Links, wo der Streit ist
Knapp vor der deutschen Bundestagswahl tobt in der Partei, die den Pazifismus predigt, wieder einmal der innere Krieg
Wer die Deutschen nach den Vorsitzenden der Partei Die Linke fragt, hört – nichts. Oder: „… Wagenknecht?“Davor ein ratloses Schweigen, danach ein fettes Fragezeichen. Garantiert nicht fallen die Namen Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler.
Das ist schlecht. Für die Partei. Auch für Wissler und HennigWellsow – die seit vier Monaten die richtige Antwort sind. Gut ist es für Sahra Wagenknecht. Weil es ihr – und der Partei – beweist: Sie bleibt die prominenteste Linke.
Es gibt viele Gründe dafür. Seit sie die Polit-Bühnen betrat, inszeniert die gebürtige Thüringerin sich als Wiedergängerin von Rosa Luxemburg. Optisch. Und auch persönlich. Anfangs wurde sie deshalb in die Talkshows geladen – längst aber, weil sie hohe Quoten garantiert. Und zu argumentieren weiß. Das unterscheidet sie – wie vieles andere – von ihrer Partei.
Eine Partei im Niedergang
Die Linke nämlich ist im Niedergang, prozentmäßig. Sechs bis sieben prophezeien ihr die Demoskopen für die Bundestagswahl – ein stabiler Wert zwar, aber klar unter den 9,2 von 2017. Und gefährlich nahe an den fünf, die schaffen muss, wer überhaupt ins Parlament kommen will.
Wagenknecht hat ihre Partei schon vor einem Fiasko gewarnt. Mache die weiter „wie bisher, sieht es nicht gut aus“. Was sie unter „wie bisher“versteht – darüber hat sie ein Buch geschrieben. Es heißt „Die Selbstgerechten“. Gemeint sind Genossinnen und Genossen, die Wagenknecht als „LifestyleLinke“etikettiert. Ihrem Publikum verspricht sie im Untertitel „Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“.
Das Buch war publik, noch ehe die linke Parteispitze auch nur den Entwurf des eigentlichen Wahlprogramms präsentieren konnte. Wagenknecht will weniger Gender-Diskurs und weniger Aufmerksamkeit für Minderheiten. Die Partei fordert, unter anderem, mehr Mindestlohn und weniger Geld für die Bundeswehr. „Gemeinsam“, verspricht die Parteispitze, „machen wir das Land gerecht.“Aber das scheitert schon beim ersten Wort.
Denn gemeinsam ging bei den Linken selten etwas. Und gerade
Sahra Wagenknecht ist der Star der Linken.
gar nichts. Traditionell herrscht Krieg zwischen einem halben Dutzend Parteiströmungen, seit sich vor fast taggenau 14 Jahren die ostdeutsche PDS und die westdeutsche WASG zusammentaten und seitdem als Die Linke firmieren. Im Zentrum der Bataillen immer wieder: Wagenknecht und ihr Ehemann Oskar Lafontaine.
Selten aber sind die Dinge so eskaliert. Wagenknecht – die seit je in NRW kandidiert – mochten diesmal nur 61 Prozent der Delegierten an die Spitze der Landesliste platzieren. Und kaum war sie nominiert, strengten Mitglieder ein Parteiausschlussverfahren gegen sie an. Fast gleichzeitig hat ihr Ehemann Oskar Lafontaine – der einst der SPD den Parteivorsitz aus Wut über Gerhard Schröder vor die Füße warf – die Saarländer dazu aufgerufen, seine neue Partei dieses Mal nicht zu wählen. Auch hier geht es um persönlichen Streit. Fraktionschef Lafontaine kämpft mit dem Landesvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Thomas Lutze – früher sein Mitarbeiter – um die Macht. Und verdächtigt ihn des Stimmenkaufs. Nach einer Anzeige aus Parteikreisen gegen Lutze ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Auch für Lafontaine ist der Parteiausschluss beantragt. Und man kann sein Verhalten für so parteischädigend halten wie Wagenknechts. Man kann auch – wie jüngst der Co-Fraktionschef im Bundestag und Co-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, Dietmar Bartsch – sagen, einen der Gründungsväter der Linken auszuschließen sei daneben und gehe einfach nicht. Oder man kann – wie die Co-Parteichefin und Co-Spitzenkandidatin Janine Wissler – im Frühstücksfernsehen fordern, man müsse jetzt „die Konflikte beiseite schieben“.
Schöne Schlagzeilen
Natürlich will die Parteispitze die Affären nicht größer machen, als sie ohnehin sind. „Wir gefährden“, hat Bartsch gewarnt, „wirklich mehr als ein halbes oder ein Prozent.“Und natürlich will man für den Programmparteitag am Wochenende schöne Schlagzeilen. Und danach erst recht.
Aber die Wirklichkeit ist eben hässlich. In Sachsen-Anhalt hat die Linke gerade gut ein Drittel der Stimmen verloren. Dabei galt Ostdeutschland immer als die Lebensversicherung der Partei. Und am Bundestagswahltag bestimmen zusätzlich Mecklenburg-Vorpommern und Berlin ihre neuen Länderparlamente; geplant ist das auch für Thüringen, wo seit 2014 Bodo Ramelow regiert – der einzige linke Ministerpräsident.
Der „Süddeutschen“hat Wagenknecht auf die Frage, ob der ewige Streit der Linken nicht schade, übrigens geantwortet, es sei ja eher „die Frage, ob die Linke ohne meine Kandidatur besser dastünde“. Das war arrogant. Ganz falsch aber nicht.