Glanzvoll
Italiens Fußballer überzeugen bei der EM auf ganzer Linie und träumen vom Titel
Früher als Catenaccio-Experten arg gefürchtet, jetzt als Offensivkünstler groß gefeiert: Eine „neue“Squadra Azzurra um den „wunderbaren“Manuel Locatelli begeistert das schwer geplagte Italien und rückt nach einer weiteren magischen Nacht von Rom immer stärker in die Favoritenrolle.
„Diese Nationalelf hat das Recht, groß zu träumen“, titelte „Tuttosport“nach dem beeindruckenden 3:0 gegen überforderte Schweizer und dem frühzeitigen Einzug ins Achtelfinale.
Der Glaube an den ersten EMTitel seit 53 Jahren wird bei den Azzurri immer größer. „Es mag vielleicht drei oder vier Teams mit mehr individueller Klasse geben. Doch ich habe es schon vor dem Turnier gesagt, dass mit dieser Mannschaft etwas Besonderes in der Luft liegt. Ich denke, wir können weit kommen“, sagte Italiens Abwehrspieler Francesco Acerbi vor dem Gruppenfinale am Sonntag (18 Uhr) gegen Wales voller Zuversicht.
Das Team von Trainer Roberto Mancini habe zwar „keinen Pogba und keinen Mbappé“, schrieb der „Corriere della Sera“, aber eben eine Mannschaft „mit klarer Qualität“– und einem „absoluten Protagonisten“: Die fußballverrückten Tifosi lagen Locatelli, erst 23 Jahre alt und beim Provinzclub Sassuolo unter Vertrag, nach dessen Doppelpack (26.', 52.') zu Füßen. „Italien glänzt im Zeichen Locatellis“, lobte „La Repubblica“überschwänglich: „Mit Locatelli tanzt man Rock-Musik.“
Dabei war der junge Mann eigentlich nur als Ersatz von Schlüsselspieler Marco Verratti, der auch gegen die Schweiz noch fehlte, vorgesehen. Doch Locatelli schlüpfte schnell mal in die Chefrolle. Die Lobeshymnen gab der Mittelfeldspieler aber genauso schnell weiter. Er sei einfach nur „superstolz, Teil dieser Gruppe zu sein. Es ist irre.“
Ausfall von Chiellini
Mancini hat es in der Tat geschafft, eine geeinte Nazionale, die vor drei Jahren noch geprügelt am Boden lag, auferstehen zu lassen. „Ein Geheimnis gibt es nicht. Wie man sieht, lebt diese Mannschaft von Geschlossenheit und Enthusiasmus“, betonte Nicolo Barella. Es gebe „keine Eifersucht und keinen Neid“.
Die Squadra Azzurra, die gegen die Schweiz auch den verletzungsbedingten Ausfall von Kapitän Giorgio Chiellini (24.') locker wegsteckte, hat diese EM längst zu ihrer Mission gemacht. Zu einer Mission, die den Menschen in Zeiten von Corona „wieder Freude schenken soll“, wie Locatelli unterstrich.
Auch für Mancini hatte das 3:0 gegen die Eidgenossen höhere Bedeutung: Der Sieg, abgerundet durch den Treffer von Ciro Immobile (89.'), sei „für alle Leute, denen es im Moment schlecht geht. Das Weiterkommen widme ich allen, die gelitten haben und die immer noch leiden“, sagte der 56-Jährige voller Pathos.
Für die angeblich goldene Generation der Schweiz könnte das Turnier dagegen am Sonntag (Anpfiff um 18 Uhr) schon zu Ende sein. Ein Sieg gegen die Türkei in Baku ist Pflicht – und selbst der könnte in der Endabrechnung zu wenig sein.
Trainer Vladimir Petkovic forderte von seinen schwachen Profis um Granit Xhaka eine deutliche Reaktion: „Wir müssen bereit sein, das Entscheidungsspiel gegen die Türkei zu gewinnen und die Chance auf das Achtelfinale zu nutzen.“sid