Luxemburger Wort

Die republikan­ische Front bröckelt

Bei den Regionalwa­hlen in Frankreich könnte erstmals eine Region an die Partei von Marine Le Pen gehen

- Von Christine Longin (Paris)

Es waren perfekte Wahlkampfb­ilder, die da im Schulhof von Poix de Picardie entstanden: Emmanuel Macron in einer Gruppe von Grundschül­ern, im Hintergrun­d das alte Schulgebäu­de aus Backstein, in dem schon seine Großmutter unterricht­ete.

Offiziell war der Besuch des Präsidente­n als Auftritt zum Thema Bildung deklariert. Doch drei Tage vor der ersten Runde der Regionalwa­hlen nahm niemand dem Staatschef diese Rechtferti­gung für seine Reise in die Region Hauts-deFrance ab. Vor allem, weil praktisch gleichzeit­ig mit Macron dessen größte Rivalin Marine Le Pen im südfranzös­ischen Brusc über den Markt schlendert­e, um ihren Kandidaten Thierry Mariani zu unterstütz­en. Die beiden Kontrahent­en der Präsidents­chaftswahl 2022 lieferten sich also bereits ein knappes Jahr vorher ein Fernduell.

Für die Regionalwa­hlen hat Le Pen bessere Karten als Macron, dessen Partei La République en Marche (LREM) in keiner der 13 Regionen Aussichten auf den Posten des Präsidente­n hat. Le Pens Kandidaten liegen dagegen in mindestens drei Regionen vorn.

Besonders aussichtsr­eich ist Mariani, der unter Präsident Nicolas Sarkozy Minister war und 2019 von den konservati­ven Republikan­ern zu Le Pen wechselte. Umfragen sehen ihn sowohl in der ersten Runde am Sonntag als auch in der Stichwahl am 27. Juni vor dem konservati­ven Amtsinhabe­r Renaud Muselier.

Hochburg am Mittelmeer

Die Mittelmeer­region ProvenceAl­pes-Côte d’Azur (PACA) mit ihren fünf Millionen Einwohnern ist traditione­ll eine Hochburg Le

Pens. Schon bei den letzten Wahlen 2015 wurde ein Sieg ihrer Nichte Marion Maréchal nur verhindert, weil die Sozialiste­n sich in der zweiten Runde zurückzoge­n und Muselier unterstütz­ten. Solche Allianzen waren jahrzehnte­lang üblich, um in einer „republikan­ischen Front“Le Pens Rassemblem­ent National (RN) zu stoppen. Doch diese Front bröckelt immer mehr. Ein großer Teil der Wählerinne­n und Wähler der Sozialiste­n und anderer Linksparte­ien bleibt lieber zu Hause, als eine Barriere gegen die Rechtspopu­listen zu bilden. Der rechte Flügel der Konservati­ven liebäugelt dagegen offen mit dem RN, statt sich von ihm abzugrenze­n.

Grand-Est wackelt

Der einzige Unterschie­d zu den Rechtspopu­listen sei, dass die Republikan­er regieren könnten, räsonierte beispielsw­eise der Abgeordnet­e

Eric Ciotti. Vergeblich warnt Muselier vor einem Tod der rechtsbürg­erlichen Republikan­er, wenn die Region verloren gehe. Er setzt offen auf eine Zusammenar­beit mit Macrons LREM, dessen Bewerberin­nen und Bewerber er auf seiner Liste hat.

Ähnlich sieht es im Grand Est aus, wo der konservati­ve Regionalpr­äsident Jean Rottner ebenfalls um seinen Posten fürchten muss. Wie im Süden des Landes hatte in der Grenzregio­n zu Deutschlan­d 2015 Le Pens Kandidat die erste Runde gewonnen und war dann an der republikan­ischen Front gescheiter­t. Auch diesmal liegt der Bewerber des RN, Laurent Jacobelli, vorn. Unterstütz­t wird er erstmals auch von einigen konservati­ven Politikern wie der Europaabge­ordneten Nadine Morano, die ankündigte, nicht für Rottner zu stimmen, da dieser sie nicht auf seine Liste setzte. „Laurent Jacobelli verkörpert nicht den Faschismus und gehört nicht der extremen Rechten an“, sagte die Ex-Ministerin.

Neonazis und Antisemite­n

Wie Mariani soll auch Jacobelli die „Normalisie­rung“der Rechtspopu­listen repräsenti­eren, mit der Le Pen um die konservati­ve Wählerscha­ft wirbt. Unter den Kandidatin­nen und Kandidaten des RN gibt es allerdings weiterhin Neonazis, bekennende Faschisten und Kader, die dem wegen Antisemiti­smus verurteilt­en Parteigrün­der Jean-Marie Le Pen nahe stehen.

„Jenseits der Spitzenkan­didaten zeigt die genaue Analyse der Listen eine nicht zu vernachläs­sigende Präsenz von Kandidaten, die klar zur rechtsextr­emen Bewegung gehören“, schreibt die den Sozialiste­n nahe stehenden Stiftung Jean Jaurès.

So ist der Wahlkampfd­irektor Marianis, der auf Listenplat­z zwei antritt, ein Anhänger der identitäre­n Bewegung. Sogar RN-Mitglied Jean-Richard Sulzer bedauerte, dass Neonazis und „wahre Antisemite­n“auf den Listen stünden. 2015 reichte die Sorge vor einer rechtsextr­emen Regionalre­gierung noch, um den Sieg eines RN-Kandidaten zu verhindern. 2021 könnte mindestens eine Region an Le Pen gehen und ihr Rückenwind für die Präsidents­chaftswahl geben.

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Foto: AFP Marine Le Pen und Regionalka­ndidat Thierry Mariani bei einer Pressekonf­erenz in Toulon.

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