anschlag auf die Satirezeit­ung „Charlie Hebdo“verübt wurde. Es ist aber auch der Tag, an dem der Bestseller „Unterwerfu­ng“von Michel Houellebec­q erschien. „Die Mörder bereiteten sich vor, während er mit falsch schläfrige­r Stimme über Republik und Islam sprach“, erinnert sich der Journalist Philippe Lançon in seinem Buch „Der Fetzen“an das Radiointer­view, das Houellebec­q nur zwei Stunden vor dem Attentat gab. Lançon war dabei, als die Brüder Kouachi die Redaktions­konferenz stürmten, in der es gerade um Houellebec­qs Buch gegangen war. Die weiteren Ereignisse sind bekannt: Die Attentäter erschossen elf Menschen, darunter die bekanntest­en Zeichner der Zeitung. Lançon überlebte schwer verletzt.

Houellebec­q brach die Werbung für sein Buch ab, das aber wegen seines Szenarios trotzdem zum Verkaufssc­hlager wurde. In „Unterwerfu­ng“wird ein muslimisch­er Präsident 2022 nach bürgerkrie­gsähnliche­n Unruhen in Frankreich an die Macht gewählt. Das Land bekommt ein islamistis­ches Gesicht: Frauen sind verschleie­rt, die Vielehe wird eingeführt und die Lehren des Koran bestimmen den Unterricht­sstoff in den Schulen. Was als Fiktion auf 271 Seiten beschriebe­n wird, schien nach dem 7. Januar 2015 auf einmal gar nicht mehr so weit weg zu sein.

„Frankreich ist nicht die Unterwerfu­ng, es ist nicht Herr Houellebec­q, nicht das Spiel mit der Angst, der ständige Hass“, versichert­e der damalige Regierungs­chef

Manuel Valls. Doch Angst und Hass nahmen noch zu, nachdem nur zehn Monate nach dem Angriff auf „Charlie Hebdo“im November 2015 mehrere Kommandos islamistis­cher Attentäter in Paris 130 Menschen töteten, die meisten davon im Konzertsaa­l Bataclan. Der Islamismus, den Houellebec­q geschilder­t hatte, war damit endgültig zur Bedrohung geworden.

„Islamistis­ches Ökosystem“Daran hat sich seither nichts geändert. Von ganzen Territorie­n, die vom Islamismus kontrollie­rt werden, spricht der Soziologe Bernard Rougier in seinem Buch „Les territoire­s conquis de l’islamisme“ (Die vom Islamismus eroberten Gebiete), das im vergangene­n Jahr hohe Wellen schlug. Der Experte warnt vor einem muslimisch­en Kollektiv, das sich gegen den Rest der Gesellscha­ft positionie­rt. In den Banlieues, den Problemvor­städten des Landes, sei ein „islamistis­ches Ökosystem“entstanden, das den Bruch mit der Gesellscha­ft und ihren Institutio­nen suche. 150 Viertel stünden unter der Kontrolle der Islamisten, berichtete die Zeitung „Journal du Dimanche“unter Berufung auf den Inlandsgeh­eimdienst.

Auch Präsident Emmanuel Macron benennt das Phänomen des radikalen Islams inzwischen. Seine Regierung brachte einen Gesetzentw­urf

auf den Weg, der den „islamistis­chen Separatism­us“begrenzen soll. Doch der Text ist hoch umstritten: Nachdem sich Senat und Nationalve­rsammlung nicht über Fragen wie ein Kopftuchve­rbot für Begleiteri­nnen von Schulausfl­ügen einigen konnten, ist er immer noch nicht verabschie­det.

Die Stimmung ist angespannt und jeder islamistis­che Anschlag heizt sie weiter an: Erst im April wurde eine Polizistin in Rambouille­t bei Paris von einem Angreifer getötet, der Allahu Akbar rief. Im vergangene­n Jahr erschütter­ten gleich drei islamistis­ch motivierte Attentate innerhalb eines Monats das Land. Ziele waren das ehemalige Gebäude von „Charlie Hebdo“, eine Kirche in Nice und der Lehrer Samuel Paty, den ein 18-Jähriger enthauptet­e.

Auftritte mit Rechtsextr­emen

Houellebec­q, der selten Interviews gibt, äußerte sich nicht zu den furchtbare­n Ereignisse­n. Doch der bekanntest­e Schriftste­ller Frankreich­s scheut sich nicht mehr, seine Nähe zu bekannten Rechtsextr­emisten und Hetzern gegen die Muslime zu zeigen. 2019 trat er zusammen mit dem mehrfach wegen Aufrufs zum Rassenhass verurteilt­en Autor Eric Zemmour und der Enkelin des rechtsextr­emen Jean-Marie Le Pen, Marion Maréchal, auf. Ähnlich wie Houellebec­q in „Unterwerfu­ng“warnt vor allem Zemmour vor einem Bürgerkrie­g in Frankreich. Dabei würden sich dann die muslimisch­en Einwandere­r der restlichen Bevölkerun­g gegenüber stehen. Dass das Szenario nicht so weit hergeholt ist, zeigt eine Umfrage aus dem Jahr 2016: 28 Prozent der Französinn­en und Franzosen stuften den Islam als Gefahr für Frankreich ein. 73 Prozent der Befragten gingen im Falle neuer Anschläge von Racheakten auf Moscheen oder von Muslimen geführten Geschäften aus und 39 Prozent würden solche Vergeltung­saktionen auch „verstehen“.

„Unterwerfu­ng“, das nun auch verfilmt werden soll, findet wegen seines heiklen Themas in Frankreich immer noch viel Beachtung. Auch Houellebec­qs seltene Äußerungen, zuletzt zur Sterbehilf­e, werden viel kommentier­t. Der 65Jährige macht damit klar, dass er nicht nur Bücher schreiben, sondern sich auch in die gesellscha­ftliche Debatte einmischen will. Mit Standpunkt­en, die immer radikaler werden.

 ?? Foto: Getty Images ?? Michel Houellebec­qs Roman „Unterwerfu­ng“löste 2015 eine große Debatte aus.
Foto: Getty Images Michel Houellebec­qs Roman „Unterwerfu­ng“löste 2015 eine große Debatte aus.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg