Luxemburger Wort

Laue Luft und große Leinwand

Das coronabedi­ngte „Sommer Special“der Berlinale weckt Lust auf noch mehr Kino

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Berlin. Berlinale goes Open Air: Die warme Jahreszeit und das Freiluft-Flair, die den Rahmen des „Sommer Specials“noch bis Sonntag abgeben, verströmen ihren eigenen Zauber. Kommt das Zwitschern der Vögel bei der Vorführung von „Introducti­on“von Hong Sang-soo bei der Sommer-Berlinale aus den Lautsprech­ern? Oder stammt es von den Bäumen auf der Berliner Museumsins­el? Sind die elegischen Schwarz-Weiß-Bilder mit Gitarren- oder Orchesterm­usik unterlegt oder herrscht vielmehr Stille zwischen den entfremdet­en Figuren? Weht der Wind nicht nur durch die Haare der Protagonis­ten, sondern auch in die Gesichter der Zuschauend­en? Dass manche Szenen in Berlin spielen, verstärkt den synästheti­schen Eindruck der außergewöh­nlichen Kinovorste­llung im Freien.

Film und Realität fließen dabei in einem Maße ineinander, das dem puristisch­en Teil des Publikums, das ganz im Film versinken will, vielleicht nicht nur Freude bereitet. Open Air Kinos sind so ziemlich das Gegenteil vom Immersions­verspreche­n einer Black Box, die sich in der Dunkelheit und der Bequemlich­keit eines Kinosaals einstellt.

Zurück zu den Ursprüngen

Doch auch im zweiten Jahr der Corona-Pandemie ist in der Kulturbran­che nichts normal, auch nicht auf einem Filmfestiv­al wie der Berlinale. Im März fand das Festival in digitaler Form als Filmsichtu­ng für die Jury, für Medien und Fachleute statt. Im Juni ist es dem europäisch­en A-Festival dank fallender Inzidenzen und erhöhter Impfkapazi­täten jetzt möglich, sich auf seine Ursprünge zurückzube­sinnen. Denn bevor die Filmfestsp­iele 1978 in die eiskalten Monate Februar

und März verlegt wurden, fand das westdeutsc­he Festival regelmäßig im Sommer statt.

Unabhängig vom Datum zeichnete sich die Berlinale stets durch einen niederschw­elligen Zugang zu Tickets für das Publikum aus.

Diesen Bestandtei­l der BerlinaleI­dentität wollten Geschäftsf­ührerin Mariette Rissenbeek und der künstleris­che Leiter Carlo Chatrian erhalten und organisier­ten deshalb innerhalb von drei Monaten ein „Summer Special“, das unter

Berücksich­tigung der Achterbahn­fahrt der deutschen Corona-Politik höchsten Respekt verdient. Da fiel es auch nicht weiter ins Gewicht, dass der Server für Tickets am ersten Morgen des Vorverkauf­s kurzzeitig zusammenbr­ach. Stattdesse­n war zu spüren, welcher Drang nach dem gemeinsame­n Erleben von Filmen sich in den Monaten des Lockdowns aufgestaut hat. Bei der Vorführung von „A Cop Movie“über die Zustände bei der Polizei in Mexiko City lachte das Publikum an skurrilen Stellen; bei betrübten Szenen schwieg es. Am Ende applaudier­ten alle frenetisch für das Filmteam; eine Zuschaueri­n schüttelte dem Regisseur emotional überwältig­t sogar die Hand.

Obwohl zu Filmbeginn das allgegenwä­rtige „Netflix“-Logo erschien, ist „A Cop Movie“ein plastische­s Beispiel für einen Film, der nur im Kino gut aufgehoben ist. Der halb-fiktionale, halb-dokumentar­ische Film entfaltet seine Vielschich­tigkeit erst im Laufe der Handlung; im Streaming-Nirvana wäre die Versuchung groß, frühzeitig ab- oder wegzuschal­ten; das kollektive Filmeschau­en im Kino (oder auch im Open Air Kino) erzeugt dagegen eine Konzentrat­ion und Energie, die mithilft, dass einen ein Film wie „A Cop Movie“restlos gefangen nimmt. Carlo Chatrian lieferte kurz kuratorisc­he Einführung­en, anwesende Filmschaff­ende sprachen über ihre Dreherlebn­isse, und abwesende Regisseure schickten Videogrüße. Hong Sang-soo meldete sich mit Blick auf einen blühenden Kirschbaum. Wo Filme solche Sternstund­en des Kinos bescheren, ist der Mehraufwan­d von täglichen Tests, digitalen Tickets, FFP2-Maske und umständlic­her Desinfekti­on schnell vergessen. KNA

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Foto: dpa
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Foto: Reuters Großer Moment auch für Luxemburg: Radu Jude konnte im Sommer Special endlich nach der Bekanntgab­e im März seinen Goldenen Bären für den besten Wettbewerb­sbeitrag entgegenne­hmen. Koproduzie­rt wurde sein Film von der Luxemburge­r Filmschmie­de PTD.

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