Tiefenentspannung
Die Kapitalmärkte scheinen von Tiefenentspannung geprägt. Das zeigen technische Indikatoren und die Reaktionen auf die Konjunkturdaten der abgelaufenen Woche, aber auch spezifische Indikatoren der Europäischen Zentralbank und der Kansas Fed für systemischen Stress. Bei ständig steigenden Impfzahlen erholen sich die Volkswirtschaften von der Pandemie. Zeichen von Verspannungen – etwa an den Arbeitsmärkten, und hier vor allem in den USA – werden dabei weitgehend ignoriert. Auch die Inflationsdaten zeigen nach oben: In Deutschland stiegen die Verbraucherpreise im Vergleich zum Vormonat um 2,5 Prozent – dies ist der stärkste monatliche Anstieg seit 2011 – und die Kapazitätsauslastungen nehmen zu. Gleichzeitig bleiben die Inflationserwartungen aber fest verankert, was sogar leichte Renditerückgänge zuließ. Wenn eine dauerhaft höhere Inflation erwartet wird, dann offensichtlich weniger bei den Verbraucherpreisen, sondern auf Seiten der Vermögenspreise.
Der S&P/Case-ShillerIndex für Hauspreise in den USA ist seit geraumer Zeit wieder im Aufwind, und der der S&P-Index für globale Luxusgüter legte ebenso zu wie Preise für Wein, Oldtimer, Diamanten und Gold. Lediglich Bitcoin tanzt als liquiditätsgetriebene Anlageform aus der Reihe. Aber dieses Token hat ohnehin ein ganz besonderes Eigenleben, dessen sich Anleger bewusst sein sollten. Tiefenentspannung auch bei den Zentralbanken, die die Inflationsrisiken – noch – als vorübergehend einschätzen. Mitte der abgelaufenen Woche tagte die US-Notenbank, zum Wochenschluss kam die Bank von Japan hinzu. In beiden Fällen gab es wenig an neuen Erkenntnissen. Grosso modo stehen die Zeichen weiter auf eine sehr üppige Liquiditätsversorgung. Warten wir mal ab, ob die Inflation wirklich nur temporär steigt. Enttäuschungspotenzial ist vorprogrammiert.
Der Autor ist Global Head of Capital Markets & Thematic Research Allianz Global Investors.