Die republikanische Front bröckelt
Bei den Regionalwahlen in Frankreich könnte erstmals eine Region an die Partei von Marine Le Pen gehen
Es waren perfekte Wahlkampfbilder, die da im Schulhof von Poix de Picardie entstanden: Emmanuel Macron in einer Gruppe von Grundschülern, im Hintergrund das alte Schulgebäude aus Backstein, in dem schon seine Großmutter unterrichtete.
Offiziell war der Besuch des Präsidenten als Auftritt zum Thema Bildung deklariert. Doch drei Tage vor der ersten Runde der Regionalwahlen nahm niemand dem Staatschef diese Rechtfertigung für seine Reise in die Region Hauts-deFrance ab. Vor allem, weil praktisch gleichzeitig mit Macron dessen größte Rivalin Marine Le Pen im südfranzösischen Brusc über den Markt schlenderte, um ihren Kandidaten Thierry Mariani zu unterstützen. Die beiden Kontrahenten der Präsidentschaftswahl 2022 lieferten sich also bereits ein knappes Jahr vorher ein Fernduell.
Für die Regionalwahlen hat Le Pen bessere Karten als Macron, dessen Partei La République en Marche (LREM) in keiner der 13 Regionen Aussichten auf den Posten des Präsidenten hat. Le Pens Kandidaten liegen dagegen in mindestens drei Regionen vorn.
Besonders aussichtsreich ist Mariani, der unter Präsident Nicolas Sarkozy Minister war und 2019 von den konservativen Republikanern zu Le Pen wechselte. Umfragen sehen ihn sowohl in der ersten Runde am Sonntag als auch in der Stichwahl am 27. Juni vor dem konservativen Amtsinhaber Renaud Muselier.
Hochburg am Mittelmeer
Die Mittelmeerregion ProvenceAlpes-Côte d’Azur (PACA) mit ihren fünf Millionen Einwohnern ist traditionell eine Hochburg Le
Pens. Schon bei den letzten Wahlen 2015 wurde ein Sieg ihrer Nichte Marion Maréchal nur verhindert, weil die Sozialisten sich in der zweiten Runde zurückzogen und Muselier unterstützten. Solche Allianzen waren jahrzehntelang üblich, um in einer „republikanischen Front“Le Pens Rassemblement National (RN) zu stoppen. Doch diese Front bröckelt immer mehr. Ein großer Teil der Wählerinnen und Wähler der Sozialisten und anderer Linksparteien bleibt lieber zu Hause, als eine Barriere gegen die Rechtspopulisten zu bilden. Der rechte Flügel der Konservativen liebäugelt dagegen offen mit dem RN, statt sich von ihm abzugrenzen.
Grand-Est wackelt
Der einzige Unterschied zu den Rechtspopulisten sei, dass die Republikaner regieren könnten, räsonierte beispielsweise der Abgeordnete
Eric Ciotti. Vergeblich warnt Muselier vor einem Tod der rechtsbürgerlichen Republikaner, wenn die Region verloren gehe. Er setzt offen auf eine Zusammenarbeit mit Macrons LREM, dessen Bewerberinnen und Bewerber er auf seiner Liste hat.
Ähnlich sieht es im Grand Est aus, wo der konservative Regionalpräsident Jean Rottner ebenfalls um seinen Posten fürchten muss. Wie im Süden des Landes hatte in der Grenzregion zu Deutschland 2015 Le Pens Kandidat die erste Runde gewonnen und war dann an der republikanischen Front gescheitert. Auch diesmal liegt der Bewerber des RN, Laurent Jacobelli, vorn. Unterstützt wird er erstmals auch von einigen konservativen Politikern wie der Europaabgeordneten Nadine Morano, die ankündigte, nicht für Rottner zu stimmen, da dieser sie nicht auf seine Liste setzte. „Laurent Jacobelli verkörpert nicht den Faschismus und gehört nicht der extremen Rechten an“, sagte die Ex-Ministerin.
Neonazis und Antisemiten
Wie Mariani soll auch Jacobelli die „Normalisierung“der Rechtspopulisten repräsentieren, mit der Le Pen um die konservative Wählerschaft wirbt. Unter den Kandidatinnen und Kandidaten des RN gibt es allerdings weiterhin Neonazis, bekennende Faschisten und Kader, die dem wegen Antisemitismus verurteilten Parteigründer Jean-Marie Le Pen nahe stehen.
„Jenseits der Spitzenkandidaten zeigt die genaue Analyse der Listen eine nicht zu vernachlässigende Präsenz von Kandidaten, die klar zur rechtsextremen Bewegung gehören“, schreibt die den Sozialisten nahe stehenden Stiftung Jean Jaurès.
So ist der Wahlkampfdirektor Marianis, der auf Listenplatz zwei antritt, ein Anhänger der identitären Bewegung. Sogar RN-Mitglied Jean-Richard Sulzer bedauerte, dass Neonazis und „wahre Antisemiten“auf den Listen stünden. 2015 reichte die Sorge vor einer rechtsextremen Regionalregierung noch, um den Sieg eines RN-Kandidaten zu verhindern. 2021 könnte mindestens eine Region an Le Pen gehen und ihr Rückenwind für die Präsidentschaftswahl geben.