Der dritte Mann
Xavier Bertrand ist mit seinem klaren Sieg in der Region Hauts-de-France neuer Hoffnungsträger der Konservativen
Es war die Gewissheit des Siegers, die Xavier Bertrand nur wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale in der Kleinstadt SaintQuentin vor die Presse trieb. Der Präsident der nordfranzösischen Region Hauts-de-France hatte am Sonntag nicht nur die Regionalwahlen haushoch gewonnen, sondern auch einen Schub für seine Präsidentschaftskandidatur erhalten. In einem Ton, der bereits an eine Wahlkampfrede erinnerte, wandte er sich deshalb an sein Publikum: „Die Geschichte wird sich daran erinnern, dass wir zweimal hier den Front National gestoppt und stark zurückgedrängt haben“, sprach der 56-Jährige in die Kameras. Die rechtspopulistische Partei, die inzwischen Rassemblement National (RN) heißt, ist seit Jahren Bertrands Hauptgegner.
2015 war er im armen Norden des Landes zum ersten Mal angetreten, um Regionalpräsident zu werden. Damals hieß seine Rivalin Marine Le Pen, die in ihrer Hochburg leichtes Spiel hatte. Auf über 40 Prozent kam sie, während Bertrand bei knapp 25 Prozent landete. Nur ein Verzicht der Sozialisten zu seinen Gunsten verhalf dem Konservativen damals ins Amt. Sechs Jahre später haben sich die Kräfteverhältnisse umgedreht: Mit 53 Prozent war Bertrand mehr als doppelt so stark wie Le Pens treuer Gefolgsmann Sébastien Chenu mit knapp 26 Prozent.
Ständig im Van unterwegs
Zu verdanken hat Bertrand seinen Erfolg vor allem seiner eigenen Strategie. Nur einen Tag pro Woche sitzt er in seinem Büro in Lille. Ansonsten fährt er jeden Monat Tausende Kilometer in seinem schwarzen Van durch die Region, um mit den Leuten zu reden. Er wolle nah an den Menschen sein, auch wenn er beschimpft werde, sagt er immer wieder. In einer Umfrage im Frühjahr wurden Bertrand und Le Pen als die Politiker gesehen, die die Sorgen der Französinnen und Franzosen am besten verstehen.
Mit Le Pen will der Konservative allerdings nicht in einen Topf geworfen werden. Für Bertrand ist seine Rivalin nur eine, die versucht, von den Problemen zu profitieren, statt sie zu lösen. „Marine Le Pen nährt sich vom Leiden der Menschen: Je größer die Misere ist, desto mehr Wahlchancen hat sie“, sagte er 2015 der Zeitung „Le Monde“. Sich selbst sieht er dagegen als Macher, der die Misere bekämpfen will. Unermüdlich setzt er sich dafür ein, neue Unternehmen in seiner strukturschwachen Region anzusiedeln, die früher vom Kohlebergbau lebte. So konnte er die Arbeitslosenquote von 12,4 Prozent 2016 auf gut zehn Prozent drücken. Eine Leistung, die er Le Pens Rassemblement National nicht zutraut. „Wenn es einen Bereich gibt, wo sie besonders inkompetent sind, dann ist das die Wirtschaft“, sagte er in einer Fernsehdebatte.
Kritik an Macrons Abgehobenheit Für 2022 sieht sich Bertrand als Alternative zu Präsident Emmanuel Macron und Le Pen, die laut Umfragen in der Stichwahl erneut aufeinander treffen dürften. Während er Le Pen für ihre Unfähigkeit kritisiert, ist es bei Macron die Abgehobenheit von seinen Landsleuten. Gerne verweist der Jurist, der seine Karriere als Versicherungsangestellter begann, darauf, dass er im Gegensatz zum Staatschef kein Absolvent der Eliteschulen des Landes ist. „Ich vergesse nicht, woher ich komme. Ein Versicherungsagent in Flavy-le-Martel
ist nicht dasselbe wie ein Geschäftsbanker in Paris“, sagte er dem Magazin „Le Point“.
Macron habe nur die Spaltung der Gesellschaft vertieft, kritisierte er den Staatschef. Die „Unsichtbaren“nennt er all jene, die von Macron vergessen wurden und deren Präsident er nun werden will. Im Regionalwahlkampf versuchte er immer wieder, sich von der Politik Macrons abzugrenzen. Beispielsweise beim Thema Windräder, die die Energiewende in Frankreich voranbringen sollen. Doch Bertrand, ein erklärter Atomkraftbefürworter, gehört zu den größten Gegnern der Rotoren und will sogar Vereine finanzieren, die die „Éoliennes“bekämpfen.
Auch das Thema Sicherheit, von Macron lange vernachlässigt, entdeckte der bullige Politiker in den vergangenen Monaten für sich. Mit einer ganzen Liste von Vorschlägen will er das Problem krimineller Minderjähriger ebenso in den Griff bekommen wie das der Islamisten. Er plant die Schaffung von 20 000 neuen Gefängnisplätzen, eine Absenkung der Strafmündigkeit auf 15 Jahre und eine Haftstrafe von 50 Jahren ohne vorzeitige Entlassungsmöglichkeit für Terroristen. Die Immigration will er künftig mit Quoten regeln und zu Haftstrafen verurteilte Ausländer konsequent abschieben. Stramm rechte Positionen also für einen Mann, der in sozialen Fragen eher zum linken Spektrum der Konservativen gehört.
Zwischen stramm rechts und links In Umfragen für die Präsidentschaftswahl liegt Bertrand zwar mit 18 Prozent deutlich hinter dem Präsidenten und der RN-Chefin, die beide auf rund 25 Prozent kommen. Doch Macrons Mitarbeiter fürchten bereits den „dritten Mann“, der durch die Regionalwahlen Rückenwind bekommen dürfte. Gute Umfragewerte könnten die konservativen Les Républicains, aus denen Bertrand 2017 nach einem Rechtsruck der neuen Parteiführung ausgetreten war, dazu bringen, ihn für die Präsidentschaftswahl aufzustellen. Nach ihrer Pleite 2017 will die Partei auf einen Kandidaten setzen, der sie zumindest in die Stichwahl bringen kann – egal, ob mit oder ohne Parteibuch.
Für Macron und Le Pen waren die Regionalwahlen ein Rückschlag: Le Pen schaffte ihr selbst gesetztes Ziel nicht, zumindest eine Region zu gewinnen. Macrons Partei La République en Marche (LREM) schnitt überall schlecht ab. In Hauts-de-France schaffte sie es nicht einmal in die zweite Runde, so dass ihr Spitzenkandidat Laurent Pietraszewki zur Wahl Bertrands aufrief. Der Konservative durchkreuzt nun die Strategie des Präsidenten, sich als Bollwerk gegen den Rassemblement National darzustellen. Bertrand zeigte, dass er die Rechtspopulisten in einer ihrer stärksten Regionen besiegen kann. Sogar Macron dürfte in seiner Wochenendresidenz in Le Touquet für ihn gestimmt haben – wenn auch Zähne knirschend.
Marine Le Pen nährt sich vom Leiden der Menschen: Je größer die Misere ist, desto mehr Wahlchancen hat sie. Xavier Bertrand