Der unsichtbare Dritte
Das Einzige, was die SPD im Kampf ums deutsche Kanzleramt bislang zu bieten hat, ist – Olaf Scholz
Vielleicht ist das die entscheidende Frage, am Ende. Ob die Deutschen von Olaf Scholz geduzt werden wollen. Einerseits: Das schwedische Möbelhaus, dem die halbe Republik unabhängig von Bildung und Reichtum allsamstäglich – so nicht pandemiebedingt zu – die Verkaufsflächen flutet: Das duzt schon lang. Andererseits: Scholz ist nicht Ingvar Kamprad. Und die SPD nicht der Trendsetter der deutschen Politik.
Schon gar nicht rennt das Publikum der ältesten Partei der Republik – 158 Jahre! – die Bude ein. Nicht bei Wahlen. Nicht in Umfragen. Nicht als Mitglieder. Überall geht es bergab.
Dabei regiert die SPD. Dauerhaft. Von den zurückliegenden 23 Jahren satte 19. Gut, die letzten beiden Male nicht wirklich mit sprühender Begeisterung. Vor vier Jahren hat sie sich vom Bundespräsidenten und Genossen mit ruhender Mitgliedschaft Frank-Walter Steinmeier nur äußerst widerstrebend in die Pflicht nehmen lassen. Aber sie hat in der Koalition mit der Union durchaus Erfolg. Politisch.
Beim Publikum indes fällt sie durch. Bei Wahlen zuletzt 8,4 Prozent in Sachsen-Anhalt. In den Umfragen zur Bundestagswahl maximal 17. Das ist schon schlimm. Aber noch schlimmer ist: Wenn es um den Wahlkampf geht – der wie immer scheinbar ewig dahinplätschert und dann übergangslos alles andere überströmen und hinwegreißen wird – dann wird die SPD glatt übersehen. Und Scholz auch. Dabei ist er die Nummer eins. Als Kanzlerkandidat schon seit 199 Tagen im Amt.
Er macht nichts falsch
Der Republik ist das schnurz. Sie fand interessant, wie Markus Söder und Armin Laschet sich um die Chance aufs Kanzleramt rauften, wie Robert Habeck und Annalena Baerbock die Kandidatur ganz im Geheimen auskungelten. Sie kann im TV sehen und in den Zeitungen lesen, ob die zwei Unionisten sich jetzt grün sind. Und ob die Grünen nach Baerbocks PatzerSerie jetzt schwarz sehen. Sie hört im Radio von einer umstrittenen Anti-Baerbock-Anzeige. Und dass Laschet immer noch an seinem Wahlprogramm bastelt. Von Scholz hört und sieht und liest sie
Hat SPD-Mann Olaf Scholz den Kanzler-Wumms?
nichts. Das ist, einerseits, für ihn und die SPD erfreulich. Denn es heißt, Scholz macht nichts falsch. Andererseits ist es katastrophal. Denn es heißt auch, dass niemand Scholz wichtig nimmt. Nicht die Medien. Nicht die Lobbyisten. Nicht einmal die Konkurrenz.
Als die ARD Scholz am Montag vollkommen anlasslos zum „Farbe bekennen“bat – ein Format, das eigentlich nur in besonderen Situationen kurzfristig auf den quotenträchtigen 20.15-Sendeplatz eingeschoben wird: Da schrieb anderentags die „Süddeutsche“, Scholzens Farbe sei „das mineralische Grau des Felsen des Sisyphos“.
Das ist die Übersetzung fürs Feuilleton von „weckt keine Emotionen, reißt die Leute nicht mit“. So wird Scholz dort beschrieben, wo die Hauptlast des Wahlkampfs gestemmt wird: an der sogenannten Basis. Die Parteichefin aber behauptet: „Olaf hat den KanzlerWumms.“
Dummerweise hat Saskia Esken zuvor Scholz einen VorsitzendenWahlkampf lang als „Teil des großen SPD-Problems“hingestellt. Inzwischen dürfte Scholz das über sie und ihren Co. Norbert WalterBorjans sagen – ohne rot zu werden dabei. Die Chef-Etage des Willy-Brandt-Hauses – so viel ist klar – kann Scholz nicht helfen.
Nach den 20,5 Prozent von 2017 und dem Verschleiß von Martin Schulz und Andrea Nahles in nicht zwei Jahren ist die SPD in diversen Nöten. Die Parteispitze scheut Kontakte. Das Willy-Brandt-Haus lädt nicht mehr zu Hintergrundgesprächen – in denen ja nicht allein die Journalisten klüger werden. Und für den Wahlkampf kann sie nur 15 Millionen Euro ausgeben; die CDU hat deutlich mehr zur
Verfügung, die Grünen nicht sehr viel weniger.
Als Kanzlermacher ist Raphael Brinkert engagiert. Er hat vor vier Jahren für Angela Merkel Kampagne gemacht. Der SPD verordnet er jetzt: „Mehr Mut wagen“. Und erinnert sie damit an ihre größte Zeit. Als Willy Brandt Kanzler wurde. Und Deutschland versprach: „Wir wollen mehr Demokratie wagen“.
Nicht nur Sozialdemokraten werden bei diesem Satz emotional. Aber selbst Sozialdemokraten werden es bei Scholz eben nicht. Brinkert will das ändern. Und der SPD zeigen, was Kanzlerwerdenwollen heißt. Zum 50. Jahrestag des Kniefalls von Warschau verbreitete er ein Plakat mit dem weltbekannten Foto – und schrieb darunter: „We will never forget“.
Auch das SPD-Rot lässt Brinkert wieder knallen. Und darunter steht jetzt: „Soziale Politik für Dich“. Im ersten Spot, den die Partei zu sehen bekam, sagt Scholz am Ende zum Publikum: „Aus Respekt für dich“.
Allerdings ist die SPD kein Möbelhaus. Und das ist so ziemlich das Einzige, was gerade sicher zu sagen ist über sie.