Luxemburger Wort

„Hungriger als ein Krokodil“

Der deutsche Fußball-Nationalsp­ieler Joshua Kimmich zeichnet sich durch seinen unglaublic­hen Ehrgeiz aus

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Bei der Videoanaly­se geht Joshua Kimmich genauso strategisc­h vor wie auf dem Platz. Immer wieder hält er auf dem riesigen Monitor die Szenen an, um sich einen Überblick über die Positionie­rung der einzelnen Nationalsp­ieler zu verschaffe­n. Und wie die gesamte deutsche Fußballrep­ublik fragt sich auch der Bayern-Profi: Kimmich auf der rechten Außenbahn – passt das?

Dass ausgerechn­et der Wortführer vor dem EM-Schlüssels­piel gegen Titelverte­idiger Portugal am Samstag ab 18 Uhr beim TaktikStud­ium im Teamquarti­er „erwischt“wurde, ist kein Zufall. Kaum eine andere Personalie in der deutschen Nationalma­nnschaft wird aktuell so heiß diskutiert wie die nach dem besten Platz für den 26-Jährigen – und keiner ist derart besessen ständig auf der Suche nach Verbesseru­ng.

Den Mund weit aufgerisse­n, die Augen zu Schlitzen verengt, die Hände zu Fäusten geballt – das ist Kimmich. Seine emotionale, stets von einem Urschrei begleitete Jubelgeste ist derart berühmt, dass Weltstar Neymar sie nach dem Viertelfin­altriumph in der Champions League mit Paris über die Bayern imitierte – und Gegenspiel­er Kimmich ins Gesicht brüllte. Auch eine Art der Wertschätz­ung.

Kimmich, sagt kein Geringerer als der einstige Torwart-Titan Oliver Kahn, sei „noch ehrgeizige­r“als er selbst es war. In den Sozialen Medien versieht Kimmich seine Beiträge mit Hashtags wie „Komm jetzt“, „Brennen wie eine Fackel“oder „Hungriger als ein Krokodil“. Und er schließt sie stets mit dem Motto: „Glaube an dich selbst“.

Abschalten nicht möglich

Kimmich schickt Mitspieler­n Nachrichte­n aufs Handy, um sie anzutreibe­n, er schimpft sie aus, er „nervt“sie wie Leroy Sané, damit sie zu seinen Bayern wechseln. „Ich habe noch nie einen Menschen kennengele­rnt der so ehrgeizig ist wie er“, sagt Niklas Süle über seinen Kumpel Kimmich. Manchmal, gibt Kimmich zu, findet er sich selbst „drüber“.

Aber Abschalten kennt er nicht. „Ich finde die Vorstellun­g schon schön, abends mit meiner Freundin ein Glas Wein zu trinken“, sagte er dem „SZ-Magazin“, das ihn über zwei Jahre begleitete, „es passiert nur eigentlich nie“.

Der Vater zweier kleiner Kinder nennt sich „ein bisschen spießig. Meine Schwester sagt manchmal, dass ich wie ein alter Mann lebe“. Doch sein Wille hat ihn gepaart mit Talent und dem feinen strategisc­hen Gespür dahin gebracht, wo er ist: Triplé-Gewinner, sechsmalig­er deutscher Meister, Confed-Cup-Sieger.

Der künftige deutsche Nationaltr­ainer Hansi Flick sieht in ihm einen kommenden Weltfußbal­ler. Doch der ganz große Titel mit der deutschen Nationalma­nnschaft fehlt.

Für das hohe Ziel EM-Pokal stellt Kimmich seinen Ehrgeiz in den Dienst der Mannschaft. „So lange wir die Spiele gewinnen, ist es mir eigentlich komplett egal, ob ich rechts oder in der Mitte spiele“, sagte er vor dem 0:1 gegen Weltmeiste­r Frankreich. Und daran hat sich nichts geändert.

Joachim Löw schätzt ihn für diese Einstellun­g – und für seine Flexibilit­ät. „Der Jo ist vergleichb­ar mit Philipp Lahm, völlig problemlos auf unterschie­dlichen Positionen, gleiche Leistung, gleiche Qualität“, sagt der Bundestrai­ner.

Lahm hatte er bei der WM 2014 nach dem Achtelfina­le aus dem Mittelfeld nach rechts hinten gezogen – einer der wichtigste­n Schlüssel für den Triumph von Rio. Doch ausgerechn­et der Weltmeiste­r-Kapitän zweifelt an Löws Aussage zu Kimmichs Vielseitig­keit. „Er ist sicher mehr Spezialist als ich es war“, sagt er und betont: „Seine beste Position ist die vor der Abwehr.“Die Diskussion­en um die richtige Position werden weitergehe­n. sid

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Foto: AFP Joshua Kimmich hat seine Emotionen nicht immer im Griff.

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