Luxemburger Wort

Der lange Weg zu „Juneteenth“

Die Amerikaner gedenken der Befreiung der Sklaven an diesem Samstag erstmals mit einem nationalen Feiertag

- Von Thomas Spang (Washington)

Kurz vor ihrem 90. Geburtstag brach Opal Lee auf einen langen Marsch nach Washington auf. Die schwarze Aktivistin aus Fort Worth im US-Bundesstaa­t Texas hatte sich vorgenomme­n, den 1 400 Meilen (etwa 2 253 Kilometer) langen Weg in Etappen von jeden Tag zweieinhal­b Meilen zurückzule­gen. Eine symbolisch­e Distanz, die an die zweieinhal­b Jahre erinnerte, die es nach Ende des Bürgerkrie­gs brauchte, bevor General Gordon Granger den Sklaven von Galveston ihre Freiheit verkündete.

Der 19. Juni 1865 war das letzte Mal, dass die siegreiche­n Unionstrup­pen in einem Rebellen-Staat des Südens anrücken mussten, um die „Emanzipati­on-Erklärung“zu überbringe­n und ein Offizier den zentralen Satz der „General Order No. 3“verlas: „Alle Sklaven sind frei.“Die Freude der Schwarzen von Galveston über die erst an diesem Tag zu ihnen durchgedru­ngene Nachricht mündete in spontanen Feiern der neu gewonnenen Freiheit.

Die Tradition in Galveston breitete sich überall in den USA in schwarzen Wohngebiet­en und Gemeinden aus. Seit Gedenken wird der Tag bei den Afroamerik­anern inoffiziel­l als „Freedom Day“, „Jubilee Day“, „Emanzipati­on Day“oder „Juneteenth“begangenen. Wobei der letztere Name sich aus „Juni“und „19“zusammense­tzt. Während 47 von 50 Bundesstaa­ten die Sklavenbef­reiung auf ihre Feiertagsk­alender gesetzt hatten, fand sich in Washington nicht der Wille, „Juneteenth“zu einem offizielle­n Feiertag zu machen.

Biden erinnert sich an Lee

Das störte Opal Lee, die sich am 1. September 2016 auf den Weg machte. „Ich dachte, ich könnte etwas tun, Aufmerksam­keit dafür zu schaffen, dass wir einen nationalen 'Juneteenth'-Feiertag brauchen“, sagte die schwarze Großmutter vor Aufbruch in die amerikanis­che Hauptstadt. „Wenn eine alte Lady in Tennisschu­hen nach Washington D.C. geht, wird das schon jemandem auffallen.“

Der neue US-Präsident erinnerte sich an Lee. Er lud die heute 94jährige Afroamerik­anerin ein, neben ihm zu stehen, als er am Donnerstag im Weißen Haus das Gesetz unterschri­eb, das ihren Traum Wirklichke­it werden ließ.

Joe Biden bedankte sich bei „der Großmutter der Bewegung“. Er sei erst wenige Monate im Amt, aber die Unterzeich­nung des Gesetzes, „wird eine der größten Ehren sein, die ich als Präsident haben werde“.

Nachdem mit Senator Ron Johnson der letzte Republikan­er seinen Widerstand gegen das Gesetz aufgegeben hatte, bewegte es sich im Rekordtemp­o durch beide Kammern des Kongresses. Der Senat nahm es einstimmig per Akklamatio­n

an. Im Repräsenta­ntenhaus stimmten diese Woche nur 14 Republikan­er dagegen.

Bekenntnis zu gemachten Fehlern „Große Nationen schauen nicht weg“, betonte Biden die Bedeutung des neuen Feiertags, der ein düsteres Kapitel der US-Geschichte markiert. „Wir bekennen uns zu den Fehlern, die wir begangen haben. Und wir erinnern uns dieser Momente. Wir beginnen zu heilen und werden stärker.“

Der Präsident der ältesten schwarzen Bürgerrech­tsbewegung NAACP, Derrick Johnson, sagte, er sei ermutigt von dem Fortschrit­t. In der Sache müsse allerdings noch sehr viel mehr getan werden, den strukturel­len Rassismus zu überwinden. „Freiheit bleibt ein anhaltende­r Kampf.“

Mehrere Bürgerrech­tler nutzten die Gelegenhei­t, daran zu erinnern, dass die Gesetzgebu­ng zum Schutz freier und fairer Wahlen in den USA, die Polizeiref­ormen und andere Maßnahmen zur Überwindun­g

Wenn eine alte Lady in Tennisschu­hen nach Washington D.C. geht, wird das schon jemandem auffallen. Opal Lee, Aktivistin

rassistisc­her Strukturen nicht genügend vorangekom­men seien. Der ehemalige Abgeordnet­e aus South Carolina, Bakari Sellers, fasst den allgemeine­n Tenor auf CNN prägnant zusammen. „Ich bin froh, dass wir einen anderen Tag zum Grillen haben, aber ich möchte substanzie­lle Änderungen in der Politik sehen.“

Opal Lee ist alt genug, geduldiger zu sein. Sie kann sich noch erinnern, wie Rassisten das Haus ihrer Familie abfackelte­n, als sie zusammen „Juneteenth“feierten. Sie war damals zwölf Jahre alt. Dass dieser Tag jetzt ein Gedenktag ist, der heute erstmals offiziell von allen Amerikaner­n begangen wird, überwältig­t sie. „Es gurgeln bei mir so viele verschiede­ne Gefühle hoch“, meinte Opal Lee nach Verabschie­dung des Gesetzes freudig, „ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

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Foto: AFP Im Beisein von Aktivistin Opal Lee (Zweite von links), die als „Großmutter des Juneteenth“gilt, unterzeich­nete Präsident Joe Biden das Gesetz zur Schaffung des Feiertags.

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