Der lange Weg zu „Juneteenth“
Die Amerikaner gedenken der Befreiung der Sklaven an diesem Samstag erstmals mit einem nationalen Feiertag
Kurz vor ihrem 90. Geburtstag brach Opal Lee auf einen langen Marsch nach Washington auf. Die schwarze Aktivistin aus Fort Worth im US-Bundesstaat Texas hatte sich vorgenommen, den 1 400 Meilen (etwa 2 253 Kilometer) langen Weg in Etappen von jeden Tag zweieinhalb Meilen zurückzulegen. Eine symbolische Distanz, die an die zweieinhalb Jahre erinnerte, die es nach Ende des Bürgerkriegs brauchte, bevor General Gordon Granger den Sklaven von Galveston ihre Freiheit verkündete.
Der 19. Juni 1865 war das letzte Mal, dass die siegreichen Unionstruppen in einem Rebellen-Staat des Südens anrücken mussten, um die „Emanzipation-Erklärung“zu überbringen und ein Offizier den zentralen Satz der „General Order No. 3“verlas: „Alle Sklaven sind frei.“Die Freude der Schwarzen von Galveston über die erst an diesem Tag zu ihnen durchgedrungene Nachricht mündete in spontanen Feiern der neu gewonnenen Freiheit.
Die Tradition in Galveston breitete sich überall in den USA in schwarzen Wohngebieten und Gemeinden aus. Seit Gedenken wird der Tag bei den Afroamerikanern inoffiziell als „Freedom Day“, „Jubilee Day“, „Emanzipation Day“oder „Juneteenth“begangenen. Wobei der letztere Name sich aus „Juni“und „19“zusammensetzt. Während 47 von 50 Bundesstaaten die Sklavenbefreiung auf ihre Feiertagskalender gesetzt hatten, fand sich in Washington nicht der Wille, „Juneteenth“zu einem offiziellen Feiertag zu machen.
Biden erinnert sich an Lee
Das störte Opal Lee, die sich am 1. September 2016 auf den Weg machte. „Ich dachte, ich könnte etwas tun, Aufmerksamkeit dafür zu schaffen, dass wir einen nationalen 'Juneteenth'-Feiertag brauchen“, sagte die schwarze Großmutter vor Aufbruch in die amerikanische Hauptstadt. „Wenn eine alte Lady in Tennisschuhen nach Washington D.C. geht, wird das schon jemandem auffallen.“
Der neue US-Präsident erinnerte sich an Lee. Er lud die heute 94jährige Afroamerikanerin ein, neben ihm zu stehen, als er am Donnerstag im Weißen Haus das Gesetz unterschrieb, das ihren Traum Wirklichkeit werden ließ.
Joe Biden bedankte sich bei „der Großmutter der Bewegung“. Er sei erst wenige Monate im Amt, aber die Unterzeichnung des Gesetzes, „wird eine der größten Ehren sein, die ich als Präsident haben werde“.
Nachdem mit Senator Ron Johnson der letzte Republikaner seinen Widerstand gegen das Gesetz aufgegeben hatte, bewegte es sich im Rekordtempo durch beide Kammern des Kongresses. Der Senat nahm es einstimmig per Akklamation
an. Im Repräsentantenhaus stimmten diese Woche nur 14 Republikaner dagegen.
Bekenntnis zu gemachten Fehlern „Große Nationen schauen nicht weg“, betonte Biden die Bedeutung des neuen Feiertags, der ein düsteres Kapitel der US-Geschichte markiert. „Wir bekennen uns zu den Fehlern, die wir begangen haben. Und wir erinnern uns dieser Momente. Wir beginnen zu heilen und werden stärker.“
Der Präsident der ältesten schwarzen Bürgerrechtsbewegung NAACP, Derrick Johnson, sagte, er sei ermutigt von dem Fortschritt. In der Sache müsse allerdings noch sehr viel mehr getan werden, den strukturellen Rassismus zu überwinden. „Freiheit bleibt ein anhaltender Kampf.“
Mehrere Bürgerrechtler nutzten die Gelegenheit, daran zu erinnern, dass die Gesetzgebung zum Schutz freier und fairer Wahlen in den USA, die Polizeireformen und andere Maßnahmen zur Überwindung
Wenn eine alte Lady in Tennisschuhen nach Washington D.C. geht, wird das schon jemandem auffallen. Opal Lee, Aktivistin
rassistischer Strukturen nicht genügend vorangekommen seien. Der ehemalige Abgeordnete aus South Carolina, Bakari Sellers, fasst den allgemeinen Tenor auf CNN prägnant zusammen. „Ich bin froh, dass wir einen anderen Tag zum Grillen haben, aber ich möchte substanzielle Änderungen in der Politik sehen.“
Opal Lee ist alt genug, geduldiger zu sein. Sie kann sich noch erinnern, wie Rassisten das Haus ihrer Familie abfackelten, als sie zusammen „Juneteenth“feierten. Sie war damals zwölf Jahre alt. Dass dieser Tag jetzt ein Gedenktag ist, der heute erstmals offiziell von allen Amerikanern begangen wird, überwältigt sie. „Es gurgeln bei mir so viele verschiedene Gefühle hoch“, meinte Opal Lee nach Verabschiedung des Gesetzes freudig, „ich weiß nicht, was ich sagen soll.“