Ein Hauch von Hoffnung
Genau drei Stunden und 21 Minuten hat der meistgehypte Gipfel des Jahres 2021 gedauert. Die Erwartungen an das Treffen zwischen Joe Biden und Wladimir Putin in Genf waren derart niedrig, dass sie mühelos erfüllt wurden. Die beiden Staatschefs einigten sich auf die Rückkehr ihrer Botschafter sowie auf mehr Zusammenarbeit bei Rüstungskontrolle und Cybersicherheit. Bei heiklen Themen wie der Einhaltung von Menschenrechten und dem Ukrainekonflikt blieben die Fronten erwartungsgemäß verhärtet.
Die hochkarätige Zusammenkunft war für beide Teilnehmer eine willkommene Gelegenheit, eine Botschaft an die eigene Wählerschaft zu senden. Für den Kremlchef war es eine Genugtuung, den mächtigsten Mann der Welt auf Augenhöhe zu treffen, und auch noch auf dessen Einladung hin. Denn der Stachel durch Barack Obamas Aussage, Russland sei eine Regionalmacht, sitzt noch immer tief. Auch hatte Bidens „Killer“-Bezeichnung Putin schwer gekränkt. Die Inszenierung in der Schweiz dürfte so manchen Wähler bei dem im September anstehenden Urnengang für die Duma beeinflussen.
Der Stolz war dem russischen Präsidenten bei seiner rund einstündigen Pressekonferenz förmlich ins Gesicht geschrieben. Putin genoss das Rampenlicht und fand ungewöhnlich lobende Worte für seinen amerikanischen Gesprächspartner. Überaus lästig war allerdings sein wiederholtes Benutzen des „whataboutism“– einer Technik, die bei Populisten und Autokraten sehr beliebt ist. Anstatt kritische Fragen zu beantworten, verweist der Redner auf Verfehlungen der Gegenseite. Die Botschaft: Kehrt vor Eurer eigenen Haustür, anstatt andere zu belehren. Dass Putin dieses Instrument bis zur Perfektion beherrscht, bewies er erneut eindrucksvoll.
Auch der US-Präsident nutzte die Bühne, um innenpolitisch zu punkten. Angesichts des Trump'schen Kuschelkurses mit seinem russischen Amtskollegen und des desaströsen Gipfels in Helsinki 2018 setzte Biden alles daran, sich deutlich von seinem Vorgänger abzugrenzen. Mit Erfolg. Der 46. US-Präsident war nach Genf gekommen, um Klartext zu sprechen. Das tat er dann auch. Der Tenor: Falls Oppositionsführer Alexej Nawalny etwas zustoßen sollte, falls Ihr weiterhin sensible US-Einrichtungen hackt oder Euch in Wahlen einmischt, müsst Ihr mit Konsequenzen rechnen.
Das Problem mit „roten Linien“ist, und das musste Obama in Syrien schmerzlich erfahren, dass sie verteidigt werden müssen, wenn man seine Glaubwürdigkeit behalten will. Putin jedoch ist ein Meister darin, Grenzen auszuloten und seine Gegner zu provozieren. Auf Biden könnten künftig noch schwierige Entscheidungen zukommen, wenn er seine Kredibilität nicht verspielen will.
Das Genfer Treffen war kein Durchbruch, aber es hat die Grundlage für professionelle, respektvolle und verlässliche Beziehungen zwischen Washington und Russland geschaffen. Die Umsetzung der Beschlüsse und die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit liegen nun in den Händen der beiden Staaten. Wenn sie es wirklich wollen, können sie die Welt ein Stück weit friedlicher machen.
Biden und Putin nutzten die Bühne in Genf, um ihre eigene Wählerschaft zu beeindrucken.
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