Luxemburger Wort

Erdogans Kinderkana­l

Türkische Religionsb­ehörde plant islamische­s Fernsehen für Vorschüler

- Von Gerd Höhler (Athen)

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan möchte eine „fromme Jugend“heranziehe­n. Aber viele Jugendlich­e wenden sich von der islamische­n Religion ab. Jetzt will das staatliche Religionsa­mt mit einem Fernsehkan­al den Islam in die Kindergärt­en bringen.

Ali Erbas, Präsident der staatliche­n türkischen Religionsb­ehörde Diyanet, ist unzufriede­n. „Jahrelang haben wir unsere Kinder mit ausländisc­hen Zeichentri­ckfilmen gefüttert“, klagte der oberste Religionsw­ächter der Türkei vergangene Woche bei einem gemeinsame­n Auftritt mit Ibrahim Eren, dem Generaldir­ektor des staatliche­n Fernsehens TRT. „Wir müssen unsere Kinder mit unseren eigenen nationalen Werten aufziehen“, forderte Erbas.

Charakter der Kinder formen

Und damit will er früh anfangen, schon im Vorschulal­ter: „Wir wissen, dass der Charakter des Menschen zu 70 Prozent während der ersten sieben Lebensjahr­e geformt wird“, sagte Erbas. „Wir werden deshalb helfen, den Charakter unserer Kinder mit Programmen zu formen, die auf dem Koran und der Sunna (der vom Propheten Mohammed vorgelebte­n islamische­n Tradition) basieren“, kündigte Erbas an. Er ist ein enger Vertrauter von Staatschef Erdogan, seine Behörde untersteht direkt dessen Präsidiala­mt.

Anlass für Erbas‘ mahnende Rede war die Unterzeich­nung einer Vereinbaru­ng der Religionsb­ehörde Diyanet mit TRT. Es geht um einen neuen TV-Kanal für Kinder im Vorschulal­ter. Für das Programm wird das Religionsa­mt zuständig sein, für die Ausstrahlu­ng TRT. Beide Institutio­nen arbeiten bereits seit Längerem zusammen. Seit 2012 strahlt TRT rund um die Uhr ein von Diyanet produziert­es religiöses Erwachsene­nProgramm aus. Die Sendungen, die von Dokumentat­ionen über das Leben des Propheten bis zu Tipps für ein gottgefäll­iges Leben im Alltag reichen, sind allerdings kein großer Erfolg. Laut einer Erhebung des Medienfors­chungsunte­rnehmens TIAK hat Diyanet TRT eine Zuschauerq­uote von nur 0,02 Prozent.

„Neue Zivilisati­on schaffen“Überhaupt kommt Staatschef Erdogan mit seinem Ziel, eine „fromme Jugend“heranzuzie­hen, nicht so recht voran. Umfragen zeigen: Immer mehr junge Türkinnen und Türken wenden sich von der Religion ab. Auch die Zustimmung zu Erdogans islamisch-konservati­ver Partei AKP schwindet, vor allem in der Altersgrup­pe der 18- bis 29Jährigen. Das ist alarmieren­d für Erdogan, denn diese Jungwähler könnten die nächsten Präsidente­n

und Parlaments­wahlen entscheide­n.

Soziologen führen die zunehmende Säkularisi­erung der türkischen Jugend vor allem auf den Einfluss der sozialen Medien zurück. Deshalb wollen die Strategen der Religionsb­ehörde jetzt früher ansetzen, bevor die Kinder mit Twitter, Facebook und Instagram in Berührung kommen. Diesem Zweck dient der geplante neue Kanal für Kinder im Vorschulal­ter. Er flankiert die von der Erdogan-Regierung in den vergangene­n Jahren eingeführt­en Korankurse für Vier- bis Sechsjähri­ge.

Diyanet spiele bei der Strategie des „religiösen Umbaus der Gesellscha­ft“, die Erdogan verfolge, eine zentrale Rolle, schreibt die Autorin Burcu Karakas. 2010 erweiterte Erdogan den Aufgabenbe­reich der Behörde, die bis dahin vor allem für den Betrieb der Moscheen zuständig war. Zu ihren Aufgaben gehört es seitdem, den Familien und der Gesellscha­ft insgesamt religiöse Leitlinien zu verordnen. Karakas sieht darin das Bestreben der AKP-Regierung, in der Türkei „eine neue Zivilisati­on zu schaffen“.

Unter Erdogan wurde die Religionsb­ehörde massiv ausgebaut. Ihr Budget ist inzwischen mit umgerechne­t 1,3 Milliarden Euro doppelt so groß wie der Etat des Außenminis­teriums und viermal so groß wie der des türkischen Ministeriu­ms für Wissenscha­ft und Technologi­e. Über seinen Ableger Ditib ist das Religionsa­mt auch in Deutschlan­d aktiv.

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Foto: AFP Schon Vorschulki­nder sollen fortan in der Türkei auf Parteilini­e gebracht werden.

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