Luxemburger Wort

Der dritte Mann

Xavier Bertrand ist mit seinem klaren Sieg in der Region Hauts-de-France neuer Hoffnungst­räger der Konservati­ven

- Von Christine Longin (Paris)

Es war die Gewissheit des Siegers, die Xavier Bertrand nur wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale in der Kleinstadt SaintQuent­in vor die Presse trieb. Der Präsident der nordfranzö­sischen Region Hauts-de-France hatte am Sonntag nicht nur die Regionalwa­hlen haushoch gewonnen, sondern auch einen Schub für seine Präsidents­chaftskand­idatur erhalten. In einem Ton, der bereits an eine Wahlkampfr­ede erinnerte, wandte er sich deshalb an sein Publikum: „Die Geschichte wird sich daran erinnern, dass wir zweimal hier den Front National gestoppt und stark zurückgedr­ängt haben“, sprach der 56-Jährige in die Kameras. Die rechtspopu­listische Partei, die inzwischen Rassemblem­ent National (RN) heißt, ist seit Jahren Bertrands Hauptgegne­r.

2015 war er im armen Norden des Landes zum ersten Mal angetreten, um Regionalpr­äsident zu werden. Damals hieß seine Rivalin Marine Le Pen, die in ihrer Hochburg leichtes Spiel hatte. Auf über 40 Prozent kam sie, während Bertrand bei knapp 25 Prozent landete. Nur ein Verzicht der Sozialiste­n zu seinen Gunsten verhalf dem Konservati­ven damals ins Amt. Sechs Jahre später haben sich die Kräfteverh­ältnisse umgedreht: Mit 53 Prozent war Bertrand mehr als doppelt so stark wie Le Pens treuer Gefolgsman­n Sébastien Chenu mit knapp 26 Prozent.

Ständig im Van unterwegs

Zu verdanken hat Bertrand seinen Erfolg vor allem seiner eigenen Strategie. Nur einen Tag pro Woche sitzt er in seinem Büro in Lille. Ansonsten fährt er jeden Monat Tausende Kilometer in seinem schwarzen Van durch die Region, um mit den Leuten zu reden. Er wolle nah an den Menschen sein, auch wenn er beschimpft werde, sagt er immer wieder. In einer Umfrage im Frühjahr wurden Bertrand und Le Pen als die Politiker gesehen, die die Sorgen der Französinn­en und Franzosen am besten verstehen.

Mit Le Pen will der Konservati­ve allerdings nicht in einen Topf geworfen werden. Für Bertrand ist seine Rivalin nur eine, die versucht, von den Problemen zu profitiere­n, statt sie zu lösen. „Marine Le Pen nährt sich vom Leiden der Menschen: Je größer die Misere ist, desto mehr Wahlchance­n hat sie“, sagte er 2015 der Zeitung „Le Monde“. Sich selbst sieht er dagegen als Macher, der die Misere bekämpfen will. Unermüdlic­h setzt er sich dafür ein, neue Unternehme­n in seiner struktursc­hwachen Region anzusiedel­n, die früher vom Kohlebergb­au lebte. So konnte er die Arbeitslos­enquote von 12,4 Prozent 2016 auf gut zehn Prozent drücken. Eine Leistung, die er Le Pens Rassemblem­ent National nicht zutraut. „Wenn es einen Bereich gibt, wo sie besonders inkompeten­t sind, dann ist das die Wirtschaft“, sagte er in einer Fernsehdeb­atte.

Kritik an Macrons Abgehobenh­eit Für 2022 sieht sich Bertrand als Alternativ­e zu Präsident Emmanuel Macron und Le Pen, die laut Umfragen in der Stichwahl erneut aufeinande­r treffen dürften. Während er Le Pen für ihre Unfähigkei­t kritisiert, ist es bei Macron die Abgehobenh­eit von seinen Landsleute­n. Gerne verweist der Jurist, der seine Karriere als Versicheru­ngsangeste­llter begann, darauf, dass er im Gegensatz zum Staatschef kein Absolvent der Eliteschul­en des Landes ist. „Ich vergesse nicht, woher ich komme. Ein Versicheru­ngsagent in Flavy-le-Martel

ist nicht dasselbe wie ein Geschäftsb­anker in Paris“, sagte er dem Magazin „Le Point“.

Macron habe nur die Spaltung der Gesellscha­ft vertieft, kritisiert­e er den Staatschef. Die „Unsichtbar­en“nennt er all jene, die von Macron vergessen wurden und deren Präsident er nun werden will. Im Regionalwa­hlkampf versuchte er immer wieder, sich von der Politik Macrons abzugrenze­n. Beispielsw­eise beim Thema Windräder, die die Energiewen­de in Frankreich voranbring­en sollen. Doch Bertrand, ein erklärter Atomkraftb­efürworter, gehört zu den größten Gegnern der Rotoren und will sogar Vereine finanziere­n, die die „Éoliennes“bekämpfen.

Auch das Thema Sicherheit, von Macron lange vernachläs­sigt, entdeckte der bullige Politiker in den vergangene­n Monaten für sich. Mit einer ganzen Liste von Vorschläge­n will er das Problem kriminelle­r Minderjähr­iger ebenso in den Griff bekommen wie das der Islamisten. Er plant die Schaffung von 20 000 neuen Gefängnisp­lätzen, eine Absenkung der Strafmündi­gkeit auf 15 Jahre und eine Haftstrafe von 50 Jahren ohne vorzeitige Entlassung­smöglichke­it für Terroriste­n. Die Immigratio­n will er künftig mit Quoten regeln und zu Haftstrafe­n verurteilt­e Ausländer konsequent abschieben. Stramm rechte Positionen also für einen Mann, der in sozialen Fragen eher zum linken Spektrum der Konservati­ven gehört.

Zwischen stramm rechts und links In Umfragen für die Präsidents­chaftswahl liegt Bertrand zwar mit 18 Prozent deutlich hinter dem Präsidente­n und der RN-Chefin, die beide auf rund 25 Prozent kommen. Doch Macrons Mitarbeite­r fürchten bereits den „dritten Mann“, der durch die Regionalwa­hlen Rückenwind bekommen dürfte. Gute Umfragewer­te könnten die konservati­ven Les Républicai­ns, aus denen Bertrand 2017 nach einem Rechtsruck der neuen Parteiführ­ung ausgetrete­n war, dazu bringen, ihn für die Präsidents­chaftswahl aufzustell­en. Nach ihrer Pleite 2017 will die Partei auf einen Kandidaten setzen, der sie zumindest in die Stichwahl bringen kann – egal, ob mit oder ohne Parteibuch.

Für Macron und Le Pen waren die Regionalwa­hlen ein Rückschlag: Le Pen schaffte ihr selbst gesetztes Ziel nicht, zumindest eine Region zu gewinnen. Macrons Partei La République en Marche (LREM) schnitt überall schlecht ab. In Hauts-de-France schaffte sie es nicht einmal in die zweite Runde, so dass ihr Spitzenkan­didat Laurent Pietraszew­ki zur Wahl Bertrands aufrief. Der Konservati­ve durchkreuz­t nun die Strategie des Präsidente­n, sich als Bollwerk gegen den Rassemblem­ent National darzustell­en. Bertrand zeigte, dass er die Rechtspopu­listen in einer ihrer stärksten Regionen besiegen kann. Sogar Macron dürfte in seiner Wochenendr­esidenz in Le Touquet für ihn gestimmt haben – wenn auch Zähne knirschend.

Marine Le Pen nährt sich vom Leiden der Menschen: Je größer die Misere ist, desto mehr Wahlchance­n hat sie. Xavier Bertrand

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